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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo und willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts. Ich bin Dagmar Hovestädt die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und eine Stimme hier im Podcast zusammen mit Maximilian Schönherr Radio Journalist und Miterfinder des Archivradios des SWR. Heute gibt es ein Gespräch zu etwas, das man eigentlich sehen sollte nämlich zu Bilderwelt der Staatssicherheit zu unserem großem Fotobestand im Archiv.
Maximilian Schönherr: Wir haben bei diesem Podcast eine grobe Zweiteilung, das würde ich einfach gerne mal sagen. Du Dagmar sprichst als Mitarbeiterin des Archivs mit Menschen von draußen, also zum Beispiel die einen Antrag gestellt haben und ich mit Menschen die bei euch arbeiten zum Beispiel mit eurem Chefjuristen und heute eben mit Herrn Springer. Philipp Springer siehst du täglich oder ist das Haus in der Karl-Liebknecht-Straße so groß und jede Etage hat ihre eigene Teestube, wo man sich nie begegnet außer zu wichtigen Sitzungen?
Dagmar Hovestädt: Ja so stellt man sich das vor so ein Behördending mit vielen Teestuben. Philipp Springer, der ja der Autor ist dieses Buchs über den großen Fotobbestand, der sitzt tatsächlich im ersten Stock und ich sitze im siebten Stock und auch wenn ich jeden Tag die Treppe hochlaufe, läuft man sich nicht so oft über den Weg, weil dieses Gebäude wirklich ein Nachteil hat. Es gibt hier nämlich gar keine Cafeteria oder Kantine oder auch sonst wie kleinere Teeräume. Also wir haben weniger Berührungspunkte, es sei denn er hat wieder eine Publikation veröffentlicht und das hat er vor ein paar Jahren schon einmal getan und aus der haben wir tatsächlich eine kleine Serie auf unserem YouTube-Kanal entwickelt. Das ist ein Buch, das er zusammen mit Karsten Jedlitschka, den du ja auch schon interviewt hast, veröffentlicht hast und da geht es um 40 Dinge, Fundstücke aus 40 Jahren Stasi, also pro Fundstück eine Episode.Das Buch, das er jetzt aber geschrieben hat, zur Fotografie der Stasi hast du ja als Pdf vorab erhalten und als du das dann elektronisch durchgeblättert hast, was hast du so spontan gedacht zu diesen Fotos der Stasi?
Maximilian Schönherr: Rückfrage, macht es einen großen Unterschied das elektronisch durchzublättern? Also das klingt eigentlich sehr technisch, ich lese Bücher total gerne auf dem IPad, also lieber als im Buch zu blättern.
Dagmar Hovestädt: Bei Fotografien, würde ich sagen, irgendwie hat man die doch gerne etwas größer in der Hand und blättert die so durch, blättert die nach vorne und nach hinten und springt ein bisschen hin und her und das kann man natürlich elektronisch auch machen, aber ich weiß gar nicht bei Fotografien dachte ich irgendwie, das es schöner ist, die in der Hand zu halten und durchzublättern als Buch.
Maximilian Schönherr: Sieht fantastisch aus auf meinem Gerät die Pdf-Datei und natürlich reizt mich das Thema Fotografie. Man stellt sich ja bei 111 Kilometer Akten nur Text vor und das ist es nun mal auch wahrscheinlich zu 90 Prozent. Es gibt ganz wenige Videos in eurem Archiv, so wie ich das verstanden habe, aber ein riesen Bestand an Fotografien und zwar in verschiedensten Kartons und in Aktenordnern, so stelle ich mir das jedenfalls vor und hier haben wir eine fast unzulässig vereinfachende wissenschaftliche Arbeit, die das reduziert auf einige typische Szenarien. Das heißt von 2 Millionen Fotos, sehen wir nur ein paar wenige, aber sehr konzentriert und wissenschaftlich aufgearbeitet und das finde ich toll an dem Buch und an dem Thema und deswegen habe ich mich gern mit Philipp Springer unterhalten.
Dagmar Hovestädt: Tatsächlich haben wir sogar noch etliches mehr als 2 Millionen Fotos, aber das werdet ihr ja in dem Gespräch auch noch mal weiter besprechen, weil es gibt eben eine große Menge an Fotos, die außerhalb von Unterlagen und konkreten Vorgängen aufgefunden wurden und das sind diese zwei Millionen und zusätzlich dann die Fotos die in diesen Vorgängen noch sind, aber darüber sprecht ihr in dem Gespräch. Ich wollte das ergänzen nochmal und sagen, dass mich das Buch deswegen auch begeistert hat, weil Philipp Springer versucht hat diese riesen Menge an Fotos zu Clustern, also diesen Bestand in dem Buch in sieben Kapitel aufgeteilt und die bilden für mich auch so etwas wie ganz hilfreiche Kategorien sich damit zu beschäftigen um dieses Fotowerk auch besser zu verstehen und da ist so ein Titel wie "Innenansichten", da sind die Fotos, die den Arbeitsalltag der Stasisten dokumentieren, aber auch ihre Freizeit und das Selbstbild oder so ein Kapitel wie "Verbotene Bilder" das sind dann Fotografien, die sozusagen Dinge festhalten, die eigentlich nicht fotografiert werden durften und die zum Teil auch von das Stasi dann beschlagnahmt wurden, die wir aber trotzdem auch noch im Archiv haben.
Maximilian Schönherr: Es gibt ja Leute, die meinen über Fotos müsste man eine Ausstellung haben und da kann man nicht drüber reden, weil ein Foto nun mal was bildliches ist und nicht was akustisches. Ich finde das Gegenteil ist der Fall. Also mir werden Fotos extrem plastisch, wenn ich Leute drüber reden höre. Es ist wirklich ein erstaunlicher Effekt. Der hängt ein bisschen auch mit den Hörspielen zusammen. In Hörspielen sehen wir ja immer unsere eigenen Räume. Also wir hören ein Paar miteinander sprechen und wir konstruieren uns in unserem Kopf den Raum dazu und wenn wir jetzt in diesem Podcastgespräch über etliche Bilder reden, erscheinen diese Bilder, glaube ich, ganz gut im Kopf auch wenn man dieses Buch nicht gesehen hat.
Dagmar Hovestädt: Die Probe kann man jetzt auf Exempel machen indem wir einfach mit dem Gespräch anfangen. Viel Spaß dabei!
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Maximilian Schönherr: Wir sprechen mit Philipp Springer. Er ist Jahrgang 1970, wenn ich das richtig gelesen habe. Wo und was haben Sie studiert?
Dr. Philipp Springer: Ich habe Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Religionswissenschaften studiert in Göttingen und an den drei Berliner Universitäten. Ich bin eigentlich zum Geschichtsstudium gekommen, weil ich mich besonders für die Antike interessierte und im Laufe des Studiums habe ich mich dann immer näher an die Gegenwart herangearbeitet.
Maximilian Schönherr: Und was hat Sie zum Stasi-Unterlagen-Archiv geführt?
Dr. Philipp Springer: Ich habe zunächst als Kurator von historischen Ausstellungen nach dem Studium gearbeitet, habe auch Forschungsprojekte durchgeführt und bin dann 2012 zu einem Projekt gekommen, hier in unserer Behörde, das sich mit der Kartei und der Archivabteilung des MfS beschäftigte. Also die Diensteinheit, die die Karteien und das Archiv verwaltete, habe ich dort untersucht, welche Mitarbeiter dort gearbeitet haben, wie das Ganze organisiert war. Bei der Arbeit an diesem Thema bin ich immer wieder auch auf Fotografien gestoßen und habe dann auf deren Grundlage dieses Projekt entwickelt, das jetzt zu einem Buch geworden ist.
Maximilian Schönherr: Und das Buch erschien Anfang diesen Jahres, also 2020. Das heißt, es ist noch ziemlich druckfrisch. War es spannend, als Sie das Buch das erste Mal in die Hand nahmen?
