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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Herzlich willkommen zu Folge 12! Ich bin Maximilian Schönherr, Gründer des Archivradios der ARD und freier Journalist. Und ich bin gerade in München...
Dagmar Hovestädt: …und ich bin Dagmar Hovestädt, die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und die zweite Stimme im Podcast, also die Co-Host. Und ich bin wie immer in Berlin an meinem Schreibtisch.
Maximilian Schönherr: Co-Host bin eigentlich heute ich, du bist die Haupt-Hostin.
Dagmar Hovestädt: Also heute haben wir jedenfalls mal wieder eine Veranstaltung aus unserem kleinen Archiv gesucht und erinnern damit auch an ein historisches Event vor ziemlich genau 45 Jahren: Die Verabschiedung der KSZE Schlussakte in Helsinki am 1. August 1975.
Maximilian Schönherr: KSZE steht für Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Sie kam im Grunde auf Initiative des Ostblocks, also DDR, Sowjetunion, Polen etc. zustande. Von der Unterzeichnung der Schlussakte im Sommer 1975 gibt es eindrückliche Fotos, ich finde die sehr skurril so aus heutigem Blick, weil sie so verklemmt sind. Wo DDR-Chef Honecker und daneben BRD-Kanzler Schmidt sitzen. In dem Dokument werden die Grenzen als schützenswert festgehalten, also auch die innerdeutsche DDR zur BRD.
Obwohl die DDR seit 1973 Mitglied der UN war, akzeptierte das Grundgesetz die DDR nicht als eigenen Staat. Die innerdeutsche Grenze war demnach keine Staatengrenze. Dass bei der KSZE Ost und West auf Augenhöhe verhandelt hatten, war im Kalten Krieg also etwas durchaus Besonderes. Ich habe vor vielen Jahren mal für das WDR Zeitzeichen einen Spitzentechniker der DDR interviewt, der die DDR-Delegation bei Frequenzverhandlungen leitete. Wer darf welche Frequenz auf z.B. Langwelle nutzen, ohne die andere zu stören? Denn es gab dauernd Störfunk damals. Auch hier waren DDR und BRD gleichberechtigte Verhandlungspartner. Und ist also, die Fachkonferenzen waren oft auf dieser Ebene, hatte ich den Eindruck.
Dagmar Hovestädt: Unser heutiger Podcast präsentiert den Mitschnitt einer Diskussionsveranstaltung vom Februar 2019, in der es um diese Konferenz und ihre Wirkung auf die DDR und speziell auf das Ministerium für Staatssicherheit ging.
Maximilian Schönherr: Mir persönlich ist das Stichtag-, Jubiläumsdenken von Rundfunk und Fernsehen ziemlich zuwider. Ich meine, wenn man über das berichtet, was man als Journalist als relevant erachtet, braucht man überhaupt keinen Aufhänger. Aber für unseren heutigen Podcast gibt es ja tatsächlich einen.
Dagmar Hovestädt: Tatsächlich war das die Premiere einer neuen Studie zum Thema aus unserer Forschungsabteilung, also das war die Buchvorstellung. Und die ist dann offenkundig auch nicht zu diesem sehr zufälligen Ding eines Jahrestages entstanden. Februar 2019 hatte jetzt mit einem runden Datum nichts zu tun. Ich finde das auch nicht so ganz aufregend, das ist ja eher willkürlich, dass man plötzlich sagt, 50 Jahre macht irgendein Datum zu etwas besonderem. Gleichzeitig ist es ne Art Konvention, es macht für Leute die Erinnerung daran irgendwie bedeutsamer und dann kann man damit durchaus spielen. Insofern ist es auch für uns nur ne kleine Erinnerung. Vor 45 Jahren war die Welt ein bisschen anders, der Kalte Krieg war schon ziemlich noch auf seinem Höhepunkt und plötzlich begann so eine Art Tauwetter und man setzte sich an einen Tisch, zwischen Ost und West und inklusive der Sowjetunion und der USA einigte man sich hier darauf, Menschenrechte zu achten.
