[Intro]
Sprecherin: 111km Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo, willkommen zur allerersten Ausgabe zu 111 Kilometer Akten, dem Podcast zum Stasi-Unterlagen-Archiv. Ich bin Dagmar Hovestädt, ich bin die Sprecherin des Bundesbeauftragten und auch verantwortlich für die Presse- und Online-Kommunikation.
Maximilian Schönherr: Ich bin Maximilian Schönherr, Journalist und Erfinder des Archiv-Radios im SWR. Ich kenn mich mit den O-Tönen im Stasi-Unterlagen-Archiv ziemlich gut aus.
Dagmar Hovestädt: Wir haben diese erste Folge schon vor einer ganzen Weile aufgezeichnet. Und jetzt sind wir Ende März 2020 in einer besonderen Situation. Das Land ist in einer Pandemie-Gefahr und heruntergefahren. Wir dachten, es ist trotzdem eine gute Zeit, auch mit dem Bundesbeauftragten das Podcast zu beginnen. Roland Jahn, der Bundesbeauftragte - Ist es eine gute Zeit, sich mit dem Archiv zu beschäftigen?
Roland Jahn: Es ist immer ne gute Zeit, sich mit einem Archiv zu beschäftigen, weil das Archiv ist ein Gedächtnis, ein Gedächtnis der Gesellschaft und die Menschen damit eine Chance, sich zu erinnern, sich auch klar zu machen, was ist das wesentliche im Leben, wie lebt Gesellschaft miteinander, wie gehen Menschen miteinander um? Und in dieser Hinsicht schärft der Blick in die Vergangenheit die Sinne für die Gegenwart.
Maximilian Schönherr: Wir hören jetzt die erste Folge des Podcasts, der jeden Mittwoch stattfinden soll. Diese erste Folge beginnt mit einer Reportage auf dem Gelände des Archivs, aufgenommen im letzten Herbst:Ich bin hier gerade im Innenhof und vor mir ist der Eingang zum Haus 7, wo die Podcasts stattfinden werden, jedenfalls die meisten. Und direkt vor mir ist ein eingeschalteter Eingang, da hat Erich Mielke, der quasi ewige Chef der Stasi in der DDR, sein Eingang verbaut, damit man nicht immer sieht, wann er rein und raus geht. Inzwischen ist es weitgehend eine Ausstellung, die man sich angucken kann und befindet sich ungefähr auf halbem Weg zwischen der Mitte von Berlin und dem Flughafen Schönefeld, also weit im Osten.Die 1990 gegründete Stasi-Unterlagen Behörde (BStU) beherbergt 111 Kilometer Geheimakten des DDR Ministeriums für Staatssicherheit deren Chef eben Erich Mielke hätte die Akten gern vernichtet, aber Bürger der DDR stürmten in der Wendezeit die Stasi-Niederlassungen in mehreren Städten. Ihnen es zu verdanken, dass erstmals inder Geschichte umfassende Akten eines großen Inland-Spionage-Apparates offengelegt wurden. 45.000 Anträge auf private Akteneinsicht erreichen den Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit (BStU) jährlich. Nicht zuletzt immer noch so viele, weil die Generation der Enkel mit 30 Jahren Distanz nun anfängt Fragen zu stellen, die sich die Generation der Söhne und Töchter nicht zu stellen trauten. Auch die Enkel, die das Archiv nutzen um mit ihrer Familienvergangenheit klar zu kommen, werden in dieser Podcast-Reihe zu hören sein.Heute aber zum Start der Chef Roland Jahn und der Pressechefin der Behörde Dagmar Hovestädt. Ich bin Maximilian Schönherr Rundfunk Journalist, Gründer des Archiv Radios im SWR und gut vertraut mit dem riesigen Tonarchiv der Stasi-Unterlagen-Behörde.Es sind jetzt drei Journalisten hier im Raum im Haus 7 in Lichtenberg im Herzen der Stasi. Was war ihre letzte journalistische Tat Herr Jahn?
Roland Jahn: Ja meine Arbeit bei der Sendung "Kontraste" hat viele Dinge umfasst. Zuletzt als Chef vom Dienst, war ich verantwortlich dafür, dass die Beiträge gestaltet werden im Politik-Magazin.
Maximilian Schönherr: Thema? Was war Ihr letzter Beitrag für "Kontraste"?
Roland Jahn: Mein letzter Beitrag Autor wiederum war 2006 zum Staats-Doping in der DDR. Zu der Frage: Werden die Weltrekorde, die damals aufgestellt worden sind, von den Sportlern unter Einflussnahme von Doping weiter gelten oder nicht?
Maximilian Schönherr: Und Frau Hovestädt Sie sind auch Journalistin. Was war Ihr letzter Beitrag?
Dagmar Hovestädt: Mein letzter Beitrag war ein Interview mit Wolfgang Petersen in Los Angeles, denn ich habe elf Jahre als Journalistin an der Westküste in Los Angeles gelebt und gearbeitet als Freiberuflerin und das war ein kleines Abschiedsgeschenk nochmal mit einem Regisseur, der in Hollywood durchaus erfolgreich war, ein längeres Interview zu machen.
Maximilian Schönherr: Ich muss, Herr Jahn, zwei Dinge noch Fragen bevor wir zum aktuellen Stand der Behörde kommen, was mich biografisch bei Ihnen interessiert. Erstens: Wie kann man unerlaubt in die DDR einreisen? Wie geht das?
Roland Jahn: Ja es kommt darauf an, wer wie in die DDR einreisen wollte.
Maximilian Schönherr: Ich meine Sie.
Roland Jahn: Also bei mir ist das so gewesen, dass ich natürlich durch meine gewaltsame Ausbürgerung immer den Drang hatte wieder nach Hause zu kommen, dass ich ein Weg finde und ich habe sozusagen den Zufall aufgelauert und bin des Öfteren an die Grenze rangefahren oder zum Beispiel in Schönefeld gelandet, in Berlin Schönefeld den Flughafen der DDR.
Maximilian Schönherr: Wie ging das?
Roland Jahn: Von Prag aus zum Beispiel und bin dann einmal durchgerutscht sozusagen an den Grenzkontrollen. Eine Unaufmerksamkeit der Grenzer hat dazu geführt, dass ich einreisen konnte, den Transitweg mit der S-Bahn nach Westberlin benutzen konnte und deswegen hatte ich dann die Chance abzuzweigen und dann in meiner Heimatstadt Jena fahren konnte.
Dagmar Hovestädt: Ich glaube man muss dazu noch wissen, dass es in den 80er Jahren von Westberlin aus gar nicht unüblich war über Schönefeld mich den ostberliner Flughafen Richtung Griechenland oder sonst wie in die Sommerferien zu fahren und da gab es immer dieses kleine Stückchen vom Flughafen Schönefeld-Ost an die S-bahn und an die Stadtgrenze West heran und in diesem kleinen Zwischenstück bist du doch damals einfach ausgebüxt und hast sozusagen diesen Bus nicht genommen,sondern bist einfach frech in die DDR S-Bahn gestiegen und in die Stadtmitte gefahren.