Philipp Springer: Ja, es war sehr spannend. Also, natürlich- Es ist immer spannend ein eigenes Buch in der Hand zu halten, aber so ein Bildband ist natürlich nochmal etwas besonderes, weil es immer darauf ankommt: Wie sind die Fotos eigentlich präsentiert in dem Buch? Und natürlich spielt bei so einem Thema eine große Rolle, wie die Menschen, die von den Fotografien der Stasi betroffen waren, es aufnehmen. Und ich hatte auch mit einigen zu tun, die fotografiert worden sind, konnte mit ihnen sprechen im Vorfeld und da denkt man natürlich besonders an die Betroffenen, wenn man so ein Buch in der Hand hält. Was werden die dazu sagen, werden sie einverstanden sein, werden sie zufrieden sein mit dem was man geschrieben hat und was man ausgewählt hat. All solche Gedanken schießen einem dann, wenn man das erste Mal dieses Buch in der Hand hält, durch den Kopf.
Maximilian Schönherr: Das heißt Sie haben jemanden getroffen, der oder die auf den Fotos zu sehen sind in dem Buch?
Philipp Springer: Ja, das war in diesem Fall so, dass die Personen auch auf dem Foto zu sehen waren, aber vor allen Dingen haben sie selber fotografiert. Also der Eine hatte in den 50er Jahren fotografiert, der Andere in den 80er Jahren. Beide waren damals junge Männer. Der Eine, der in den 50er Jahren fotografiert hatte, ist mittlerweile natürlich schon ein älterer, betagter Herr und die beiden waren von Stasi-Leuten beobachtet worden, beim Fotografieren. Der Eine hatte ein Gebäude der Staatssicherheit fotografiert. Der Andere hatte Häuser fotografiert, in denen sowjetische Soldaten gewohnt hatten. Der Eine war festgenommen worden in den Fünfzigern und musste auch eine Woche in Untersuchungshaft verbringen. Der Andere war nur zur Befragung bestellt worden, aber trotzdem war es natürlich für beide auch ein einschneidendes Erlebnis, von dem sie mir dann im persönlichen Gespräch erzählt haben.
Maximilian Schönherr: Was ist das Hauptthema Ihres Buches?
Philipp Springer: Das Hauptthema meines Buches ist die Fotografie der Staatssicherheit. Es geht darum zu schauen, welche fotografischen Dokumente die Staatssicherheit hinterlassen hat. Wenn man jemanden fragt, der sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, dann würde er oder sie sagen: "Fotografien der Staatssicherheit: das sind natürlich Überwachungsaufnahmen." Natürlich ist das ein großes Thema: Überwachungsfotografie, heimlich, konspirativ, sehr schlechte Fotografien in der Regel, aber die Staatssicherheit hat natürlich noch viel, viel mehr Fotografien hinterlassen, ganz unterschiedlicher Art. Sie haben bei Wohnungsdurchsuchungen fotografiert, sie haben Tatortfotografien gemacht, entweder bei einem Verbrechen, das in der DDR passiert war oder natürlich bei Grenzvorfällen, also wenn Menschen geflohen sind oder versucht haben an der Grenze zu fliehen. Dann kamen am nächsten Tag auch Stasi-Offiziere und haben die Spuren fotografiert. Wir haben Fotos von inoffiziellen Mitarbeitern, die konspirativ fotografiert haben, etwa um die Lebenssituation von Beobachteten zu dokumentieren. Die Stasi hat aber auch fotografiert, wenn sie ihre eigenen Arbeitsabläufe dokumentieren wollte. Im Buch ist zum Beispiel ein Foto von einem Karteirollwagen, den Stasi-Leute selber zusammengezimmert haben und damit ihre Arbeit vereinfacht haben und diesen Rollwagen haben sie dann auch fotografiert. Also es gibt sehr viele verschiedene Arten der Fotografie.
Maximilian Schönherr: Es ist die Rede von 1,3 Millionen Fotos beziehungsweise Negativen und Dias. Jedenfalls war das in der Publikation von Karin Hartewig, über die wir nachher noch kurz reden können, eine Zahl. Wie kommt so eine Zahl zustande? Es sind doch- Alle möglichen Abteilungen haben Fotos gemacht. Die wurden natürlich nicht, wie in einem ordentlichen Archiv, zusammengeführt sondern liegen verstreut, auch jetzt wahrscheinlich immer noch weitgehend verstreut, herum. Wie kommt man auf so eine Zahl?
Philipp Springer: 1,3 Millionen ist eine Zahl, die den Umfang nicht angibt. Also als Karin Hartewig dazu geforscht hat, das ist ja auch schon mehr als ein Jahrzehnt her, da ist man noch von der Zahl ausgegangen. Mittlerweile sagt man, dass allein in der Fotosammlung unserer Behörde an die 2 Millionen Fotos liegen. Das sind Fotos, die in der Regel kontextlos überliefert worden sind. Man muss sich das so vorstellen, dass in den Büros der Hauptamtlichen Mitarbeiter auf den Schreibtischen Fotos lagen ohne das man weiß, woher die eigentlich kamen. Und diese Fotos werden dann von den Archivarinnen und Archivaren unseres Hauses dokumentiert. Sie versuchen etwas darüber herauszufinden, was man da eigentlich sieht. Das ist die Fotosammlung und dann gibt es natürlich noch Fotografien in Akten selber. Und das ist vermutlich ein nochmal ähnlich großer Bestandteil der Überlieferung. Eingeklebt in Akten oder Negativstreifen, die eingelegt sind. Diese Fotos hat man noch nicht gezählt und das ist halt ein sehr großer Aufwand. Man müsste ja in jeder Akte nachschauen wie viele Fotos dort eigentlich liegen. Eine genaue Anzahl wird man vielleicht einmal in einigen Jahrzehnten haben, wenn vielleicht alles digitalisiert ist.
Maximilian Schreibtischen: Jetzt möchte ich gerne eine Klammer aufmachen und auch gleich wieder zumachen. Wir sprechen ja vom Inlandsgeheimdienst der DDR. Es gab natürlich in anderen Ländern, benachbarten Ländern zum Beispiel der Bundesrepublik, den Dienst Gehlen und nachher den BND. Die machen auch Fotos. Wissen wir irgendwas darüber, wie gut die Qualität ist und ob die Themen unterschiedlich sind?
Philipp Springer: Ja, der BND hat ja mittlerweile auch angefangen seine eigene Geschichte zu erforschen. Die Fotografie hat, meines Wissens, zwar noch keine große Rolle gespielt und das ist ja auch so bei der Erforschung der Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit hat eben bislang die Fotografie auch noch keine große Rolle gespielt. Abgesehen von der Arbeit von Frau Hartewig und einem Aufsatz von Axel Dossmann gibt es eben noch keine wirkliche Fotogeschichte der Staatssicherheit. Insofern kann man nur hoffen, dass in den kommenden Jahren, auch Jahrzehnten vielleicht dann auch der BND seine Bildarchive öffnet. Manches wird sich sicher überschneiden. Natürlich wird dort auch konspirativ fotografiert worden sein. Vielleicht nicht in der Menge, aber die technische Ausstattung war möglicherweise ja auch besser beim BND. Aber das sind natürlich Spekulationen, die vielleicht irgendwann mal die Forschung beantworten wird.
Maximilian Schönherr: Also Karin Hartewig ist Historikerin, so wie ich das verstanden habe. Sie hat 2004 ihr Buch über die Fotos der Stasi gemacht. Das ist sozusagen das, worauf Sie auch quellenmäßig öfter verweisen. Und sie schreibt eigentlich eine Kritik am Stasi-Unterlagen-Archiv. Sie sagt: "Alle Observationsfotos des MfS werden geschwärzt, selbst wenn die Fotografierten erkennbar die Öffentlichkeit suchten. Es steht da ein bisschen weiter unten der Konflikt zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der originären Aufgabe des BStU, Strukturen, Arbeitsweisen, Methoden des MfS zu erhellen, entschied sich die Behörde immer häufiger gegen ihren Auftrag zur historischen Aufklärung." Das hängt ein bisschen mit dem Kohl-Urteil, müssen wir jetzt nicht groß ausbreiten, aber können Sie diese Kritik verstehen, teilen? Sie sind ja angestellt beim BStU.