Also in diesem Buch, das wir da vorgestellt haben, ging es eben genau um auch den Blick der Stasi auf diesen europäischen Ost-West-Prozess der Verständigung und Zusammenarbeit. Und natürlich versucht das Buch dann auch zu analysieren, was das für den Zusammenbruch der DDR und des Ostblocks bedeutet haben könnte, also dieser Prozess. Der Titel dieses "Staatssicherheit und KSZE-Prozess. MfS zwischen SED und KGB (1972-1989)"
Aus dem Blickwinkel des MfS war das ja erstmal eine "Gefahrenquelle" – also die Offenheit, eine auch gedanklich offene Gesellschaft, womöglich noch ohne Mauer, das war ein Schreckgespenst, weil es das Ende war, auch Verlust von Macht. Aber der Prozess, dieser KSZE-Prozess, war eben von der Partei gewollt, Honecker war immer auf der Suche nach internationale Anerkennung, wie so ein [lacht] Minderwertigkeitsmensch, der immer mit der Bundesrepublik gleichziehen wollte und insofern war das eine Quadratur des Kreises: Man wollte auf der einen Seite international in diesem Vertragswerk Menschenrechte garantieren ohne sie aber wirklich für die eigenen Bürgerinnen und Bürger vollumfänglich gewährleisten zu wollen. Das war eben auch keine Strategie, mit der man Konflikte vermeiden wird.
Maximilian Schönherr: Ich würde gern vier Begriffe kurz klären. MfS, das ist nicht jedem klar.
Dagmar Hovestädt: Ministerium für Staatssicherheit. Genau.
Maximilian Schönherr: Dessen Chef wird immer wieder in dem Vortrag, den wir jetzt hören genannt.
Dagmar Hovestädt: Erich Mielke seit 1957 und bis 1989 Minister für Staatssicherheit und Leiter von diesem ganzen Ministerium.
Maximilian Schönherr: Und dann haben wir Erich Honecker, der Staatschef damals [Hovestädt parallel: Staatsratsvorsitzender] Und dann gibt es die Robert Havemann Gesellschaft und ihr habt diese Veranstaltung ja zusammen mit der Robert Havemann Gesellschaft gemacht. Kannst du kurz erläutern, was diese Gesellschaft ist?
Dagmar Hovestädt: Die Robert Havemann Gesellschaft ist ein Verein, benannt nach dem sehr bekannten DDR-Dissidenten Robert Havemann, der sich als Bildungsverein der Bürgerbewegung Neuen Forums im November 1990 schon gegründet hat. Eine der Haupttätigkeiten des Vereins ist die Pflege und der Ausbau des Archivs der DDR Opposition. Und die Robert Havemann Gesellschaft hat ihren Sitz seit anderthalb Jahren jetzt auch auf dem Campus, also in der ehemaligen Stasi-Zentrale hier in Berlin-Lichtenberg.
Und dort haben wir also auch die Veranstaltung stattfinden lassen. Moderiert hat sie die Autorin und Journalistin Dr. Jacqueline Boysen. Ich übernehme hier auch mal kurz vorab die Vorstellung der Panel-Teilnehmer.
Zunächst spricht mein Kollege Dr. Douglas Selvage, einer beiden Autoren der Studie, die er zu Beginn kurz vorstellt. Wie der Name und dann auch der Vortrag unschwer verraten, ist Douglas Selvage als Muttersprache mit dem englischen sehr vertraut. Im Gespräch kommt dann mein ehemaliger Kollege, der Historiker Dr. Walter Süß zu Wort. Der ist schon vor sieben Jahren in den Ruhestand gegangen ist und hat aber gern auch an diesem Buch noch zu Ende mitgeschrieben hat und ist, das muss man auch sagen, ein hervorragender Kenner des MfS in den 70er und 80er Jahren ist. Und auch diese Verbandelung zur SED und diese Dynamiken, die es da gegeben hat. Und der dritte im Bunde ist Wolfgang Templin, eine herausgehobene Persönlichkeit der DDR Opposition, der also diesen KSZE-Prozess innerhalb der DDR erlebt hat und in der Opposition sehr aktiv war, unter massiver Bedrohung durch das MfS.
Maximilian Schönherr: Templin hat nicht an dem Buch mitgeschrieben, aber kommt in dem Buch massiv vor.
Dagmar Hovestädt: Genauso ist es. Es ist ein Zeitzeuge, also er ist auch eine Quelle in dem Sinne. Das Buch bezieht sich natürlich auf die historischen Quellen, SED-Archiv aus dem Bundesarchiv, aber natürlich auch die Stasi-Quellen auch, weil es ja da genau um diese Binnengeschichte geht, diese etwas, wie soll man sagen, abstrakten Komplexe ne so eine Partei, zwei Parteien, der große Block, der Kalte Krieg, Ost, West, dieser KSZE-Prozess. Wir reden hier nur in Abkürzungen und was hat das eigentlich wirklich bedeutet und was hat das für die Menschen bedeutet. Und da war Wolfgang Templin quasi der Zeitzeuge, der aus einer aktiven Oppositionsrolle heraus, das ein bisschen mit reflektiert hat als weitere Quelle.