Maximilian Schönherr: Welchen Pass hatten Sie damals?
Roland Jahn: Ich hatte einen westberliner Ausweis. Das waren ja sozusagen Personalausweise, die extra für den Westberliner ausgestellt worden sind. Diese Ausweise waren die Ausweise, die DDR anerkannt hat. Ich hatte natürlich auch noch einen bundesdeutschen Reisepass mit dem ich zum Beispiel natürlich alle Möglichkeiten genutzt habe in der Welt die Länder zu besuchen, die ich früher als DDR-Bürger nicht besuchen konnte.
Maximilian Schönherr: Zweite Frage, Biografisch: Wie hat die DDR entschieden oder die Behörden entschieden Sie raus zu schmeißen? Es gab ja so und so viele Fälle, wo gesagt wird "den werden wir noch rumkriegen".
Roland Jahn: Ja, lange Geschichte, aber das ist natürlich immer schwierig zu erzählen. Ich war in Haft, hab in Haft einen Ausreiseantrag gestellt unter psychischen Druck, auch auf Anraten meines Anwaltes, der aber für die Stasi gearbeitet hat und in dem Sinne hat die Stasi dann nach meiner Haftentlassung, die vorfristig geschehen ist, weil es Proteste in Ost und West gab, wurde ich vorfristig entlassen nach einem halben Jahr Untersuchungshaft und in dem Sinne war das für mich natürlich dann ein Ausdruck dafür, dass die DDR nicht allmächtig ist und ich dann gesagt habe: Ich bleibe hier. Ich bleibe in meiner Heimat und möchte dort leben. Das hat aber die DDR-Führung nicht akzeptiert. Es gab dann einen Maßnahmeplan, wie wir in den Stasi-Akten dann gesehen haben, von Erich Mielke persönlich unterzeichnet, wo dann mein Abtransport organisiert worden ist, meine Ausbürgerung dann durchgeführt worden ist mit vielen Einsatzkräften der Staatssicherheit begleitend.
Dagmar Hovestädt: Es hatte mich ganz schön geärgert, weil ich vor kurzem noch mal von meiner Kollegin aus dem Archiv auf ein Tondokument gestoßen bin oder gestoßen worden bin, wo der Chef der Dresdner Abteilung, das muss im Jahr 1983 gewesen, kurz nach dem Rauswurf, da auf eine sehr unflätige Art und Weise dieses "A-Loch", hat er da gesagt, von Jahn, den sie da raus geworfen haben, der dann gleich im Westen alles publik gemacht hat und mit Fotodokumenten im "Spiegel" aufgetaucht ist und sie alle ganz blöd hat aussehen lassen, da müssen sie jetzt ran und das Lernen, weil so kann das nicht weitergehen, wie dieser Oppositionsmensch, den haben sie natürlich nicht so genannt.
Roland Jahn: Aber das ist schon das spannende, dass natürlich jeder der dieses Archiv nutzt auch diese Geschichten, die er erlebt hat nochmal aus dem Blick der Staatssicherheit nachvollziehen kann. Die Dokumente über diese Ausbürgerung und auch die Reaktion dann durch die Staatssicherheit, das war für mich etwas ganz neues und hat mir nochmal auch gerade dieses besondere Ereignis, was mich persönlich aber auch meiner Familie getroffen hat, aufgeklärt und ich begreife jetzt viel mehr was damals mit mir geschehen ist.
Maximilian Schönherr: Was wussten Sie damals nicht, was Sie jetzt wissen, dadurch dass Sie die Akten studieren konnten zum Beispiel?
Roland Jahn: zum Beispiel, dass mein Rechtsanwalt, der für mich als Freund und als Ratgeber fungiert hat, dass er für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Das isteine ganz wichtige Erkenntnis.
Maximilian Schönherr: Wie geht's dem heute?
Roland Jahn: Der ist schon gestorben, Wolfgang Schnur. Durchaus auch vielen bekannt. Er ist jemand gewesen, der damals als Anwalt auch in der evangelischen Kirche aktiv war und er war indem Sinne natürlich ein Strohhalm für viele politisch Inhaftierte an denen sich viele festgehalten haben und wo man drauf Hoffnung gesetzt hat und das zu erfahren, dass er eigentlich für die Staatssicherheit gearbeitet hat, ist dann schon ernüchternd, lässt aber im Nachhinein verstehen, warum manches wie gelaufen ist. Und genauso natürlich, dass diese Ausbürgerung von langer Hand geplant war, das es kein Zufall war, sondern dass richtig Maßnahmepläne erarbeitet worden sind, wo viele Mitarbeiter einbezogen waren. Das ist natürlich etwas, was man in den Akten jetzt nachlesen kann und was natürlich dann auch der Aufklärung dient.
Maximilian Schönherr: Frau Hovestädt, woher wissen Sie das mit Schönefeld? Sie als Los Angeles Korrespondentin.
Dagmar Hovestädt: Ich hatte tatsächlich nach einem anderen USA-Aufenthalt, da hatte ich im Studium ein Jahr Gelegenheit in Colorado zu studieren, bin ich nach West-Berlin gezogen und zwar im Oktober 1987. Also ich habe quasi die ummauerte Stadt West-Berlin noch in ihren Spätzügen kennengelernt und hab dann öfter schon mal jetzt gesagt, so merkwürdig das klingt, ich bin dafür tatsächlich recht dankbar, dass ich das so auch wirklich erleben konnte, weil die Art wie ich das als Normalität erlebt habe eine eingemauerte Stadt als irgendwas cooles zu erleben, diese Ausflüge nach Ostberlin als irgendwie was wie eine Art merkwürdigen Zoobesuch erleben. Also man war ja relativ ignorant darüber. Ich muss, das über mich sagen. Und sozusagen auch zu wissen, dass man sich an diese absurde Situation einfach gewöhnt und das als ein bisschen Kuriosum begreift und dann gleichzeitig in diesem Westberlin sich so ein bisschen cool und hedonistisch und abgefahren feiert. Das war also durchaus etwas das man so erleben musste, um zu erkennen, was das eigentlich bedeutet. Und das man sich eben auch in der freien Hälfte der Stadt an das ganze Ding gewöhnt hat, wenn man so wie ich relativ jung und mit gar keiner Beziehung zu der DDR weder Familie noch sonst wie, sodass man das eher so wie ein Phänomen betrachtet hat.
Maximilian Schönherr: Sie haben die Keynote gesprochen beim Tag des offenen Archivs. Offenes Archiv? Ist das Archiv offen?
Dagmar Hovestädt: Dieses Archiv ist tatsächlich offen durch einen revolutionären Akt, das muss man schon ganz deutlich festhalten. Die Bereitschaft Geheimdienst-Akten, die Geheimnisse eines Staates beinhalten, für alle öffentlich zugänglich zu machen. Diese Bereitschaft ist erstmalig sozusagen errungen worden 1989/90, weil im Zuge der Vereinigung wollte die westdeutsche Seite auch nicht so unbedingt diese Akten offen machen, ist ja ein Tabubruch.