Philipp Springer: Frau Hartewig hat meines Wissens auch die Studie sozusagen im Auftrag des BStU damals gemacht. Aber natürlich ist man da immer in einem Zwiespalt. Wie geht man mit den Fotografien um? Das ist auch nochmal was anderes, als Textdokumente. Wenn da eine Name geschwärzt ist, fällt das nicht so sehr auf, wie bei einer Fotografie wenn man das Gesicht schwärzt. Geschwärzt heißt natürlich nur für die Öffentlichkeit, das muss man natürlich immer wieder dazu sagen. Die Fotos liegen natürlich so wie die Stasi sie gemacht hat bei uns im Archiv. Vielleicht wird man in einigen Jahrzehnten auch mal anders auf diese ganze Geschichte schauen und dann die Fotos anders veröffentlichen. Aber unser Auftrag ist natürlich immer auch der Schutz der Betroffenen. Das spielt natürlich eine ganz, ganz große Rolle und ist wichtig, denn es gibt eben auch Fälle wo Leute sich vielleicht bloßgestellt gefühlt haben, wenn Fotos von ihnen veröffentlicht wurden. Man muss da sehr vorsichtig sein. Im Bildband "Der Blick der Staatssicherheit" war ich doch sehr zurückhaltend, habe versucht Fotos zu wählen, wo vielleicht nicht so viele Menschen mal drauf sind. Und trotzdem musste natürlich auch ein Teil der Fotos entsprechend bearbeitet werden.
Maximilian Schönherr: Und es ist dann wirklich ein Schlag ins Gesicht, wenn man mit diesen Facetten, Unkenntlichmachungen, Gesichter sieht. Weil, da ist dann jemand der sitzt und irgendwas schreibt, ich glaube jemand in einer Gefängniszelle. Seltenes Foto sowas, wenn ich Ihr Buch richtig gelesen habe. Und wir sehen sein Gesicht nicht. Obwohl das Gesicht das Bild füllt.
Dr. Philipp Springer: Ja, also fototheoretisch sozusagen ist das natürlich sehr schlecht, wenn man ein Foto so verpixelt. Eigentlich ist das dann ja nicht mehr viel wert, weil man nichts mehr erkennt. Der Mann, um den es da ging, der saß nicht in einer Zelle, aber die Stasi wollte ihn unter Druck setzen mit diesem Foto. Also er schreibt da sozusagen einen Bericht, eine Art Spitzelbericht, und machte dieses Foto, um ihn später vielleicht damit unter Druck setzen zu können, insofern- -
Maximilian Schönherr: Das weiß man jetzt woher?
Dr. Philipp Springer: Das weiß man aus der Akte, in der dieses Foto eingeklebt war. Beziehungsweise es waren drei Fotos und da schreibt eben der entsprechende Mitarbeiter: Wir haben diese Fotos gemacht, um ihn später damit unter Druck zu setzen. Man hat es offenbar nicht gemacht, aber dafür hat man die Fotos angefertigt, diese drei.
Maximilian Schönherr: Ja. Es war auch keine Kritik an Ihrem Buch, also dass man den jetzt verpixelt. Das ist so – Schutz der Persönlichkeit.In dem Buch von Karen Hartewig spielt ein Mann eine wichtige Rolle. Sie zitiert ihn auch ausführlich und zwar Hauptmann Wolfgang Weißbach. Wer war das? War der wichtig?
Dr. Philipp Springer: Ja, er war schon wichtig. Also er hat ja eine typische MfS-Karriere, allerdings in größere Höhen als der gewöhnliche MfS-Mann. Also er ist aufgestiegen bis zum stellvertretenden Hauptabteilungsleiter der Abteilung VIII. Und er kam aus ganz einfachen Verhältnissen aus dem Erzgebirge. Sein Vater war im Krieg gefallen, seine Mutter trat 1946 schon in die SED ein und da war in gewissem Sinne auch seine Biografie schon vorgezeichnet. Er kam dann 1954, mit 18 Jahren zu Staatssicherheit, zunächst als Kraftfahrer und offenbar stellte er sich dann doch als so tauglich heraus, dass er dann immer größere Höhen sozusagen erklomm - über Referatsleitungen und so weiter bis nach Berlin.Ich habe ihn in dieses Buch aufgenommen, weil einerseits in seiner Kaderakte – also seine Personalakte, sozusagen – Fotos aus unterschiedlichen Lebenszeiten von ihm versammelt sind. Also die Stasi hat in den 80er Jahren angefangen, Fotos von hauptamtlichen Mitarbeitern auch in die Kaderakte aufzunehmen, um sozusagen die biografische Entwicklung dieser Menschen auch zu dokumentieren. Also, es sind drei Fotos nebeneinander geklebt in der Akte.Und darüber hinaus ist Weißbach eben auch sehr interessant, weil er schon in den 60er Jahren sich mit Fotografie beschäftigt hat. Sehr intensiv. Er hat eine Diplomarbeit an der Hochschule des MfS in Potsdam geschrieben, über Fotografie und wie man sie am besten für konspirative Zwecke einsetzt. Er war also, man kann schon sagen, einer der Vorreiter der Fotografie in der Staatssicherheit. In den 50er Jahren hat die Fotografie noch nicht so eine große Rolle gespielt wie nachher in den 70er, 80er Jahren und dafür steht eben Wolfgang Weißbach.
Maximilian Schönherr: Sowohl inhaltlich, also was man fotografiert, als auch technisch, mit welcher Blende und so weiter, man das fotografiert?
Dr. Philipp Springer: Ja, sowas hat auch eine Rolle gespielt bei ihm, aber es geht auch um Verkleidungsfragen und wie man sich an Personen annähert, die man fotografieren möchte. Er fragt aber auch generell nach der Rolle der Fotografie, also es geht bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit. Also er schlägt auch vor, dass man in der Öffentlichkeitsarbeit des MfS auch Fotografie einsetzen kann. Gleichzeitig problematisiert e aber auch, dass man in gewöhnlichen Gerichtsprozessen dann die konspirativ fotografierten Fotos nicht einsetzen konnte, weil dann die Staatssicherheit natürlich ihre Hilfsmittel, ihre Tätigkeit sozusagen, hätte offenlegen müssen. Es gibt also dann spätere Fälle, wo man sozusagen Tatorte nochmal fotografiert hat, um eben nicht Stasi-Fotos in öffentliche Gerichtsprozesse einfließen zu lassen. Also auch so etwas thematisiert er dort in seiner Diplomarbeit.
Maximilian Schönherr: Also, da gibt's ein herrliches Zitat und das ist, glaub ich, typisch für Weißbach. Ich zitiere: "Dem Objekt folgte unmittelbar in den Park eine Beobachterin mit den Fotomodellen 'Kinderwagen' und 'Damenhandschuhe'. Die Begrüßung zwischen Objekt und Treffpartner wurden mit dem 'Kinderwagen' dokumentiert. Der Treff, der auf einer Parkbank durchgeführt wurde, konnte von der Beobachterin aus circa 15 Meter Entfernung mit dem Fotomodell 'Damenhandtasche' - in Klammern Robot mit 75 Millimeter Teleobjektiv - dokumentiert werden."Typisch, oder?
Dr. Philipp Springer: Ja, das ist typisch. Also Fotomodelle [lacht] das meint etwas anderes, als man vielleicht gemeinhin darunter versteht. Das sind getarnte Fotoapparate und da gab es eine riesige Vielfalt an Möglichkeiten.Es gab auch im Ministerium für Staatssicherheit das sogenannte Neuererwesen, was auch typisch war für die DDR. Also wenn ein Mitarbeiter eine Idee hatte für eine Verbesserung in irgendeiner Form, dann hat er einen Neuerervorschlag gemacht und so etwas gab es im MfS auch. Und da gibt es eine Vielzahl von solchen Neuerervorschlägen die Fototechnik betreffen. Einkaufsbeutel, Aktentaschen, die erwähnten Kinderwägen – all sowas wurde genutzt, um da Fotoapparate einzubauen und dann konspirativ damit zu fotografieren. Deswegen haben die so einen erstaunlichen Namen, aber dahinter verbirgt sich eben immer ein Alltagsgegenstand, in den dann sehr aufwändig manchmal ein Fotoapparat eingebaut wurde, damit er nicht von außen erkannt wurde.
Maximilian Schönherr: Klingt natürlich mit unserer heutigen Überwachungstechnik verglichen, richtig putzig, [Dr. Springer lacht] aber war es damals auch im Westen ganz bestimmt nicht. Also, man hat nun mal jemandem einen Gips angelegt, um da drin ein Objektiv zu verstecken, womit der dann unbemerkt jemanden fotografieren konnte.