Die Veranstaltung war im Original viel länger und wurde von einer Publikumsdiskussion abgerundet. Wir konzentrieren uns in der nächsten halben Stunde auf die Kernaussagen. Und wenn wir damit durch sind, präsentieren wir Ihnen wie immer einen Audio-Ausschnitt aus unserem Archiv, der diesmal eine Collage ist. Kleiner Vorgeschmack:
[Ausschnitt aus der später folgenden Audio Kollage von Elke Steinbach]
Dagmar Hovestädt: Sie hören nun den Mitschnitt der Veranstaltung Staatssicherheit und KSZE-Prozess mit dem Einführungsvortrag von Dr. Douglas Selvage:
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Dr. Douglas Selvage: Guten Abend meine Damen und Herren. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind um mehr über unser Buch zu erfahren "Staatssicherheit und KSZE-Prozess". Ich werde in den nächsten 20 Minuten einige Hauptthemen aus unserem bzw. meinem Teil des Buchs für die Jahre 1975 bis 1985 zusammenfassen und dann können wir zur Podiumsdiskussion übergehen. Am Anfang meines Vortrages möchte ich zunächst erklären was KSZE bzw. der KSZE-Prozess bedeutet. Am 1. August 1975 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs Europas, Kanadas und der USA die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder KSZE in Helsinki. Diese Unterzeichnung wird rückblickend als der Höhepunkt der Ost-West-Entspannungspolitik betrachtet. Danach folgte eine Reihe von mehrjährigen Abfolgekonferenzen auf denen die Implementierung der KSZE-Schlussakte überprüft und neue Vorschläge zur europäischen Sicherheit beraten wurden. Diese regelmäßigen multinationalen mehrjährigen diplomatischen Treffen von 1975 bis 1989 hinaus werden der KSZE-Prozess genannt.
Aus Sicht der Sowjetunion und ihrer Verbündeten 1975 stellte die KSZE-Schlussakte einen großen Sieg für den Ostblock dar. Im ersten Teil der Schlussakte wurde die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen Europas bestätigt und die DDR hatte an der Konferenz als gleichberechtigter Staat teilgenommen. Das bedeutete aus östlicher Sicht die Anerkennung des territorialen Status quo in Europa durch den Westen. Der zweite Teil des Schlussakte behandelte wirtschaftliche Fragen nun versprach eine Erweiterung des Ost-West-Handels und des wissenschaftlich-technischen Austausches. Die Länder des Warschauer Paktes hofften ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern indem sie Geld vom Westen liehen um konkurrenz- und exportfähige Betriebe auf Weltniveau zeilweise mit westlicher Technologie aufbauen würden. Eine Verbesserung des Lebensstandards ihrer Bürger sollte zunehmends zur Stabilisierung der kommunistischen Regimes beitragen.
Damit der Westen der Schlussakte zustimmte, mussten die Kommunisten aber auch Zugeständnisse an den Westen machen, die sie lieber vergessen hätten. Im Punkt 7 der Schlussakte hatten die Teilnehmerstaaten sich verpflichtet die Menschenrechte zu achten. Der dritte Teil der Schlussakte oder sogenannte dritte Korb beinhaltete Absichtserklärungen über menschlicher Kontakte bzw. menschliche Erleichterungen z.B. die Familienzusammenführung sowie den freien Austausch von Informationen.
Für die Bundesrepublik war der dritte Korb ein besonderes Anliegen, da er einen Rahmen für eine Erweiterung der Kontakte zwischen Menschen in Ost- und Westdeutschland bieten konnte. Obwohl Staatssicherheits Minister Erich Mielke ebenso wie KGB Chef Juri Andropow Probleme wegen des dritten Korbes und des Menschenrechtsprinzips voraussah, war Mielke damals zuversichtlich, dass ein Minister mögliche negative Auswirkungen unter Kontrolle halten könnte. Die erste große Herausforderung aus der KSZE-Schlussakte kam für den Osten in den Jahren 1976/1977. Damals griffen verschiedene neue Gruppen im Osten das Menschenrechtsprinzip bzw. Korb 3 auf um die Einhaltung der Menschenrechte in ihren eigenen Ländern zu fordern. Hier werde ich nur einige erwähnen die Moskauer Helsinki Gruppe in der Sowjetunion, das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) in Polen und Charta 77 in der Tschechoslowakei. Solche Gruppen schrieben Berichte über die Nichteinhaltung der Prinzipien der Schlussakte durch ihre jeweiligen Länder und gaben sie an westliche Journalisten, Diplomaten und Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International weiter. Sie schufen damit eine internationale Öffentlichkeit für die Einhaltung der Menschenrechte auf Grundlage der KSZE-Schlussakte. Auf den Nachfolgekonferenzen der KSZE, deren Einberufungen der Schlussakte festgeschrieben war, machte die US-Regierung, beginnend mit der Amtszeit von Jimmy Carter 1977, die Kritik an der Nichteinhaltung der Menschenrechte durch den Osten zum Hauptschwerpunkt ihrer KSZE-Politik.