Maximilian Schönherr: Weil das Problem ja ist, dass die Informationen die illegal gewonnen wurden, das war das Argument, deswegen muss es quasi im Bundesarchiv, wo es tendenziell hingehört und auch hinkommen wird, versenkt wird quasi unter Verschluss gehalten.
Roland Jahn: Nein, dass ist etwas, was nicht den Tatsachen entspricht. Archive prinzipiell sind wichtige Stützpfeiler der Demokratie, weil sie natürlich für Transparenz von gesellschaftlichen Prozessen dienen, dass diese hergestellt wird und die Stasi-Unterlagen sind natürlich eine besondere Herausforderung gerade, weil sie menschenrechtswidrig gesammelte Informationen sind. Und das ist ja die große Herausforderung gewesen, Anfang der 90er Jahre, hier eine rechtsstaatliche Grundlage zu schaffen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz, was einerseits Transparenz herstellt des staatlichen Handelns insbesondere der Geheimpolizei DDR der Staatssicherheit, aber Datenschutz für die Bürger, Datenschutz für die betroffenen, die ausgespäht wurden sind von der Stasi, die inhaftiert worden sind. Die sollen natürlich in der Zukunft geschützt werden und in dem Sinne ist dieses Stasi-Unterlagen-Gesetz eine wichtige Grundlage hier rechtsstaatlich diese Akten zur Verfügung zu stellen und das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist das entscheidende und auch in der Zukunft wird dieses Stasi-Unterlagen-Gesetz weiter gelten auch in den Strukturen des Bundesarchiv ist das Zusammengehen mit dem Bundesarchiv ist geschultert natürlich auch der Zukunft der Stasi-Unterlagen. Wir wollen sie zeitgemäß zur Verfügung stellen. Wir wollen Digitalisierung vorantreiben und wir wollen die Bestände natürlich als original auch Archiv gerecht lagern, damit sie auch für die nächsten 100 Jahre zur Verfügung stehen.
Dagmar Hovestädt: Ich würde auch nochmal ergänzen aus der Perspektive des Jahres 1990. Da war das durchaus eben ein Tabubruch, zu sagen die Geheimnisse eines Staates werden der gesamten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Das erleichtert logischerweise durch die Tatsache, dass der Staat, dem diese Geheimnisse einmal gehörten, nicht mehr existiert hat. Das war dann deswegen auch besonders kompliziert, aber man muss auch sagen: Die sonstigen DDR-Archivbestände der Ministerien etc. sind ja auch sofort zugänglich gemacht auch in diesen personenbezogenen Kategorien, weil die DDR als Staat aufgehört zu existieren. Sonst hätte das Bundesarchiv auch dort die haben ja diese Archivalien übernommen die 30 Jahre Frist für bestimmte Archivalien durchsetzen müssen, mussten sie aber gar nicht, weil es eben dieses Land nicht mehr gibt. Aber jenseits von diesem Menschenrechtsproblematik der gesammelten Daten glaube ich auch, dass es für den Westen erst mal ein brocken ist zu akzeptieren, dass für Informationsfreiheit herstellen für Staatsgeheimnisse. Das ist auf der grundsätzlichen ebenen Prinzipienbruch und ich glaube da gab es irgendwann auch mal so eine Zurückhaltung. Sie hat dann ja viel später auch zum Informationsfreiheitsgesetz geführt und zur heutigen verlangen danach auch BND- und Verfassungsschutz-Akten zugänglich zu machen, dass ich an meine Daten komme, die der Staat sich aus, in hoffentlich demokratischen zusammenhängen entstandenen Entschlüssen zu eigen gemacht hat, aber die man nach einer gewissen Zeit trotzdem zusteht. Also dieses ringen um die Daten ist durchaus durch die Tatsache, dass hier Geheimakten einmal komplett offen gemacht worden sind, weltweit erstmalig, das ist dadurch durchaus befördert worden.
Roland Jahn: Das ist ja das Entscheidende, dass hier das Stasi-Unterlagen-Gesetz auch ein Weg geebnet hat für das Thema Informationsfreiheit insgesamt. Diese Transparenz des staatlichen Handelns und den Datenschutz für die Bürger. Das ist dieses Prinzip der Informationsfreiheit.
Maximilian Schönherr: Jetzt müssen wir kurz sagen... Datenschutz, wenn das jemand jetzt nicht so aus den inneren Befindlichkeiten des Archivs kennt. Es geht ja zum Beispiel darum, dass ich was über meine Oma wissen will und da komme ich auf eine Akte und da steht der Onkel Herbert drin und der Onkel Herbert der möchte ganz sicher jetzt nicht angeschwärzt werden. Das ist der Datenschutz.
Roland Jahn: Es ist klar und deutlich. Die Akten der Staatssicherheit die wir zur Verfügung stellen, werden nur der Person zur Verfügung gestellt wird, über die sie angelegt worden sind. Alle anderen Daten in den Unterlagen, die dann auf einer Seite miterfasst worden sind, werden anonymisiert.
Maximilian Schönherr: Das ist ein Heidenaufwand.
Roland Jahn: Es gibt ein Recht auf eine persönliche Akteneinsicht und der Aufwand ist hier sicher zu stellen, dass die Daten von anderen nicht zur Verfügung gestellt werden. Natürlich dürfen Wissenschaftler und Medien auch diese Akten nutzen, aber auch die bekommen diese Unterlagen halt auch aufbereitet, bekommen sie unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Bürger, die von der Staatssicherheit bespitzelt worden sind oder die Repression erlebt haben.
Dagmar Hovestädt: Und mit der Einschränkung aber, dass die Menschen, die damals in Verantwortung für den Staat DDR bei der Staatssicherheit gearbeitet haben und dafür gehandelt haben, nämlich die hauptamtlichen inoffiziellen Mitarbeiter, dieses Recht auf Zurückhaltung ihrer Daten eben nicht verwirkt haben. Sie werden namentlich benannt. Man kann sie erkennen, weil damals auch entschieden wurde, dass das Unrecht, für das man verantwortlich ist, nur konkret behandelt werden kann. Also wo sie konkret wissen wer gehandelt hat und kann es nicht bei der Stasi insgesamt abhalten. Trotzdem sind dadurch tausende von inoffiziellen Mitarbeitern und hauptamtlich Mitarbeitern bekannt gemacht worden. Sie dürften überprüft werden. Also ist ein ganzer Apparat entstanden, der hier den die den Schutz der Daten von denjenigen die für den Staat damals gehandelt haben. Manche würden sagen zu Recht, andere würden sagen problematisch, nicht gewährleistet.
Roland Jahn: Also das ist die Transparenz des staatlichen Handelns dieser hauptamtlichen Mitarbeiter, die DDR-Funktionäre, aber auch die inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi werden sozusagen offen gelegt, damit Aufarbeiten stattfinden kann, damit man sich auseinandersetzen kann mit ihrer Verantwortung und auch in die Diskussion kommen kann. Das ist das Wichtige, was sozusagen diese Bereitstellung der Akten ja möglich macht. Natürlich werden dort, wo es auch in die Persönlichkeitsrechte geht, wo es um die Familien dieser Stasi-Leute geht.