Dr. Philipp Springer: Genau, also solche erstaunlichen Fotomodelle gibt es auch. Einen Gipsarm, sowas sieht man ja immer wieder auch auf der Straße sozusagen und niemand würde da einen Fotoapparat drinnen erwarten. Aber auch so etwas hat die Stasi gebaut.
Maximilian Schönherr: Das war so die Zeit, als die Spionagekameras aufkamen, die Minox. Das ist eine winzige Kamera, die man so aufziehen konnte und in jedem Spionfilm aus den 1950er, 60er Jahren spielte diese Kamera die wichtigste Rolle. Ich hatte den Eindruck in den Fotos, die Sie zeigen, waren größere Objektive am Werk, das waren typischer Weise wahrscheinlich die kleinen Spiegelreflexkameras aus DDR-Produktion.
Dr. Philipp Springer: Ja, aber auch westliche Fotoapparate wurden von der Stasi eingesetzt. Also man sah da keinen Hinderungsgrund, auch westliche Technik einzusetzen um zu fotografieren. Gerade was auch die Sofortbildkameras angeht, da war ja der Westen auch, denk ich mal, sehr viel weiter Ende der 60er Jahre und dann hat man im Westen halt gegen Devisen solche Geräte eingekauft und dann auch für die Staatssicherheit eingesetzt.
Maximilian Schönherr: War natürlich super, wenn man Wohnungsdurchsuchungen – entnehme ich jetzt auch Ihrem Buch – gemacht hat und mal eben – das können wir nur mutmaßen, weshalb das gemacht wurde – aber mit einer Sofortbildkamera! Also, man nimmt auf und das muss man jetzt nicht ins Entwicklungslabor bringen, sondern es kommt das Foto raus. Um anzugucken: Wir haben durch einen Einbau der Wanze hinter dem linken Bett nicht zu viel Unordnung geschaffen? Jetzt sehen wir, wie es vorher aussah – also richten wir das Kopfkissen noch ein bisschen anders hin.
Dr. Philipp Springer: Genau, also da sieht man, wie im Alltag der Geheimpolizei eben die Fotografie eingesetzt wurde, welche Rolle sie da spielte und dass das natürlich ganz neue Möglichkeiten eröffnete, wenn man eben so die Wohnungsdurchsuchung begleiten konnte und eben sicherstellen konnte, dass man im Nachhinein nicht von dem Bewohner da entdeckt wurde dann.
Maximilian Schönherr: Würde ich jetzt gerne das dazu passende Foto ansprechen, was in Ihrem Band ist, nämlich Gertrud Mielke. Die Frau von Erich Mielke, dem ewigen MfS-Chef. Die hat so eine Polaroid-Kamera auf einem Schiff. Weiß man darüber mehr? Und warum haben Sie das Bild gewählt?
Dr. Philipp Springer: Ich fand dieses Foto ganz interessant, weil es eben damals eine ganz moderne Sofortbildkamera, eine Polaroid, zeigt, die ganz neu auf dem amerikanischen Markt war. Man sieht dort auf dem Foto Frau Mielke bei einem Bootsausflug, also auf einem DDR-Staatsschiff, über den Müggelsee natürlich. Sie begleitet mit ihrem Mann einen hochrangigen KGB-Offizier, der zu Besuch war und es war sozusagen eine sommerliche, nette Atmosphäre und Frau Mielke hat dann eben private Aufnahmen gemacht mit eben so einer Sofortbildkamera, die ganz offensichtlich die Staatssicherheit ihr besorgt hatte, die vielleicht ihr Mann ihr geschenkt hat. Mehr weiß man darüber nicht, nur, dass sie eben damit fotografiert. Aber man sieht eben, wie moderne Technik eben in den Alltag der Staatssicherheit auch integriert wurde. Und ich fand dieses Foto einfach ganz interessant und hab das dann eben aufgenommen. Also diese Verbindung von Alltag, Fototechnik und eben Mielke kann man hier mit den Händen greifen.
Maximilian Schönherr: Und der Kontext, den Sie jetzt gerade beschrieben haben, dass da jemand wichtiges mit an Bord war, dass es der Müggelsee war – woher wissen Sie das? Weil es wieder eingeklebt war in eine Akte?
Dr. Philipp Springer: Nee, in diesem Fall war es eine umfangreiche Fotoserie und man betrachtet ja nicht nur dieses einzelne Foto sondern eben auch alle Fotos drum herum. Man kann dann- -
Maximilian Schönherr: In einem Stapel oder einer Kiste oder..? Sie haben natürlich direkt Zugang zu der Kiste. Sie bekommen die ja nicht in den Leseraum serviert sondern Sie gehen da hin, ne?
Dr. Philipp Springer: Ja, beziehungsweise entweder sind die schon digitalisiert worden von den Kolleginnen und Kollegen in der Archiv Abteilung oder sie liegen in Akten. Also zwischen Aktendeckeln. Also, es ist ja jetzt nicht mehr so, dass es wirkliche Kisten sozusagen sind, in denen wir dann wühlen können; sondern auch als wissenschaftliche Mitarbeiter bekommt man eben die aufbereiteten Akten vorgelegt oder ins Büro.Und das war hier so, dass das eben eine umfangreiche Fotoserie war und man dann erschließen kann wo das stattfand, wenn man diese Fotos analysiert.
Maximilian Schönherr: Das ist auch ein wichtiges Thema in Ihrem Buch: der quellenkritische Umgang mit Fotos. Das ist mit Texten ganz anders als mit Bildern. Das wäre jetzt ein Beispiel. Man guckt das Umfeld dieses Bildes an und kann es dann irgendwie einordnen. Und es wimmelt in Ihrem Buch natürlich von Bildern, wenn man die einfach nur anguckt, ohne die Bildunterschrift, ohne den Kontext, ohne den quellenkritischen Umgang damit – dann versteht man es überhaupt, dann kann man das Buch gleich weglegen.Der quellenkritische Umgang mit Fotos, ist der überhaupt großflächig möglich? Oder waren das im Wesentlichen schon Zufallsfunde, die Sie da präsentieren?
Dr. Philipp Springer: Nein, man muss an Fotografien genauso wie an Texten quellenkritisch herangehen. Wir neigen nur als Menschen dazu, Fotos für wahrer zu halten als Texte. Weil Fotos hinterfragt man oft nicht sofort, wie bei Texten. Auch dafür ist dieses Buch natürlich eine Hilfestellung, dass man den Blick darauf lenkt: Was muss ich hier eigentlich kritisch betrachten? Was sehe ich hier eigentlich tatsächlich? Das ist bei dieser Art der Fotografie ungemein wichtig, dass man sich sozusagen nicht von dem Visuellen überwältigen lässt. Und das habe ich eben versucht in dem Buch dann auch anschaulich werden zu lassen.Ja, also man muss schauen welche Dinge sehe ich auf dem Foto? Auch im Hintergrund. Man kann manchmal Fotos datieren, weil ein Wandkalender an der Wand hängt. Auf dem Titelfoto des Buches zum Beispiel sehen wir einen hauptamtlichen Mitarbeiter, der offenbar aus Langeweile in einen Autoseitenspiegel fotografiert und- -
Maximilian Schönherr: Tolles Bild.
Dr. Philipp Springer: Ja. Man weiß da eigentlich nichts dazu, aber im Hintergrund kann man die Bodenkonstruktion des Fernsehturms am Berliner Alexanderplatz erkennen. Es ist unverwechselbar, auch die Gebäude dort hinter und das ermöglicht dann zunächst einmal eine genaue Beschreibung des Ortes, an dem das Foto fotografiert worden ist. Und so kann man dann eben weiter gehen, wenn man dann noch andere Fotos hat, dann kann man die Datierung möglich machen, man kann ja auch manchmal an der Kleidung erkennen: Ist das jetzt aus den 50er Jahren oder aus den 80er Jahren?Also da braucht man sehr viel Zeit, um so ein Foto wirklich auch nutzbar zu machen und manchmal muss man auch sagen: Es gelingt nicht, da sehe ich nur das, was ich sehe und ich hab keine weiteren Informationen. Aber auch solche Fotos gibt es natürlich jede Menge hier.