Mielke und das MfS fürchteten die Gründung so einer Helsinki-Gruppe in der DDR. Im Sommer 1977 schlug das MfS blinden Alarm. Es registrierte Kontakte zwischen Oppositionellen in Jena und Naumburg, Charta 77 in der Tschechoslowakei und zum westberliner Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus. Es sah bereits die drohende Gefahr der Gründung einer Bürgerrechtsbewegung analog der Charta 77 in der DDR. Parallel dazu verbreitete eine Gruppe von katholischen und evangelischen Theologie Studenten aus dem Kreis Naumburg. Eine Art von Charta 77 aus christlicher Perspektive unter dem Titel "Frieden und Gerechtigkeit Heute" das sogenannte "Querfurter Papier". Durch eine Reihe von sogenannten Zersetzungsmaßnahmen das heißt Psychoterror, einzelnen Verhaftungen und innerkirchlicher Disziplinierungsmaßnahmen zerstreute die Stasi diese verschiedenen ostdeutschen Kreise und damit ihr hauseigenes Schreckgespenst von einer ostdeutschen Helsinki-Gruppe. Am 23. Mai 1978 erklärte es Generalmajor Paul Kienberg der Stasi bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen vom KGB. Im Gegensatz zu Polen, der Tschechoslowakei oder sogar der Sowjetunion selbst sei der Gegner, so Kienberg, keinen Schritt seinem Ziel näher gekommen eine Menschenrechtsbewegung in die DDR ins Leben zu rufen. Trotz des Erfolgs des MfS hatte die KSZE grundsätzlich wenig direkten Einfluss auf Oppositionelle in der DDR zumindest vor 1985. Obwohl in einigen Kirchenkreise recht aktiv über KSZE und Menschenrechte diskutiert wurde, hatten DDR-Oppositionelle überhaupt nicht vor eine Helsinki-Gruppe zu gründen. Ulrike Poppe schrieb, ich zitiere: "Die Oppositionellen in der DDR widmeten dem KSZE-Prozess nicht so viel Aufmerksamkeit wie die der anderen Ostblockstaaten." Zitat Ende. Sie sammelten sich vor allem in der unabhängigen Friedensbewegung als Reaktion auf die wachsende Militarisierung der DDR-Gesellschaft ab Ende der 1970er Jahre.
Der Stasi Generalmajor Kienberg verschwieg in dem Gespräch mit den sowjetischen Genossen die größte Herausforderung für die DDR-Bürger in Folge der KSZE: Das Entstehen einer Bewegung für ständige Ausreise nach der Bundesrepublik und Westberlin. Die Anzahl der Übersiedlungsersuchen arbeitsfähiger Erwachsener und Kinder stieg von 13.000 im Jahr 1975 auf fast 20.000 im Jahr 1976 an und alle diese bzw. die meisten Ausreiseanträge haben dann die KSZE-Schlussakte zitiert als Grundlage für den Antrag. Die Ausreisebewegung und die Bedrohungsperzeption des MfS und der SED geraten im August 1976 an einen Wendepunkt als 33 Ausreiseantragsteller aus 16 Familien im sächsischen Riesa eine Petition zur völligen Erlangung der Menschenrechte unterzeichneten. Sie warfen der DDR vor gegen die KSZE-Schlussakte und anderen internationalen Vereinbarungen verstoßen zu haben, indem sie ihnen die Ausreise verweigerte. Die Petition ging nicht nur an die DDR-Behörden, sondern auch an die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und Vertreter der KSZE-Teilnehmerstaaten. Mielke informierte Honecker persönlich, dass der Verfasser der Petition Dr. Karl-Heinz Nitschke deren Übergabe an einschlägige Feind- und andere Organisationen in der Bundesrepublik organisiert habe. Das MfS reagierte schnell. Nitschke wurde am 20. August 1976 vom MfS festgenommen und anschließend wegen Nachrichtenübermittlung und staatsfeindlicher Hetze angeklagt. Andere Mitunterzeichner der Petition wurden ebenfalls verhört und festgenommen. Nach einem kurzen Lernprozess im ersten Jahr nach dem Helsinki-Gipfeltreffen