Dagmar Hovestädt: Oder die Intimsphäre ne?
Roland Jahn: Oder auch wo es um ganz persönliche Dinge wie Gesundheit geht und so weiter auch dort gibt es natürlich Persönlichkeitsrechtes, was gewahrt wird. Aber das ist sozusagen die gute Voraussetzung im Stasi-Unterlagen-Gesetz, dass das alles abgesichert ist und wir haben ja eine inzwischen langjährige Praxis seit 28 Jahren werden diese Unterlagen genutzt nach diesem Stasi-Unterlagen-Gesetz und da hat sich sozusagen eine Rechtspraxis bewährt, die auch weltweites Vorbild geworden ist.
Maximilian Schönherr: Also ich sag mal ein Beispiel aus meiner Praxis mit ihrem Archiv. Ich habe über Medizin O-Töne geforscht hier und wir stießen auf IM-Protokollen, auf Audio-Kassetten, die waren sehr rauschig, die haben natürlich eine Diktion, die ein bisschen holprig auch ist. Und dann erzählte der wie der Chirurg an der Klinik, es gab eine MfS Klinik hier ganz in der Nähe, wie der eine Chirurg über den anderen hergezogen hat. Das hat jemand, wahrscheinlich er selber bespitzelt und da wurde der Name genannt. Und dann wurde, damit ich das im Archiv Radium verwendeten konnte, der Name ausgepiepst, weil es eben ein Chirurg war, der heute wahrscheinlich noch tätig ist oder in Rente ist. Und eben hier diskreditiert worden wäre. Der war ja kein Stasi-Mitarbeiter. So ein typisches Beispiel, wo man dann ein piepsen muss oder schwärzen muss, wenn es um Akten geht.
Roland Jahn: Es geht um Anonymisierung derer die sozusagen im Blick der Stasi gekommen sind, über die berichtet worden sind. Wir wollen ja nicht, dass das Unrecht weiter wirkt sozusagen und deswegen wird hier geschützt, wird anonymisiert.
Maximilian Schönherr: Jetzt will ich noch mal das wissen mit den Mitarbeitern. Also es gab viele Mitarbeiter, die IM waren oder aus dem Stasi-Umfeld kamen, die in ihrer Behörde gearbeitet haben. Gibt es die nicht mehr?
Dagmar Hovestädt: Es waren vor allen Dingen hauptamtliche Mitarbeiter des MfS und keine Inoffiziellen, das waren sehr wenige nur. Aber das ist ja eine langjährige Geschichte, die sich erst in Etappen auch quasi in den letzten 25 Jahren erst sozusagen offenbart hatte. Also ich meine das hatte es hat eine Untersuchung gegeben 2006/ 2007 durch den BKM beauftragt. Der hat sozusagen untersuchen lassen, weil es dann verschiedene Angaben dazu gab, wie viel ihr mal nicht hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit beim Bundesbeauftragten gearbeitet haben. Da kam man auf eine Zahl von etwas über 70, die in den 1990er Jahren, also eigentlich von Anfang an eingestellt wurden. Die überwiegende Mehrheit kam aus der Hauptabteilung Personenschutz und die wurden dann kurzzeitig in der DDR im Innenministerium geparkt und dann beim BStU angestellt um hier auch den Haussicherungsdienst zu gewährleisten. Man war in den Anfangsjahren sehr besorgt darüber, dass diese Akten vielleicht Anreiz sein könnten hier ein zu brechen und sie zu klauen. Und da war es 24 Stunden lang notwendig ein Haussicherungsdienst zu installieren, das ist bis heute auch noch der Fall, aber das ist längst nicht mehr so aufwendig. Und in diesem Bereich haben sehr viele dieser ehemalige MfS-Mitarbeiter gearbeitet und ein kleiner Bereich...
Maximilian Schönherr: Das wussten auch alle?
Dagmar Hovestädt: Das ist jetzt eine andere Frage. Das was allgemein bekannt war, dass ein kleiner Bereich von ich glaube 16-18 Personen auch offiziell eingestelltwaren, bekannt waren als ehemalige MfS-Mitarbeiter, die helfen sollten das Archiv zu erschließen. Das war immer die Begründung dafür. Und dann kommt Herr Jahn, ich glaube dann räumt sich das ein bisschen auf, dann können wir in den Beginn seiner Amtszeit gehen in den März 2011, weil da gab es eine Antrittsrede und da wurde genau dieses Thema noch mal wieder aufs Tableau gehoben.
Maximilian Schönherr: An sich sind das die Experten, die es ja eigentlich am besten wissen, das ist ja das problematische daran eigentlich.
Roland Jahn: Nein, ich denke hier gibt es ganz klare Prinzipien. Hier geht es auch sehr viel Symbolik. Natürlich ist es wichtig, dass man von denen, die hier gearbeitet haben, auch Informationen bekommt, aber deswegen muss man sie nicht gleich einstellen. Jeder Journalist stellt auch nicht seine Zeitzeugen beim Sender ein und hier hat was stattgefunden, was den Opfern immer wieder weh getan hat, dass in einer Institution, die auch ein Symbol der Aufarbeitung gewesen ist oder immer noch ist, dass dort ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter eingestellt worden sind. Und diesen Konflikt der bestand seit Bestehen dieser Behörde und ich habe versucht diesen Konflikt aufzulösen indem ich gesagt habe "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Opfer dass man den Rechnung trägt und dass sie nicht beim Eingang, wenn sie ihre Akten lesen wollen von ehemaligen Stasi-Mitarbeiter nach ihrem Ausweis gefragt werden. Das gilt es zu respektieren und deswegen habe ich einen Weg gesucht, dass wir hier Möglichkeiten finden, dass diese ehemalige Stasi Mitarbeiter nicht in dieser Behörde arbeiteten, sondern dass sie irgendwo anders in anderen Institutionen unterkommen, dass sie versetzt werden und dass wir hier menschlich, respektvoll und rechtsstaatlich korrekt diesen Weg gehen. Das hat Anerkennung gefunden bei den Opferverbänden. Das hat Anerkennung gefunden bei denen, die das immer als unhaltbaren Zustand angesehen haben und diesen Weg sind wir auch mit Unterstützung des deutschen Bundestages gegangen. Und haben dafür Sorge zutragen diesen Konflikt aufzulösen.
Maximilian Schönherr: Man muss dazu sagen, sie sind eine Bundesbehörde. Es ist ja kein Archiv wie jetzt sagen wir mal die deutsche Nationalbibliothek, sondern sie sind eine Bundesbehörde. Wenn das jetzt ins Bundesarchiv übergeht, bleiben sie in dieser Funktion? Werden sie arbeitslos?