Maximilian Schönherr: Was Sie gerade beschreiben kenne ich ziemlich gut aus dem Audiobereich von Ihrem Archiv. Weil da natürlich oft Kassetten liegen, auf denen nix draufsteht. Und dann muss man Kontext suchen und oft findet man ihn eben nicht.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: 111 Kilometer Akten –
Sprecher: …den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs.
Maximilian Schönherr: Ich wollte ein Zitat aus Ihrem Buch noch lesen. "Eine umfassende Erforschung dieser Form der Überwachung" – also Überwachung durch Fotografie – "steht bislang ebenso aus wie eine fundierte Diskussion der Frage, wie effizient sie überhaupt war. Darüber weiß man tatsächlich nichts." – Kann man das überhaupt erforschen, wenn Sie jetzt jemanden zehn Jahre lang auf die 2 Millionen Fotos loslassen? Gibt es da eine Chance? Wie fängt man da an?
Dr. Philipp Springer: Ja, das müsste man punktuell tatsächlich machen, dass man einzelne Überwachungsvorgänge heranzieht und dann mal schaut, welche Rolle hat die Fotografie da eigentlich gespielt und wo hat sie diesen Überwachungsvorgang eigentlich ganz wesentlich unterstützt oder möglich gemacht. Es kann ja manchmal auch sein, dass auch Stasi-Leute fotografiert haben, weil es möglich war, aber letztlich das Produkt eigentlich überflüssig war und man auch Schriftquellen hätte heranziehen können und das hätte dann gereicht, sozusagen. Andererseits gibt es eben auch Fälle, wo man zum Beispiel einen Betroffenen im Blick hatte und der Besuch hatte und dann hat man alle Besucher durchfotografiert und hat dann nachträglich im Büro der Staatssicherheit dann ermittelt. Welche Besucher sind denn da eigentlich auf diesen Fotos zu sehen und konnte dann dort wieder ansetzen und weitere Überwachungsmaßnahmen in die Wege leiten. Da sieht man eben, dass Fotografie für den täglichen Arbeitsprozess da eine große Rolle auch spielte und sozusagen die Überwachung auch befördert hat.Und das könnte man natürlich mal in einem größeren Forschungsprojekt in die Tiefe gehend näher auswerten, ne, welche Rolle tatsächlich die Fotografie gespielt hat.
Maximilian Schönherr: Wenn ein IM eine Serie von Fotos gemacht hat, von einer verdächtigen Person, die jetzt 85 mal aus dem Hauseingang trat; musste ein paar Mal den Film auch wechseln – wenn der das aufgenommen hat, wo hat er denn das entwickeln lassen?
Dr. Philipp Springer: Also so pauschal kann man das, glaube ich, gar nicht sagen. Aber er hat sicher sehr oft seinem Führungsoffizier die Filme übergeben. Auch das das geben natürlich die Akten nicht immer her, den genauen Prozess, wie die Fotografe entstanden ist und wie sie dann ins Ministerium für Staatssicherheit gelangt ist. Aber gerade in der Frühphase der DDR war natürlich Fotografie noch nicht so weit verbreitet, noch nicht so üblich. Da hatte nicht jeder unbedingt einen Fotoapparat oder konnte so fotografieren, wie wir das heute können. Es gab noch nicht so viele Fotolabore, wo Fotos entwickelt wurden. Also das hat die Stasi oft auch selber gemacht, auch aus Gründen der Konspiration. Man wollte natürlich nicht irgendeinen Drogisten, der damals für Fotoentwicklung zuständig war, solche Fotos in die Hand geben, die man eben für die Arbeit der Geheimpolizei benötigte. Also da gab es ja unterschiedliche Wege, wie dann die Fotos und die Filme an die Staatssicherheit gelangt sind.
Maximilian Schönherr: Also in Rostock zum Beispiel. Wenn ich in Rostock jetzt fotografiert hätte. Da gab es ja einen Stasi Stützpunkt. Dann hätte ich die Negative wahrscheinlich dort abgegeben, die hätten es ans MfS mit einem Transporter geschickt, zusammen mit anderen Akten, und dort wären sie entwickelt worden? Gab es so ein Entwicklungslabor in Lichtenberg?
Dr. Philipp Springer: Ja, es gab verschiedene Entwicklungslabore. Auch die Diensteinheiten haben zum Teil auch eigene Labore gehabt, je nachdem wie viel sie fotografiert haben. Nicht jede Diensteinheit hat fotografiert, also die von mir erwähnte Kartei- und Archivabteilung hatte natürlich in den 80er Jahren natürlich kein großes Fotolabor. Sondern man wollte eigentlich in der Stasi das alles zentralisieren, auch aus ökonomischen Gründen. So ein Fotolabor ist ja teuer. Man muss die Technik anschaffen, das ganze Filmmaterial und so weiter. Das wollte die Stasi schon alles sehr zentralisiert haben, aber in den Bezirksverwaltungen, wenn Sie jetzt Rostock angesprochen haben, da gab es natürlich eigene Labore, wo dann diese Fotos entwickelt wurden und es war jetzt nicht so, dass ein IM sozusagen von sich aus da zur Bezirksverwaltung gegangen wäre und am Eingang gesagt hätte: So, hier – ich hab jetzt hier eine Kiste Filme, entwickelt die doch mal! Sondern wenn, dann hat er die seinem Führungsoffizier übergeben. Vielleicht wenn er auch Fotograf war oder sich fototechnisch auskannte hatte er die vielleicht auch selber Zuhause entwickelt und dann die Papierabzüge dem Stasi-Offizier übergeben.
Maximilian Schönherr: Haben Sie denn den Eindruck, dass bei den 2 Millionen Fotos die ausbelichteten Fotos - also die, die wir in die Hand nehmen können und angucken können – die Mehrzahl sind? Oder liegen da Negative, wo niemand in die Rollen reingeguckt hat, die vielleicht noch gar nicht entwickelt wurden? Gibt es solche Sachen auch?
Dr. Philipp Springer: Ja, so etwas gibt es auf jeden Fall noch. Die Fotos der Fotosammlung sind zu einem erheblichen Teil schon erschlossen worden. Da hat man zumindest erste Anhaltspunkte, was da zu sehen ist. Aber es gibt natürlich auch noch Negativstreifen in Akten, mit denen sich noch niemand intensiver beschäftigt hat. Das ist schon lohnenswert da rauf zu gucken. Manchmal ist es auch so, dass die Papierabzüge anders aussehen als die dazugehörigen Negative. Manchmal hat man das Glück sozusagen, beides in der Akte zu finden und dann stellt man fest, dass bei den Papierabzügen beispielsweise die Köpfe abgeschnitten sind. Aus Gründen der Konspiration wollte man nicht den hauptamtlichen Mitarbeiter darauf sehen. Aber auf den negativen ist dieser Kopf noch zu sehen. Also da kann man sehen, wie wichtig das ist, eben beides zu betrachten und nicht nur die Papierabzüge.
Maximilian Schönherr: Sie sprechen im Buch die männliche Sicht an. Damit ist gemeint: Es sind Männer, die am liebsten Frauen fotografieren?
Dr. Philipp Springer: ja, also ich habe festgestellt, dass der Blick der Staatssicherheit, so wie wir ihn hier auf diesen Fotos finden, fast immer ein männlicher Blick ist. Es haben jedenfalls die, die ich ermitteln konnte, bei denen handelt es sich immer um Männer, die fotografiert haben. Das ist, denke ich mal, eine wichtige Erkenntnis. Und ich hab das anhand eines Beispiels im Buch auch dokumentiert. Da sieht man Testfotografien, also da war eine Gruppe von Hauptamtlichen die sozusagen das Fotografieren geübt haben, und die haben auf einer Straße in Karl-Marx-Stadt fotografiert und es sind fast ausschließlich Fotos von Frauen dabei entstanden. Also die haben heimlich fotografiert und wenn sie jemanden fotografiert haben, dann haben sie eine Frau fotografiert. Meistens.Und das ist natürlich schon ein interessantes Phänomen, dass wir eben hier nicht nur einen Blick von Geheimpolizisten sondern einen Blick von männlichen Geheimpolizisten sehen und darüber lohnt es sich sicher auch nachzudenken, wenn man sich mit der Fotografie der Staatssicherheit beschäftigt.
Maximilian Schönherr: Woher wissen sie denn, dass bei diesem Experiment, was sie gerade beschrieben haben, nur Männer fotografiert haben?