hatte das MfS hinter den Kulissen die bereits alarmierte SED dazu bewogen, die notwendigen Änderungen der Vorschriften und Gesetze vorzunehmen um die unerwünschte Folge des KSZE-Prozesses auf die DDR, eben die Ausreisebewegung, wieder unter Kontrolle zu bringen. Am Ende einer Kette von repressiven Regelungen die unter Mitarbeit vom MfS zu Stande kamen, wurde ein Befehl Mielkes an alle Diensteinheiten des MfS 1977 weitergeleitet. Er spiegelt die neue, repressive Rechtslage gegen Ausreiseantragsteller wieder. Von nun an wurden hartnäckige Ausreiseantragsteller vom MfS wie andere so genannte Staatsfeinde behandelt. Sie wurden in operativen Vorgängen bearbeitet und denselben repressiven Maßnahmen wie Oppositionellen unterworfen - u.a. Postkontrolle, Telefon abhören und Psychoterror. Dazu kommen Diskriminierung in der ostdeutschen Gesellschaft und die Drohung mit Arbeitslosigkeit und Haft. Die neue repressiven Maßnahmen hatten zunächst die erhoffte Wirkung. Die Anzahl der Erstanträge auf Ausreise halbierte sich von knapp 2.600 im Jahre 1977 auf 1.300 im Jahre 1978. In einem Treffen mit einem Mitglied des polnischen Politbüros im September 1980 deklarierte Erich Honecker diese Entwicklung ist ein Sieg für die SED und natürlich auch für das MfS. Dass es keine größeren öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen seit der Riesa-Petition gegeben hatte, zeige - so Honecker - dass die DDR die Drohung einer bestens organisierten Helsinki-Gruppe erfolgreichen im Keim erstickt habe. Das stand im Gegensatz zur Lage in Polen - so Honecker -, wo die nicht erfolgte Unterdrückung von KOR und andere Gruppen, die sich auf die KSZE-Schlussakte sagte beriefen, zur Solidarność-Bewegung und der daraus entstandene Gefahr für das kommunistische Regime Polens geführt hatte.
Maximilian Schönherr: Wir gehen hier mal kurz dazwischen: Eigentlich hat das ja nicht wirklich funktioniert, denn die Opposition wuchs auch in der DDR gerade in den 1980er Jahren deutlich an.
Dagmar Hovestädt: Ja, darauf geht Douglas Selvage dann auch weiter in seinem Vortrag ein, den ich hier etwas gekürzt habe: Das war, Ende der 70er, 1980 quasi nur eine Verschnaufpause, in der man sich sehr kurzzeitig einen Sieg gut schreiben konnte. Der KSZE Prozess geht ja dann weiter, u.a. von 1980 bis 83 finden Treffen der Nachfolgekonferenz in Madrid statt und die DDR, also die SED und in Folge die Stasi können da keine eigene Position so gestalten, wie sie das wollen, weil die Sowjets, also die KPdSU hier zu größeren Zugeständnissen in dem KSZE-Prozess bereit ist, was die Menschenrechte angeht. Das führt in Folge dann dazu, dass die Repression in der DDR also wieder zurückgefahren werden muss und damit steigen auch die Zahlen derer, die von ihren Rechten Gebrauch machen wollen, wieder. Der Spielraum der SED ist also kleiner als sie mögen kann.
Maximilian Schönherr: Wenn ich mich an die Zeit richtige erinnere… In den 1980er Jahren Friedensbewegung. Ich war bei der großen Bonner Demo gegen die Stationierung Pershing II dabei. Ich konnte kontingentiert einmal pro Jahr mit dem Zug zu meinen Verwandten in die DDR fahren. Ich konnte nicht mit dem Auto fahren, wäre ich natürlich gerne, es musste mit dem Zug sein und ich hab von dieser Entspannung eigentlich gar nichts mitbekommen. Es kann aber auch sein, da es sehr ländlich war und mein Verwandten Friseure, die garantiert keiner Revolutionsbewegung in der DDR angehörten, die haben die Friedensbewegung im Westen auch gar nicht mitbekommen, die für mich sehr stark war.