Roland Jahn: Nein, also erstmal klar und deutlich: Wir wollen, dass die Stasi-Unterlagen auch in Zukunft bestmöglich genutzt werden können. Wir wollen die Voraussetzungen schaffen, dass auch zeitgemäßes Archiv existiert, was die Digitalisierung und die Bestandserhaltung weiter vorantreibt. Und deswegen ist es jetzt an der Zeit die Weichen zu stellen für die Zukunft.
Maximilian Schönherr: Das ist jetzt Politiker-Talk.
Roland Jahn: Ich sag jetzt ganz klar, das ist sozusagen das, was die Politik einfordert und konkret haben wir natürlich jetzt uns zusammengesetzt mit dem Bundesarchiv, das genau in einem Konzept zu gießen, dass wir hier sicherstellen, was der politische Auftrag ist. Und das heißt, dass wir absichern, dass dieses Archiv noch besser erforscht wird, dass wir dieses Archiv so weiter Kunden, dass die Nutzer immer Mittelpunkt stehen und diese Akten noch besser nutzen können. Das ist ja ein gigantischer Berg an Unterlagen 111 Kilometer und die Staatssicherheit hat Systeme der Ablage gehabt, die nicht der archivischen Grundsätzen entsprechen und deswegen müssen wir das Archiv weiter erkunden.
Maximilian Schönherr: Also sie werden nicht arbeitslos? Sie werden da weiter arbeiten?
Dagmar Hovestädt: Nee.
Roland Jahn: Alle Mitarbeiter die hier arbeiten und die Akten bereitstellen, werden auch in Zukunft gebraucht. Wie es weitergeht mit einem Bundesbeauftragten, der zunehmend auch die Interessen der Opfer mit in der Öffentlichkeit vertritt, dass dieses Bundesbeauftragter dann sich konzentrieren wird in der Zukunft vielleicht so ist der Bundestag festlegen wird, auf die Interessen der Opfer mehr in den Mittelpunkt rückt. Das ist eine politische Entscheidung, die in den nächsten Monaten dann getroffen wird.
Sprecher: Sie hören 111 Kilometer Akten den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs.
Dagmar Hovestädt: Vielleicht muss man einen Schritt zurücktreten und sich die Besonderheit dieser Konstruktion angucken. Das Bundesarchiv ist auch eine Bundesbehörde. Also Behörde ist ja eigentlich erst mal nur eine Verfasstheit eine Organisationsform mit der man Verwaltungserhalt regeln kann und hier diese Einrichtung ist eben aus der Revolution errungen als Aktenzugang und dann ist der Bundesbeauftragte als Verantwortlicher für das Archiv, also imStasi-Unterlagen-Gesetz heißt das recht merkwürdig "Der Bundesbeauftragte ist eine Behörde". Also diese Verquickung zwischen einer Person, die etwas leitet und einem Behördenapparat, der darunter sitzt und an dieser gigantischen ganz neuen Idee Stasi-Akten in der Gesellschaft zu debattieren, hat natürlich zu einer wahnsinnigen Kraft und zu einem Impact geführt in den 90er Jahren und die Konstruktion hat sich aber auch in Diskussion mit ausländischen Gästen als sehr hilfreich erwiesen, weil der Bundestag hat gesagt, dass diese Akten sollen nicht politisch benutzt werden für die eine oder andere Partei, sondern sie die Verantwortung für die Akten wird einer Person übertragen, die symbolisch auch in Kritik und in Opposition zur DDR stammt, die eine hohe Glaubwürdigkeit besitzt und dann auf Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gewährleistet, dass der Aktenzugang quasi neutral im weitesten Sinne möglich ist auf Grundlage des Gesetzes. So ist diese Konstruktion entstanden. Also das Bundesarchiv hat einen Präsidenten. Das Stasi-Unterlagen-Archiv hat einen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen demokratischen Republik also ein ewig langer Titel. Und die Frage ist jetzt sicherlich das nach 30 Jahren die Überlegung steht, was ist das allerwichtigste aus dieser Revolution und da ist wahrscheinlich nicht, dass erringen einer behördlichen Verfassung das Wichtigste, sondern der Aktenzugang und wie kann der für die nächsten Generationen und auch für ganz neue Kommunikationsformen und die Fragen der Zukunft fit gemacht werden. Und da spielt Digitalisierung enorme Rolle. Was nicht digital ist, wird in zukünftigen Informationsaustausch nicht stattfinden und dann bleibt natürlich die Frage wie wichtig ist der Bundesbeauftragte noch für die Akten, die Eigenständigkeit der Einrichtung in dieser Verfasstheit oder was sind die richtigen Weichenstellungen für die nächsten 30 Jahre?Das ist ganz schwer so zwischen der Vergangenheit und dem verabschieden des einmal gefundenen Modus und in die Zukunft zu gehen und sich vorzustellen was will Gesellschaft in zehn und fünfzehn Jahren, weil so lange wird es brauchen Dinge zu verändern und Gelder zu besorgen. Und das würde ich auf ein ganz neue Stufe zu schieben.
Roland Jahn: Es geht um Investitionen in die Zukunft. Wir brauchen archivgerechte Lagerung. Wir brauchen Geld, was zur Verfügung gestellt wird, was wirklich dann sichert das einmal die Bestände erhalten werden im Original, das aber auch die Digitalisierung dann gerade für die Nutzbarkeit ja so vorangetrieben wird, das es dann halt möglich ist, dass die Forscher ja zu Hause sitzen und die Dinge online abrufen.
Maximilian Jahn: Aber werde ich dann nach Koblenz gehen?
Roland Jahn: Aber das auch persönliche Akteneinsicht in einer Form stattfindet, wie es zeitgemäß ist.
Dagmar Hovestädt: Das ist auch normal so ein Ding. In der Pressearbeit sind wir ja seit Jahren auch immer damit konfrontiert. Das hat sich in den 90er Jahren extrem festgesetzt. Das kommt aus diesem Anfangskonflikt, dass der Bund, die Bundesrepublik Deutschland, der Westen, irgendwann mal gesagt hat okay die Akten kommen dann eben ins Bundesarchiv nach Koblenz. Das ist diese Schreckvorstellung, dass hier plötzlich diese 111 Kilometer, die ja auch in verschiedenen Orten verteilt sind, auf einen Riesen Zug gepackt werden und nach Koblenz geschafft werden und da liegen. Die Akten werden sich nicht bewegen. Die werden also hier in Berlin in der ehemaligen zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit liegen bleiben. Sie werden, so ist das Konzept, mit anderen Gedenkorten in den jeweiligen östlichen Bundesländern an einen Ort zusammengefasst werden, damit sie in Einheit mit den Gedenkstätten auch eine Wirkung erzielen können, weil sie eben ja auch, manche sagen das so eine "Trophäe der friedlichen Revolution" sind, das hat man errungen, den Zugang zu diesen Akten, das Wissen sich zurückgeholt von dem Staat der sie widerrechtlich geklaut hat von den einzelnen Menschen und dass sie sozusagen eine Einheit geben und damit auch physisch präsent sind in so einer symbolischen Erinnerung an diese Zeit und die friedliche Revolution und die DDR davor. Aber natürlich werden sie selbst, wenn sie unter das Dach des Bundesarchivs kommen, werden die Akten sich nicht bewegen, sondern sie bleiben dort, wo sie sind. Das wäre aus vielerlei Gründen, aber zuletzt auch eine Geldverschwendung.