Dr. Philipp Springer: In dem Fall war es tatsächlich so, dass auch die Namen dieser sozusagen Testteilnehmer auch dokumentiert waren und ich konnte mir dann die entsprechenden Kaderakten heranziehen und auch feststellen, dass die alle doch aus einer ähnlich Altersgruppe stammen und so weiter und so fort. Also man kann dann natürlich genauere Analysen dieser Fotografen vornehmen und das habe ich in dem Fall gemacht und festgestellt, das sind eben alles Männer, also auch wenn ich nur den Nachnamen hatte, konnte ich eben feststellen, das sind dann doch alles Männer und ja auf den Fotos sind eben wie gesagt hauptsächlich Frauen zu sehen.
Maximilian Schönherr: Kein Wunder, dachte ich mir, als ich ihr Buch las, das im Konvolut das Ministerium für Staatssicherheit auch Fotos von vor der DDR-Gründung zu sehen waren. Also sie zeigen eine Exekution, da wurde jemand erhängt, das fand der wahrscheinlich zu Nationalsozialismuszeiten statt. Warum sind diese Fotos da? Sind die an einem speziellen Ort gespeichert worden oder waren das auch Zufallsfunde?
Dr. Philipp Springer: Also das waren Zufallsfunde und ich habe eben entschieden eins dieser Fotos auch dann zu zeigen. Das stammte aus einem Dorf, ich glaube, in der Nähe von Schwerin und dort hatte das jemand möglicherweise getauscht, offenbar nicht selber fotografiert, eben während des zweiten Weltkrieges offenbar in der Sowjetunion, also es ist keine genaue Datierung, kein Ort, aber es ist ein typisches Foto, wie es viele tausende von Wehrmachtssoldaten und SS-Leuten in der Sowjetunion und Polen gemacht haben bei solchen öffentlichen Exekutionen. Solche Fotos gab es auch im Westen natürlich, die halt die Soldaten mit nach Hause gebracht haben und heute sind sie in der wichtige Quelle auch um den Terror des NS-Regimes in den besetzten Ländern zu zeigen und zu befragen und für die Staatssicherheit war das natürlich schon ein wichtiges Thema, wenn sie auf solch ein Foto gestoßen sind. Sie haben dann geguckt, ob jemand aus dem Dorf an so einer Exekution beteiligt war. Warum haben die diese Fotos aufgehoben? Was haben die da eigentlich mit gemacht? Und sie haben dann analysiert wer eigentlich der Besitzer war und ob der möglicherweise auch Westkontakte hatte und all sowas. Das war sozusagen ein Anlass um sich näher mit solchen NS-Traditionen in der DDR-Gesellschaft zu beschäftigen.
Maximilian Schönherr: Wir legen jetzt mal unseren Finger noch in mehrere DDR-Wunden indem wir kurz über ein paar konkrete Bilder sprechen, das war jetzt eines zum Beispiel. Gertrud Mielke mit der Polaroid-Kamera ist ein fantastisches Foto, weil es so ein typisches Urlauber Foto ist, ein ganz harmloses Urlauber Foto ist. Andere Sachen wie zum Beispiel das ist eines meiner "Lieblings-Bilder" in ihrem Buch ist der Fluchtversuch in der Zugtoilette 1985. Können Sie es gerade mal aufblättern?
Dr. Philipp Springer: Ja ich schlag das Buch einmal auf. Ja das stammt tatsächlich aus einem Waggon der deutschen Bundesbahn, also nicht der DDR-Reichsbahn sondern der Bundesbahn und zwar hatte in einem baugleichen Waggon ein Pärchen versuch die DDR illegal zu verlassen. Der Mann hatte herausgefunden, dass es Hohlräume über den Toiletten in den Eisenbahnwaggons gab und der ist dann mit seiner Freundin heimlich in so einen Hohlraum gestiegen und bevor sie allerdings dann die innerdeutsche Grenze überschritten haben mit dem Zug, wurden sie entdeckt und verhaftet und dann eben später auch verurteilt. Man muss dazu wissen, dass die Frau auch schwanger war in der Zeit und die wollten eben gemeinsam ein neues Leben im Westen beginnen und folgt man den Stasi-Akten war die Beziehung dann schon während der Haft beendet und die Frau hat sich von dem Mann getrennt sozusagen während der Inhaftierung. Also es ist eine Fotoserie, die einen typischen Tatort sozusagen eine Tatortrekonstruktion zeigt, so was findet man immer auch wieder in Stasi-Akten also, umfangreiche Serien die eingeklebt sind in so genannte Bild-Dokumentation, oft mit roten Pfeilen markiert, was eben den Stasi-Leuten wichtig war auf den Fotos, wenn man diese Fotos sieht ist man erst mal sehr überrascht, weil man überhaupt nicht weiß, was man da eigentlich sieht, gerade das Foto was sozusagen einen Stasi-Mann in diesen Hohlraum zeigt. Man sieht eigentlich nur seine Füße heraushängen und das ist eben in der Zugtoilette fotografiert nach oben, also an die Decke fotografiert und das muss man sozusagen erstmal als Betrachter verstehen, sonst ist es ein ja sehr rätselhaftes Foto. Man sieht dort den Wassertank von der Klospülung noch und eben wie gesagt die Füße des Stasi-Mitarbeiters, ein sehr ungewöhnliches Foto. Die anderen beiden Fotos zeigen dann die Zugtoilette von außen mit dem Zulauf Schild und dann auch einen Blick in diese Toilette. Es war sicher für die Stasi-Leute nicht so einfach zu fotografieren, weil es kleine Räume sind.
Maximilian Schönherr: Technisch gute Aufnahmen? Also muss ich schon die Stasi-Mitarbeiter loben, die haben hier gute Objektive und die Blende sowie die Belichtungszeit richtig eingestellt.
Dr. Philipp Springer: Ja und sie mussten für diese Fotos auch eigene Scheinwerfer aufstellen, denn das ganze war nachts der Waggon war da geparkt sozusagen um dann am nächsten Tag wieder in den deutschen Reiseverkehr zu gehen, also sehr aufwendig das ganze um diese Tatortrekonstruktion zu machen.
Maximilian Schönherr: Es wimmelt in dem Buch von Bildern, wo man eigentlich nichts sieht und sich so rein denken muss, was da ist. Beispiel: "Tote Briefkästen" Man sieht da eigentlich nichts, aber sie sind halt immer da und sie sind dokumentiert. Was ist ein toter Briefkasten kurz?
Dr. Philipp Springer: Ein toter Briefkasten ist eine Stelle in einer Stadt, in einem Wald, wo auch immer, an dem Agenten/ Stasi-Mitarbeiter Material hinterließen, das dann andere Agenten/ Stasi-Mitarbeiter sich dort abholen konnten. Also man wollte sich aus Gründen der Konspiration nicht treffen, sondern hat eben dieses Material dort geparkt sozusagen.
Maximilian Schönherr: In der Kiste oder einer Tüte?
Dr. Philipp Springer: Das ist eigentlich schon viel zu groß. Also das waren oft vielleicht auch nur Zettel mit Nachrichten und ähnliches. Also im Buch ist ein Fall aus Gera dokumentiert, wo einfach in einer kleinen Felsspalte einer Mauerritze sozusagen hinter einer Bank in einem Wald etwas platziert wurde und das interessante an dieser Foto Serie ist, dass sie eben sehr umfangreich ist und den Weg vom Bahnhof in Gera zu diesem toten Briefkasten und dann wieder zurück zeigt. Die Stasi hat das sehr aufwendig alles inszeniert. Also es gab Vorzeichen und Nachzeichen, das heißt, der Stasi-Mitarbeiter der etwas dort abholen wollte, musste erst zu einem anderen Ort gehen um zu gucken, ob dort ein Zeichen hinterlassen worden war, das dann anzeigte, ob überhaupt in dem toten Briefkasten irgendwas ist sonst hätte er da gar nicht hingehen müssen. Also schon dieser Weg zu diesem Vorzeichen ist durch fotografiert, also sehr aufwändig, man könnte das im Grunde heute mal nachspielen und einmal diesen Weg ablaufen, so genau ist er dokumentiert hier.
Maximilian Schönherr: Goldene Hochzeit 1976.