Dagmar Hovestädt: Ja, das ist interessant, das es sich sozusagen auf bestimmte Arten und Weisen bemerkbar macht und für viele im Alltag doch keine Rolle spielte und Erleichterungen dann brachte, aber Douglas Selvage beschreibt es dann so, dass die Sowjets aus ökonomischen Gründen darauf drängen, dass die Entspannung in Europa funktionieren muss, weil sie mit dem Wettrüsten nicht mithalten können. Also die Amerikaner rüsten ja massiv auf und wollen eine nächste Runde und die Wirtschaft ist in der Sowjetunion eh schon unter Druck. Und ohne den Druck der Aufrüstung kann sie da kaum auf die Füße kommen. Also musste diese Enstpannung über diesen europäischen Prozess die Sowjets da so ein bisschen entlasten. Man könnte also meinen, dass die Sowjets die DDR ganz eigennützig hinter sich gelassen hatten, aber, so erklärt das Douglas Selvage, dem war eigentlich nicht so.
Dr. Douglas Selvage: Trotzdem hatte Moskau aus eigener Sicht die SED nicht im Stich gelassen. Seit der KSZE-Schlussakte oder sogar seit dem Grundlagenvertrag von 1972 hatte Breschnew Honecker klar gemacht, wie man die ungewohnten Auswirkungen der Entspannungspolitik auf die DDR darunter die Ausreisebewegung unter Kontrolle halten konnte. Durch eine Politik der konsequenten Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik. Das heißt die DDR sollte nicht nur deutsch-deutsche Kontakte und Besucher sondern auch die deutsch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen oder zumindest die Verschuldung der DDR bei westdeutschen Banken auf einem Minimum halten.
Das aber hatten Honecker und sein ZK Wirtschaftssekretär Günter Mittag nicht gemacht und spätestens ab 1980 geriet die DDR in eine wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit von der Bundesrepublik. Dies ist der zweite Grund warum das MfS auch mit Hilfe anderer DDR-Institutionen die Ausreisebewegung nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Verschärfte Maßnahmen gegenüber Übersiedlungsersuchende insbesondere nach den sowjetischen Konzessionen in Madrid hätten die notwendige wirtschaftliche Unterstützung aus der Bundesrepublik gefährdet. Diese Abhängigkeit beeinflusste offenbar die Reaktion Honeckers auf einer Welle von Botschaftbesetzungen durch ostdeutsche Ausreisewillige 1984. Er entschied gegen den Rat Mielkes mehr als 23.000 Ausreiseanträge zu genehmigen. Honecker hoffte damit sich das Problem potenzieller auffälliger Ausreisewilliger mit einem Schlag vom Hals zu schaffen. Eine Repressionswelle schied als Option offenbar aus, weil das den guten Willen und deshalb die wirtschaftliche Unterstützung der Bundesrepublik in Form von Krediten und insbesondere den damaligen Milliarden-Krediten gefährdet hätte. Milliardenkredite hin oder her das MfS konnte nach der Ausreisewelle 1984 weder alleine noch in Zusammenarbeit mit anderen DDR-Institutionen die Ausreisebewegung erfolgreich zurückdrängen. Ab 1985 musste das MfS sich auch noch bemühen sowie die Geheimpolizei in den anderen Ostblockländern eine einheimische Menschenrechtsbewegung die "Initiative Frieden Menschenrechte" irgendwie unter operative Kontrolle zu halten.
Die vom MfS Ende der 1970er Jahre befürchtete Internationalisierung der ostdeutschen Opposition war zustande gekommen, als die unabhängigen Friedensgruppen in der DDR Kontakt mit den Grünen, der Charta 77 und oppositionellen anderen Ostblockländern aufgenommen und sich öffentlich mit Menschenrechtsfragen und der KSZE auseinandergesetzt hatten. Glücklicherweise haben wir heute, einen Mitbegründer der IFM auf dem Podium Wolfgang Templin, der mehr zu diesen Fragen sagen kann. Zusammenfassend sah die Lage für die DDR 1985 besonders aber auch für die Sowjetunion auch im Zusammenhang mit dem KSZE-Prozess düster aus. Die wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR von der Bundesrepublik zwangen die DDR, die von der Bundesrepublik geforderte humanitären Erleichterungen großzügiger zu behandeln. Ab 1983 galt das auch in Bezug auf die infolge der KSZE-Schlussakte entstandene Ausreisebewegung in der DDR. Die KSZE-Politik des neuen sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow erschwerte die Lage für die DDR noch weiter. Mein Co-Autor Walter Süß kann mehr zu diesen Fragen sagen, weil er die entsprechenden Kapitel in unserem gemeinsamen Buch verfasst hat. Ich freue mich auf unsere Diskussion und danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.
[Applaus]
Jacqueline Boysen: Herr Selvage hat geendet mit den Jahren, die jetzt ihre Forschung betreffen Herr Doktor Süß. Blicken wir also auf die Gorbatschow-Zeit. Was hat sich da aus ihrer Sicht geändert? Wo knüpfen sie an der Stelle an, wo Herr Selvage aufgehört hat?