Roland Jahn: Es geht ja darum am historischen Ort natürlich auch diese Akten als Monument...
Maximilian Schönherr: Dieser Ort ist grandios dafür.
Roland Jahn: Der ist wirklich toll.
Dagmar Hovestädt: Sie als Nutzer können das ja wahrnehmen.
Maximilian Schönherr: Ja ich komme in eine Gegend, wo ich merke, um diesen Block musste man früher einen großen Bogen machen. Ich kenne eine Kollegen von mir, der ging hier im Kindergarten. Und ich gehe jetzt einfach so rein und es ist trotzdem deprimierend, trotz ihrer schönen Ausstellung, dann gehe ich in die Ecke Haus 7der Eingang ist in einer Ecke und kommen an diesen etwas streng guckenden Wachmännern vorbei und dann gibt es eine Ausstellung und dann der Paternoster, welcher im Moment nicht funktioniert und komm dann zu den Archivarinnen und dann blüht die Sache auf. Das ist der ganze historische Kontext. Es ist hier wirklich enorm ganz anders als in der Karl-Liebknecht-Straße, würde ich mal sagen. Was war da vorher eigentlich?
Roland Jahn: Das war das Baukombinat der DDR.
Maximilian Schönherr: Passt ja.
Roland Jahn: Und da ist noch ein Denkmal eines Bauerarbeiters vor der Tür. Also in dem Sinne gibt es viele historische Zeichen noch in Berlin, aber gerade dieser Ort der Stasi-Zentrale, wo über 7.000 hauptamtliche Mitarbeiter für Staatssicherheit tätig waren. Hier täglich sozusagen in diesen Komplex hinein gegangen sind. Auch im Umfeld teilweise gewohnt haben. Dieser Ort hat natürlich eine besondere Aura und diese Verbindung zwischen der Historie und Gegenwart und Zukunft das ist etwas was an einem solchen Ort natürlich am besten möglich ist.
Maximilian Schönherr: Wann wird dieses Übergang zum Bundesarchiv denn passieren?
Roland Jahn: Das Konzept sieht vor, dass mit dem Ablauf der Amtszeit des jetzigen Bundesbeauftragten im Sommer 2021, dass dann organisatorisch sozusagen die Veränderung vollzogen werden sollen.
Maximilian Schönherr: Die Datenbank verändert sich jetzt schon? Migrieren jetzt schon Daten?
Dagmar Hovestädt: Wir haben einen Bestand, den einmal die Stasi schon archiviert hat. Da haben wir einen Haufen Karteikarten mit denen das zugänglich gemacht ist und dann haben wir die Akten, die noch aktiv auf den Schreibtischen der Stasi-Offiziere lagen in den letzten 25, 28 Jahren, 30 Jahren fast, selber ins Archiv sortiert und dabei angefangen eigene Datenbanken anzulegen und nicht zuletzt, weil die Behörde immer auch wieder so ein bisschen auf Abruf war, weil man nie genau wusste wie lange sie noch so besteht, sind es erstmal so hausgemachte Eigenlösungen gewesen und da haben wir eine die Sachaktenerschließungsprogramm (SAE). Die haben jetzt gerade migriert auf einen etwas kommoderen Zustand. Die ist aber von außen nicht zugreifbar, weil sie natürlich durchsetzt ist mit einem Haufen personenbezogener Daten, so dass es sehr schwer fällt Externe in dieser Datenbank suchen zu lassen. Die hilft natürlich Unterlagen zu finden, aber wir haben auch seit etlichen Jahren begonnen Findmitteln, also die Beschreibung von einzelnen Beständen. Was hat die Kreisdienststelle Eisleben in der Abteilung Wirtschaftsbeobachtung in ihren Beständen? Und diese Findmittel haben wir in einem Softwareprogrammen gepackt, dass das Bundesarchiv auch verwendet. Das ist zwar so ein bisschen am Auslaufen. Wir hoffen damit zu migrieren in etwas neues, das heißt zurzeit ARGUS und davon haben wir etliche hunderte von Findmitteln auch schon online gestellt, so dass man selber sich vielmehr mittlerweile ein Bild machen kann.
Maximilian Schönherr: Über ARGUS und nicht über bstu.de?
Dagmar Hovestädt: Also man kann über bstu.de auf Findmittel kommen, die Beständeübersichten und dann landet man schnell auf ARGUS und da ist tatsächlich die gemeinsame Recherche nach Worten, Beständen und Begriffen so möglich, dass man dann auch die Stiftung, Parteien und Massenorganisationen und auch SED-Unterlagen, also die Unterlagen der SED selber, aber auch der Ministerien der DDR quasi einem Suchgang, in einer Softwareumgebung sich anschauen kann und das miteinander vergleichen kann. Die Anfänge und durchaus fortgeschrittene Anfänge sind durchaus da. Wir versuchen ja auch dieses Archiv in einem zugänglich zu machen und sind ein bisschen natürlich dann gehindert durch den Datenschutz.
Roland Jahn: Für uns steht immer der Nutzer im Mittelpunkt und da ist die persönliche Akteneinsicht auch der letzten Jahrzehnte natürlich etwas gewesen, was die Hauptarbeit ausgemacht hat.
Maximilian Schönherr: Aber auch ein Erfolg ist. Es sind ja nicht 100/ 200 Leute pro Jahr sondern das sind deutlich mehr.
Roland Jahn: Objektiv geht natürlich die Anzahl derer die in die Akten schauen wollen zur persönlichen Akteneinsicht zurück. Seitdem ich sozusagen im Amt als Bundesbeauftragter bin, hat sich das ungefähr halbiert. Es sind immer noch 4.000 pro Monat, aber...
Maximilian Schönherr: Herr Jedlitschka von der Eingangskontrolle sagte mir: Es hat lange nicht so abgenommen, wie man dachte.
Roland Jahn: Ja, das ist ja richtig aber wir stellen jetzt die Weichen für die Zukunft.
Dagmar Hovestädt: Die Zahlen sind natürlich wichtig, weil sie irgendwie belegen, das es das Bedürfnis gibt, aber am Ende sind die Einzelfälle so berührend, dass die Zahlen eigentlich nur eine ganz kleine Aussage aber treffen, weil mit jeder persönlichen Akteneinsicht geht jeder ganz persönlich noch mal an sein Leben zurück und ich krieg das nicht immer mit, aber regelmäßiger mit. Nächste Generationen, es gibt eine junge Journalistin die einen Antrag stellt, weil ihre Mutter damals ausgereist ist und sie möchte gern mit ihrer Mutter zusammen die Geschichte der DDR und der Ausreise aufarbeiten. Wir hatten gestern Abend sehr spät noch jemanden zu Gast. Eine ältere Dame die sozusagen in der DDD Systemträgerin war und sich da in der Partei beschäftigt hat. Die hat in den Unterlagen Sachen auch gefunden. Das waren nur zwei Karteikarten, aber da hat sich für sie eine ganz neue Welt offenbart, auch in Bezug auf ihren Mann und das sind Sachen die 30 Jahre 35 Jahre beschieden worden ist.