Dr. Philipp Springer: Ja ein Foto aus Mannsfeld. Ein Foto wie wir es wahrscheinlich alle in irgendwelchen alten Familienalben haben. Man sieht ein Ehepaar einer goldenen Hochzeit mit vielleicht 20 Festgästen vor der evangelischen Kirche in Mannsfeld stehend. Das Ehepaar natürlich entsprechend stolz mit einem Blumenstrauß in der Hand und ein ganz scheinbar gewöhnliches Foto, aber wenn man die Hintergründe des Fotos kennt, dann ist es weniger gewöhnlich und zwar hat die goldene Braut selber den Fotografen um das Foto gebeten. Dieser Mann war Volkspolizist Abschnittsbevollmächtigter und in dem Ort bekannt als Hobbyfotograf und sie wusste natürlich nicht, dass er gleichzeitig eben auch noch inoffizielle Mitarbeiter für die Staatssicherheit war und sie hatte ihn gefragt: "Können sie nicht dieses Foto machen hier von mir, meinem Mann und den Gästen?" Er hat das dann gemacht und hat ihr auch einen Abzug gegeben, aber er hat auch noch einen weiteren Abzug gemacht und den dann der Staatssicherheit übergeben. Der Grund war vermutlich, dass er dachte, dass die Staatssicherheit Interesse haben könnte an diesem Ehepaar, weil die auch in der evangelischen Kirchengemeinde engagiert waren und ob die Stasi mit dem Foto etwas gemacht hat, das weiß man gar nicht. Vielleicht haben sie es einfach nur abgeheftet, aber so ist das Foto in die Akte gelangt.
Maximilian Schönherr: Bernd Zimpe auch ganz tolles Foto oder vielleicht sogar mehrere Fotos. Da geht es um eine Übung.
Dr. Philipp Springer: Ja diese Fotos das ist eine auch größere Serie, die stammen aus einer Akte, die einen Test dokumentiert mit dem hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter lernen sollten, wie sie Durchsuchungen vernünftig machen und dazu hat sich der Offizier, der diesen Test entwickelt hat, verschiedene Elemente überlegt, die er in einem Zimmer verstecken wollte und er hat er sich nicht nur Dinge, die ist wirklich gab, ausgedacht, sondern sozusagen einen ganzen Lebenslauf eines fingierten DDR-Oppositionellen ausgedacht. Dieser heißt Bernd Zimpe. Also ein erfundener Name und dieser Bernd Zimpe hat zu Hause einen Adresskalender mit Anschriften von Zeitungen, die er mit oppositionellen Material versorgen wollte. Er hat Gedichte zu Hause. Da hat sich der Stasi-Mann auch Titel überlegt zum Beispiel: "Klage der Radikalisten darüber, dass in der DDR die Stalinisten nicht gesiegt haben", das war ein Gedichttitel oder "Lied eines DDR Bürgers", also erfundene Gedichte, dann Dinge der Friedensbewegung, Spiegel und Stern Illustrierte, ein Plakat der polnischen Solidarnosc alles so etwas hat der Stasi-Mann zusammen getragen und dann in einem gewöhnlichen Zimmer versteckt im Kleiderschrank, hinter ein Bild an der Wand, unterm Bett, zwischen Schreibtischunterlagen, überall dort hat er das versteckt und dann sollten hauptamtliche Mitarbeiter in dieses Zimmer gehen und eine Durchsuchung vernünftig durchführen und eben möglichst alles finden, was dort versteckt worden war und um diesen Test eben vorzubereiten, hat der Mitarbeiter eben das ganze Zimmer durch fotografiert den Schrank fotografiert und dort markiert, wo er eigentlich die Dinge versteckt hat und das konnte dann genutzt werden dieses Material um angehende Stasi-Leute eben zu testen, ob sie eben gute Wohnungsdurchsucher sind und so entstand diese Fotoserie.
Maximilian Schönherr: Über das Ergebnis dieses Tests wissen wir wahrscheinlich nichts und wie sind sie darauf gestoßen? Sie haben ja nicht konkret gesucht nach Schulungsmaterialfotografie oder?
Dr. Philipp Springer: Nein, also ich bin auf viele dieser Fotografien eigentlich zufällig gestoßen. Ich habe mir jetzt nicht mehr vorher bestimmte Themen überlegt, dass ich gesagt habe, ich möchte jetzt Fotos zum 17. Juni 1953 finden oder ähnliches sondern ich habe wirklich in unserer Archivdatenbank nach Akten gesucht, die irgendwie etwas mit Fotografie zu tun hatten, wo im Inhaltsvermerk "Foto" darin vorkam um wirklich einen relativ realistischen Durchschnitt sozusagen zu bekommen. Also ich wollte mich eben nicht dadurch begrenzen, dass ich vorher eben Themen formuliert habe und dadurch bin ich auf solche erstaunlichen Fotoserien auch gestoßen, die eben diese Durchsuchungsanordnung zeigen, aber auch viele andere Fotos da stößt man eigentlich nur zufällig darauf. So etwas kann man nicht gezielt suchen.
Maximilian Schönherr: Auf Dynamo Berlin 1983 zum Beispiel, wo sie dann dazu schreiben: "Wir wissen genau welche von diesen jungen Fußballern dann Asyl im Westen gesucht haben", der dritte von links usw. also das ist ein ganz normales Fußballerfoto eben, das ist der ganze Kontext und sie haben wahrscheinlich bei vielen Bildern kein Kontext gefunden und die dann nicht in das Buch aufgenommen.
Dr. Philipp Springer: Ja, also ich habe auch da versucht sozusagen ein guten Durchschnitt zu finden. Also ich habe auch Fotos aufgenommen über die ich eben nichts weiß. Also es gibt ein Foto zum Beispiel vom Regal in einer Zelle, das war fotografiert worden um anschaulich werden zu lassen, wie so ein Regal aussehen darf, was dort wo platziert werden darf, aber wo-
Maximilian Schönherr: Immerhin das wissen sie ja schon, das ist ja schon Kontext.
Dr. Philipp Springer: Das stimmt, dass es schon Kontext, aber in welcher Zelle, in welchem Ort, wann, all so etwas weiß ich da nicht und noch aussagekräftiger ist vielleicht ein Foto aus einem Wald, wo zwei Männer durch einen Wald laufen, da weiß man auch überhaupt nichts. Man sieht nur zwei Männer durch einen Wald laufen, das kann natürlich aus ganz unterschiedlichen Gründen fotografiert worden sein. Vielleicht hatte man einen der Männer besonders im Blick. Vielleicht war es ein inoffizieller Mitarbeiter den Mann überwachen wollte. Vielleicht war es auch nur eine Testfotografie, eine Testserie, die da entstanden ist. All so etwas wissen wir nicht. Es können beschlagnahmte private Fotografien sein, was relativ unwahrscheinlich ist in dem Fall, aber es gibt eben viele Gründe warum ein solches Foto fotografiert worden sein kann, aber um mal anschaulich werden zu lassen wie schwierig die Arbeit mit den Fotografien hier im Archiv ist, habe ich auch einmal bewusst ein solches rätselhaftes Foto aufgenommen.
Maximilian Schönherr: Gibt es was wichtig ist, was wir vergessen haben, was Sie noch sagen wollen?
Dr. Philipp Springer: Ja vielleicht eingangs hatte ich ja schon erwähnt, dass eben hier nicht nur Fotografien liegen, die die Staatssicherheit selber gemacht hat, sondern eben auch Fotos von Betroffenen, die bei Betroffenen beschlagnahmt worden sind. Solche Fotografien sind auch sehr wichtig, weil sie zeigen, dass es durchaus auch Menschen in der DDR gab, die die Fotografie eingesetzt haben um sich auch zu wehren sozusagen und auch das kann Fotografie sein, die bei uns im Archiv liegt. Da sind natürlich die Geschichten hinter den Fotos noch einmal besonders spannend, gerade dann wenn man solche Menschen auch treffen kann und mit ihnen sich darüber unterhalten kann.
Maximilian Schönherr: Letzte Frage, was machen Sie denn heute dann noch?