Dr. Walter Süß: Also ich würde doch einen Schritt noch zurückgehen nämlich zu dem Hauptmotiv der jeweiligen sowjetischen Führung sich auf diesen gefährlichen Prozess überhaupt einzulassen. Aus der Sicht von Breschnew ging es vor allem darum die Nachkriegsgrenzen festzuschreiben. Das heißt, etwas weniger neutral formuliert, den sowjetischen Herrschaftsbereich garantiert zu bekommen.
Bei seinem Nachfolger Andropow, also Tschernenko lass ich jetzt weg, das ist eine unbedeutende Figur, bei seinem Nachfolger Andropow, meine ich und das geht auch aus dem Buch hervor, stand im Vordergrund, dass die militärische Konfrontation eskalieren könnte. Also es gibt in unserem Buch ein längeres Zitat das Andropow gegenüber Mielke geäußert hat und gesagt hat: Er ist sich nicht ganz sicher, ob ob die Regeladministration einen Krieg riskieren will. Er hält es eigentlich eher für unwahrscheinlich, weil sie damit auch ihre eigenen Paläste und Fabriken zerstören würden, aber er hat ja nun die Verantwortung für das ganze Land. Er ist sich dessen nicht sicher und diese Befürchtung auszuräumen oder einzudämmen, war bei Andropow ein ganz wichtiges Argument dafür zusammen zum Beispiel bei den Madrider Verhandlungen sich Konzessionsbereich bereit zu zeigen in Bereichen, die die Sowjetunion weniger gekratzt haben, aber für die DDR ausgesprochen unangenehm waren und mit dem Amtsantritt von Gorbatschow hat sich dann noch mal was grundsätzlich geändert. Also der hat die Motive vorher durchaus mitgetragen, aber was bei ihm hinzu kommt: Erstens er denkt den und das war ganz neu, er denkt den Ost-West-Konflikt nicht mehr als Nullsummenspiel, wo eine Seite eben auf Kosten der anderen Gewinne erzielt, sondern er ging davon aus, dass es möglich sein müsste eine Win-Win-Situation zu schaffen. Wobei dass die westliche Seite von den KSZE-Prozess profitiert, war sowieso klar. Es war keine Neuigkeit an sich, aber er war auch der Annahme, dass für die Sowjetunion etwas dabei herauszuholen sei. Einmal natürlich erhöhte militärische Sicherheit in dem der KSZE-Prozess als Schritt genutzt wird, um dann auch zu Verhandlungen über militärischen Abrüstung zu kommen und in späteren Jahren, also als die Position von Gorbatschow innerhalb der Sowjetunion und des sowjetischen Machtapparates konsolidiert war, durchaus auch den menschenrechtlichen Teil der KSZE zu nutzen für seine eigenen Reformvorhaben innerhalb der Sowjetunion. Also das als Hebel einzusetzen innenpolitisch und das hat auch ganz gut funktioniert, muss man sagen.
Jacqueline Boysen: In wie weit, es geht ja schließlich um Staatssicherheit und KSZE-Prozess im Buch. In wie weit war Herr Mielke da wirklich also deutlich skeptischer und abweisender und vorsichtiger, wie auch immer wir das nennen wollen?
Dr. Walter Süß: Also zum einem war Honecker außerordentlich bestrebt. Also was für die Sowjets unter Breschnew die Anerkennung der Nachkriegsgrenzen war, war für Honecker die Anerkennung, die vollständige völkerrechtliche Anerkennung der DDR, uneingeschränkt und diesen Zahn hat ihm schon Breschnew gezogen. Also dass erstens sowieso die deutsch-deutsche Querelen nicht auf KSZE-Verhandlungen gehören und zum zweiten, dass er es auch nicht übertreiben soll, aber das war das Hauptmotiv von Honecker ursprünglich bei diesem Prozess und dann natürlich, was Selvage ja schon dargelegt hat, die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit von Krediten aus der Bundesrepublik, die ein gewisses Wohlverhalten notwendig machte. Sonst bekommt man halt keine Kredite mehr und dieser Aspekt aus Sicht von Honecker, der außerdem immer ein sehr eitler Mensch gewesen ist, um sein Image im Westen auch besorgt war und dass er jetzt Friedensfreund ist und so weiter und so fort. Und aus Sicht von Mielke stellt es sich insofern anders da, weil Mielke nicht die wirtschaftlichen Aspekte in den Vordergrund rückte, sondern wie es seines Amts war die Sicherheitsaspekte und deswegen war dieser KSZE-Prozess aus naheliegenden und durchaus begründeten Gründen gefährlich und war deshalb skeptischer als Honecker und auf der anderen Seite kam auch noch hinzu, dass Herr Selvage auch schon erwähnt hat, die sowjetische Maxime war um die Stabilität der DDR zu retten möglich strikte Abgrenzung von der Bundesrepublik. Das war ein Motto, das Mielke sofort unterschrieben hätte, weil es ihm natürlich auch der Arbeit erheblich erleichtert hätte und womit er sich aber nicht durchsetzen konnte, weil Honecker seine anderen Ziele mit so einem Kurs nicht hätte realisieren können.