Maximilian Schönherr: Was denn?
Dagmar Hovestädt: Na der Mann hatte sich ein bisschen zu sehr auf die Stasi eingelassen. Das hatten sie nie wirklich ausdiskutiert. Das hat er mal erwähnt.
Maximilian Schönherr: Aber sie war selber im System.
Dagmar Hovestädt: Genau, ich muss das jetzt möglichst allgemein halten. Das ist ja auch eine Geschichte, die jetzt läuft. Es auch unwichtig, weil das müssen die ja auch mit sich jetzt ausmachen. Was mir doch klar geworden ist, das Schweigen dieser letzten 30 Jahre und wir sind jetzt in so einer Zeit, wo auch vieles aufbricht und wo man gerade, weil man so viel geschwiegen hat, immer noch nicht ganz damit klarkommt, was man eigentlich erlebt hat in der DDR und das ist sicherlich eine Generation, die die Kinder der DDR sind, Herr Jahn Jahrgang 53. Also alles was so in den frühen 50er Jahren geboren wurde, ist in die DDR hineingeboren. Da dort richtig groß geworden und trägt das System manchmal mehr oder weniger stark in diesem Fall etwas stärker und hat einiges noch aufzuarbeiten.
Maximilian Schönherr: Waren Sie ein Biermann Fan? Also persönlich oder fanden Sie es eigentlich ungerecht?
Roland Jahn: Also ich persönlich habe mich sehr orientiert an Wolf Biermann, weil er ja die Worte für das gefunden hat, was wir gedacht und gefühlt haben.
Maximilian Schönherr: Das heißt, sie haben seine Schallplatte gehabt?
Roland Jahn: In dem Sinne habe ich keine Schallplatte gehabt. Ich habe Tonbändern aufgenommen und habe die auch multipliziert um es anderen weiterzugeben. Und in dem Sinne waren natürlich die Lieder von Wolf Biermann etwas, was uns sehr hilfreich war, was uns auch Mut gemacht hat.
Maximilian Schönherr: Und haben sie die Ausreise mitbekommen?
Roland Jahn: Das war natürlich ein einschneidendes Erlebnis für viele von uns und es hatte dann auch für mich biografische Folgen, weil ich wegen der Ausbürgerung Wolf Biermanns um eine Gegenposition, die ich an der Universität in Jena vertreten habe, dann exmatrikuliert worden bin.
Maximilian Schönherr: Wie haben Sie protestiert? Es gibt da ein schönes Foto da draußen.
Roland Jahn: Ja, da bin ich sozusagen im Uni-Seminar erst mal aufgetreten und das hat sich dann wieder gefunden bei der Staatssicherheit, weil der Seminar-Leiter inoffizieller Mitarbeiter war. Auch das habe ich aus den Stasi-Akten erfahren.
Maximilian Schönherr: Aber davon konnte man ausgehen oder?
Roland Jahn: Davon konnte man nicht ausgehen. Also natürlich die Möglichkeiten gab es immer, aber es ist auch noch mal was anderes von der Wahrscheinlichkeit und dem was man dann konkret Schwarz auf Weißt ließt in den Stasi-Akten, das schockiert dann schon immer noch, weil man dann die Menschen vor Augen hat, weil man dann das konkrete Erlebnis vor Augen hat.
Maximilian Schönherr: Haben sie auch Audio gehört über sich, also Mitschnitte?
Roland Jahn: Ich habe auch Audiomitschnitte gehört.
Maximilian Schönherr: Eine Wanze die bei Ihnen installiert war, wo sie sich selber hören?
Roland Jahn: Nee das habe ich nicht.
Maximilian Schönherr: Gibt es über bestimmt.
Roland Jahn: Ob es das gibt, weiß ich nicht. Ich habe sie ebenfalls noch nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Ich habe genauso wie jeder andere den Antrag auf persönliche Akteneinsicht gestellt und jeder hat das Recht dieses Archiv zu nutzen. Und das geht ja auch die nächsten Generationen, weil auch der gesetzliche Anspruch der Verwandten in die Akten der verstorbenen Angehörigen zu schauen, weil das auch gegeben ist und das auch zunehmend wahrgenommen wird. Zur Zeit sind 17 Prozent der ersten Anträge von Angehörigen von Verstorbenen die hineinschauen wollen, wenn die Akten, weil sie wissen wollen, wie hat die Staatssicherheit in das Leben ihrer Familie eingegriffen.
Maximilian Schönherr: Jetzt werfe ich noch ein Wort in die in die Runde und dann enden wir das okay? Das Wort heißt Transitional Justice was sagen sie dazu? Wie definiert man das? Die Wikipedia hat diesen Begriff, aber sie sagt, das ist noch nicht ganz klar definiert.
Dagmar Hovestädt: Der ist ja noch nicht fertig.
Roland Jahn: Alleine der Begriff zeigt, dass unsere Fragestellungen international sind.
Dagmar Hovestädt: Die Idee der Übergangsgerechtigkeit oder der Übergangsjustiz, im englischen ist das ein Wort, im deutschen sind es zwei unterschiedliche Konzepte, ist quasi seit den frühen 90er Jahren als Begriff sozusagen drin. Der Versuch im Nachgang zu von Staatswegen begangenen systematischen Unrecht ein Umgang damit zu finden für die neue Gesellschaft. Und Archive spielen da eine enorme Rolle. Es sind aber nicht nur Archive von Geheimpolizeien. Da gibt es in Guatemala ein Geheimpolizei-Archiv, das seit 2007 geöffnet worden ist, die Mexikaner haben 2002 Geheimpolizei-Archiv geöffnet, in ihren Nationalarchiv zur Verfügung gestellt. Der den Kurator vor etlichen Jahren war ein ehemaliger Mitarbeiter dieses Geheimdienstes. Das hat es ein bisschen schwieriger gemacht an die Akten zu kommen, aber es gibt immer wieder diese Versuche, aber dann gibt es "Truth and Reconciliation Commission" oder den Versuch in einer Kommission an der Wahrheitskommission das Unrecht zu benennen. Da werden Akten produziert an die kann man wieder ran. Es gibt internationale Tribunale und Gerichtsverfahren mit Zeitzeugenberichten, das sind wiederum Akten an die Archiven gehen, an die man dran kommt. Also dass Archive eine ganze langfristige Wirkung haben, dieses Unrecht das oft eben über lange Zeit nachwirkt, aufzuarbeiten, das ist im internationalen Kontext wirklich sehr offenkundig und das Wort Übergangesgerechtigkeit da muss man sich... Ich glaube eines der der Schwierigkeiten ist zu sagen, wie lange dauert eigentlich der Übergang? Und wenn sich überlegt wie lange es dauert, wenn sie mal im dreißigsten Jahr das Ende der DDR, die NS-Vergangenheit noch länger her und trotzdem sind wir immer noch intensiv damit beschäftigt und gibt es immer noch Berichte darüber, dass die auch die bundesrepublikanischen Bürger sich in ihren Familien in den 50er/ 60er Jahren zu lange angeschwiegen haben über das was war und das über die Generationen hinweg weiterwirkt, dass dieser Übergang von so massiv begangenen staatliches Unrecht in eine normale Gesellschaft einfach nicht zu definieren ist mit einem Zeitraum von irgendeiner Anzahl von Jahren, sondern sehr viel länger dauert und das ist ein spannendes Thema auch international in das wir unser Archiv, das ebenMenschenrechtsverletzungen dokumentiert, obwohl es ganz anders gedacht war, langfristig in diese Diskurse einspeisen. Auch darüber wie wir heute leben wollen, das ist ja das wichtigste an dem Archiv, dass man daran ablesen kann wie eine Gesellschaft funktioniert, die Menschen repressiv behandelt, die in Freiheit beschneidet und was das mit Menschen anstellt und was Autoritäres regieren heißt und was wir daraus immer ziehen können für die Wertschätzung von Demokratie.