Dr. Philipp Springer: Ja ich mache jetzt das nächste Projekt, das sich auch mit Fotografie beschäftigt und zwar suche ich Fotografien, die die Arbeit der hauptamtlichen Mitarbeiter dokumentieren. Also wo tatsächlich hauptamtliche Mitarbeiter zu sehen sind bei ihrer Arbeit. Solche Fotos sind sehr selten, weil in den Räumen der Staatssicherheit nicht fotografiert werden durfte. Die Mitarbeiter durften sich nicht gegenseitig fotografieren und solche Fotos trage ich zusammen und versuche herauszufinden, was man auf dem Foto eigentlich sieht. Also wer ist darauf zu sehen, wo kommt der her, was macht der da eigentlich oder die und es ist der Versuch sozusagen einen Einblick in den Alltag der Staatssicherheit zu liefern. Also daran arbeite ich auch ein sehr aufwendiges Projekt sozusagen, das hoffentlich dann auch in einem ähnlichen Bildband münden wird.
Maximilian Schönherr: Wo man tatsächlich dann die Mitarbeiter der Staatssicherheit sieht, wie sie irgendwas tun. Kein Bild bei ihrem jetzigen Band behandelt dieses Thema oder?
Dr. Philipp Springer: Ja, also es kommt einen ganz wenigen Stellen vielleicht auch vor, aber in der Form wie ich das jetzt vor habe eigentlich nicht.
Maximilian Schönherr: Also so eine Jubiläumsfeier wo sie die sich dann mit einem Blitz zum Beispiel aufnehmen, also ein ganz schlechtes Bild eigentlich. Da sitzt einer wie im Rollstuhl im Vordergrund, also bizarre Fotos, das sind natürlich Mitarbeiter.
Dr. Philipp Springer: Genau, das Foto, was sie angesprochen haben, das ist ein Gartenstuhl, den ein hauptamtlicher zum sechzigsten von seinen Mitarbeitern geschenkt bekommen hat und da sitzt er dann drin 1989, auch ein sehr interessantes Foto.
Maximilian Schönherr: Woher wissen sie das?
Dr. Philipp Springer: Man weiß den Namen von diesem leitenden Mitarbeiter und dann kann man das erschließen auch aus der ganzen Situation. Solche Feierlichkeiten wurden oft auch sehr umfangreich dokumentiert. Um solche Fotos geht es mir bei meinem aktuellen Projekt aber nicht, sondern es geht wirklich darum zu zeigen, wie haben die eigentlich gearbeitet, wie waren die Büros eingerichtet, was haben die da gemacht, Briefe geöffnet, Briefe mit einem Bügeleisen wieder verschlossen, Pakete kontrolliert, aber auch vor allem natürlich einfach am Schreibtisch gesessen und Berichte verfasst. Es gibt eben immer mal wieder Fotos, die sowas zeigen und die versuche ich zusammen zu stellen und so einen Einblick in die Arbeit des MfS zu liefern.
Maximilian Schönherr: Vielen Dank Philipp Springer für dieses tolle Gespräch. Wir wissen jetzt viel mehr über die 2 Millionen Fotos. Wir haben ungefähr über zehn Stück gesprochen. Es ist statistisch nicht ganz fest, aber es ist spannend und offenbar gibt es da viel Forschungsbedarf noch.
Dr. Philipp Springer: Auf jeden Fall. Vielen Dank für das Gespräch auch Ihnen.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Sie hörten ein Gespräch mit dem Historiker Philipp Springer, der hier im Stasi-Unterlagen-Archiv arbeitet über seine Erforschung der Bilderwelt der Stasi, die jetzt ein großer Bestand innerhalb unseres Archivs ist.
Maximilian Schönherr: Und nun wie immer das Archiv zum hören.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach. Ich kümmere mich mit meinen Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Wir hören heute einen Zusammenschnitt des Sprechfunkverkehrs zur Koordinierung von Einsatzkräften bei einer Demonstration in Leipzig. Da sind Anweisungen zur Verteilung und zum Verhalten zu hören, Abstimmungen von Aktion- und Standortdurchsagen, es kommt auch der Befehl zum Schlagstockeinsatz. Insgesamt umfasst die Aufnahme 54 Minuten. Sie ist vermutlich aus dem Oktober 1989 und unser Zusammenschnitt ist 3 Minuten lang.
[Funksprüche, Rufe und Pfiffe von Demonstranten im Hintergrund]
[Sprecher (202):] 103 für 202 kommen!
[Sprecher (103):] 202 kommen.
[Sprecher (102):] Die tätlichen Angriffe uff [auf] die Genossen werden – äh –werd'n stärker. Wir brauchen dringend Verstärkung!
[Sprecher (103):] Ja, is' unterwegs. 202, 103 kommen! - äh - 203, 103 kommen!
[Sprecher (203):] 203 hört.
[Sprecher (103):] Ja zügig jetz'! Zügig! Unterstützung in der 202, kommen.
[Sprecher (203):] Fangen.
[Sprecher (103):] Fangen Ende.
[Sprecher (100):] 100.
[Sprecher (103):] 100.
[Sprecher (100):] Wenn notwendig: Schlagstock frei!
[Sprecher (103):] Fangen. 202 mitgehört?
[Sprecher (202):] Mitgehört.
[Sprecher (203):] Also Leuschner-Platz und dann links Petersstraße?
[Sprecher (103):] Ja, richtig.
[Sprecher (203):] Fangen.
[Sprecher (103):] Fangen Ende.
[Sprecher (100):] 103, 100.
[Sprecher (103):] 100.
[Sprecher (100):] Die 151 kommt jetz', haben angelegt. Schlagstock frei. Nach unten alles raus drücken.
[Sprecher (103):] Ja richtig, nach unten uff'n [auf den] Dietrichring.
[Sprecher (100):] [vermutlich: Treff Sie.] Und setzen Sie jetz' den langen Schlagstock ein.
[Sprecher (103):] Fangen. 201! 103 kommen.
[Sprecher (201):][vermutlich: Label] 08 – 103 für 201 kommen.
[Sprecher (103):] So! Sie geh'n jetz' nomma mit ein, im Laufschritt! Reichsstraße hoch, Grimmaische durch, dann entfalten zur Räumkette und räumen das Zeuch [Zeug] in Richtung Thomas Kirche. Kommen.
[Sprecher (201):] Wo soll die Räumkette uffgebaut [aufgebaut] werd'n?
[Sprecher (103):] ja, dass seh'n S'e schon, wenn du- - wenn S'e um die Ecke Reichsstraße/Grimmaische kommen. Kommen.
[Sprecher (201):] Empfangen. [unverständlich]
[Sprecher (103):] Zügig! Zügig!
[Sprecher (100):] Aber uffpass'n [aufpassen]: die 151 dann wegnehmen, wenn die von hinten kommen!
[Sprecher (103):] Ja, richtig. 201, 103 kommen.
[Sprecher (201):] 201 rennt!
[Sprecher (103):] Ah! Richtig! [unverständlich] Richard-Wagner-Platz, kommen.
[Sprecher 1:] 1 kommen.
[Sprecher (203):] 203.
[Sprecher (103):] 203 – mit der Technik über Hainstraße – jetzt! Hochfahr'n Richtung Markt. Sie müssen mir dann – äh - die Hainstraße/Markt dicht machen. Einschließlich der Klostergasse. Damit ein Abräumen in Richtung Dietrichring möglich wird. Kommen.
[Sprecher (203):] [unverständlich]
[Sprecher (103):] Zügig! 152, 103 kommen.
[Sprecher (152):] Wir machen jetz' raus!
[Sprecher (103):] [hektischer] Mit runter geh'n! 201, mit runter geh'n zum Sachsenplatz! Nich' uff'm Sachsenplatz lassen! Runter rennen jetz'! Runter zum Sachsenplatz!203, wie weit sind Sie? Weiter entfalten! Weiter runter, einschließlich Markt!201, weiter runter! Den Markt räumen! Dann weiter runter zur Salzgasse! Da sind wa jetz' in die Richtung abgerannt!
[Sprecher (201):] [seufzt] Empfangen, kommen.
[Sprecher (103):] [anfangs parallel] Wir müssen von Katharinenstraße in Richtung wieder Thomaskirche uff- - über'n Markt komm'n! Kommen.Reisebüro, dort geht's los. Und dann diagonal über'n Markt. 203 über d'e [die] Hainstraße.201, los! Im Laufschritt runter!
[Sprecher (201):] 201, empfangen.
[Sprecher (103):] Na los!
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."