Maximilian Schönherr: Vielen Dank Dagmar Hovestädt und Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Dokumente der Staatssicherheit. Wir enden jeden Podcast dieser Reihe mit Elke Steinbach. Wer ist das?
Dagmar Hovestädt: Elke Steinbach ist einer unserer Archivarinnen im Audiobereich.
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich als Dokumentarin um die Audio-Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR wir hören heute einen Ausschnitt von einem Tonband aus der Abteilung Nachrichten, da unterhalten sich zwei MfS-Mitarbeiter im Dezember 1989, also schon nach dem Mauerfall über ihre Vorstellung von der Zukunft. Außerdem mutmaßen sie darüber wären noch in der Leitung mithört und die Vision, die sie haben, ist den 8. Februar den Gründungstag des MfS 1950 mit weiteren Kollegen auf dem Kudamm feiern zu können. Der Ausschnitt den wir jetzt hören ist ungefähr dreieinhalb Minuten lang. Das gesamte Band läuft über acht Stunden.
[Beginn der Aufzeichnung]
[Mitarbeiter 1:] Ja ich meine, dass du erstmal wie in der Gruppe anfängst, damit musste rechnen.
[Mitarbeiter 2:] Ja das hört sich nicht schön.
[Mitarbeiter 1:] Ja das ist so. Hast ja umsonst gearbeitet, 15 Jahre lang, bin ich der Trottel gewesen.
[Mitarbeiter 2:] Ich hab ja 11 Jahre. Alles umsonst, naja was solls, lassen wa uns überraschen.
[Mitarbeiter 1:] Naja überraschend, da musste dir selber einen Kopf machen, sonst stehste da ohne was weeßte.
[Mitarbeiter 2:] Ist och so kurios ja. Machste das selber oder sollste warten? Bieten sie dir nun noch Job, aber ich glaube dit wird wohl nichts werden.
[Mitarbeiter 1:] Ich nehme mal an, wenn das jetzt wirklich total ist und das uffgelösen wird ja?
[Mitarbeiter 2:] Biste noch dran? Haste ne Taste gedrückt?
[Mitarbeiter 1:] Nee bin ich nicht. Da hängt der Wurm drin oder wat? Lass mal lieber aufhören. Die Leitungen sind ja heutzutage och nicht mehr sicher. Jetzt hängt das Neue Forum drin.
[Mitarbeiter 2:] Ja eben. [Lachen]
[Mitarbeiter 1:] Oder der Kollege vom BND ist vielleicht schon da.
[Mitarbeiter 2:] Die werden wahren Freudensprünge machen, weeßte?
[[Mitarbeiter 1:] Oh ja.
[Mitarbeiter 2:] Behalt es für dich, aber die haben ideale Arbeitsbedingungen, wollen wir mal so sagen. Hochkonjunktur, weeßte?
[Mitarbeiter 1:] Da haben wir den richtigen Grundstein gelegt für die Kollegen.
[Mitarbeiter 2:] Ja, das verstehen die anderen ja nicht, weeßte?
[Mitarbeiter 1:] Nee.
[Mitarbeiter 2:] Na jut. Was solls. Naja wir werden sicherlich noch zu tun haben bis morgen früh wa?.
[Mitarbeiter 1:] Na wir sind zu dritt. Ick bin ja nur zusätzlich heute hier.
[Mitarbeiter 2:] Och noch?
[Mitarbeiter 1:] Ja, ich werd mich erstmal nachher zurückziehen.
[Mitarbeiter 2:] Na sicher, wird ja auch nichts mehr kommen außer diese Rundschreiben hier.
[Mitarbeiter 1:] Verwaltung ist ja alles.
[Mitarbeiter 2:] Jut, ick wünsch dir was, war ne kleine Feier. Halt die Ohren steif.
[Mitarbeiter 1:] Wünsch ick dir och wa.
[Mitarbeiter 2:] Nächstes Jahr treffen wir uns alle auf'm Kudamm oder irgendwo, machen wir mal ne Demo?
[Mitarbeiter 1:] Wir werden auf alle Fälle den 8. Februar im Untergrund weiterfeiern.
[Mitarbeiter 2:] Ja dit können wir machen ey. [Lachen]
[Mitarbeiter 1:] Können ja eine Livestandarte gründen. Wie macht die NVA dit hier, son Veteranen, so ein Veteranen Klub. Wir machen ein Veteranen Klub 8. Februar.
[Mitarbeiter 2:] Ja warum nicht? [Lachen] Was sollstn machen ey?
[Mitarbeiter 1:] Ja, was solls.
[Mitarbeiter 2:] Also...
[Mitarbeiter 1:] Alles klar.
[Mitarbeiter 2:] Tschüss.
[Mitarbeiter 1:] Tschau, hau rinn.
[Mitarbeiter 2:] Ja, tschüss.
[Mitarbeiter 1:] Hallo [unverständlich] arbeiteste ja?
[Mitarbeiter 3:] Ja.
[Mitarbeiter 1:] Jut mehr wollte ick nicht.
[Mitarbeiter 3:] Alles Jut?
[Mitarbeiter 1:] Was?
[Mitarbeiter 3:] [unverständlich]
[Mitarbeiter 1:] Bist doch eben rinjekommen.
[Mitarbeiter 3:] Wie bitte?
[Mitarbeiter 1:] Du bist doch eben rinjekommen
[Mitarbeiter 3:] Ja schon, aber...
[Mitarbeiter 1:] Dann ruf doch mal zurück, probier mal.
[Ende der Aufzeichnung]
[Outro]
Sprecher: Sie hörten
Sprecherin: 111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des "Stasi-Unterlagen-Archivs".