Jacqueline Boysen: Wir machen einen Schnitt und kommen zu ihnen Herr Templin. Jetzt haben wir gewissermaßen die analytische Seite, was es machtpolitisch bedeutete für Erich Honecker oder eben auch für die Sowjetunion. Sie selber haben natürlich einen ganz anderen Blick drauf, der uns jetzt interessiert. Was bedeutete Korb 3 oder was bedeutete KSZE für sie? Inwieweit hat sie der KSZE-Prozess gestärkt und ermutigt?
Dr. Walter Süß: Die Rhythmen von Widerstand und Opposition nicht nur in der DDR sondern auch im Ostblock richteten sich ja nicht nur nach dem was hier vorgestellt wurde KSZE-Prozess, die gab es vorher. Die wurden vom KSZE-Prozess massiv beeinflusst, siehe unsere Gruppe, aber wenn ich die klassischen Rhythmen nehme Volksaufstand in der DDR 17. Juni. Ich komme auf Ungarn da noch zurück. 56 Ungarn und 68 Prag. Das waren ja Widerstandshandlungen, die sich gegen Unterdrückung gegen soziale Ungerechtigkeit nämlich auch die Arbeiteraufstände im erklärten Sozialismus richteten. So und dass das dann zusammen kam, hier wurden die Gruppen der 70er Jahre genannt und da würde ich sagen Charta 77 volle Reaktion auf den KSZE-Prozess. In einem Teil der ungarischen Opposition auch, aber das KOR zum Beispiel was für meine eigene Entwicklung hin zum Oppositionellen, also vom Andersdenken bleibe ich unter der Decke in der DDR, such mir eine Nische oder gehe in den offenen Widerstand. Das Schlüsselerlebnis der Oppositionsgruppe KOR, die waren menschenrechtlich beeinflusst, folgte aber dem großen Oppositionsrhythmus, dass sich nämlich das Regime immer wieder mal anscheind der Lockerung der Liberalisierung gab Polen-Tauwetter Jahrzehnte vorher, Gierek in den 70er Jahren und dann kam unabhängig vom KSZE-Prozess der Einbruch des Gierekschen Reformversprechens kreditfinanzierter Modernisierung geht nicht und dann kam Streiks, Repression, KOR, so dass ich eigentlich für mich und viele andere in der DDR dieses oppositionelle, dieses internationale verschärft durch den Menschenrechtsprozess bestärkt dadurch miteinander verbunden hat und wir waren immer in der Klemme, die die ich kannte, bleiben wir Dissidenten und lehnen die vom MfS sogar uns gegenüber angebrachte Formulierung "Opposition" ab, wollen wir nicht sein. Ich sagte irgendwann wir sind Opposition, weil wir in die Öffentlichkeit gehen, weil wir nicht nur unsere menschenrechtlichen Forderungen stellen, sondern das System herausfordern, aus der geschlossenen eine offene Gesellschaft machen wollen und dazu war für uns natürlich in der dreifachen Minorität, also von denjenigen die weniger wollten den Dissidenten. Blos nicht, ihr geht zu weit fort. Von der Friedensbewegung zum Teil wir wollen Brücken bauen Verständigung. Ich sagte: Mit dem gegenüber wird es schwierig. Es sind unsere gegenüber. Wir sind nicht deren Feinde, aber wenn die uns als Gegner ansehen, dann hat das rational eine ganz klare... Wir werden diese Brücke nicht finden nicht in diesem System. Wir müssen uns auf andere Weise wehren. Also das schon und dann kam dazu: Was sollte uns eigentlich in der eigenen Entscheidung... Wir bleiben Oppositionelle und leisten uns dieses Maximum auch an Druck, was auf uns kommt. Wir wählen nicht den Weg der Ausreise. Das war noch mal ein ganz heikles Thema, eigener Abend und da sage ich der Schlüssel und das finde ich in dem Buch fantastisch beschrieben. Unsere internationalen Kontakte für mich fingen sie durch Polen an. Also in den 70er Jahren, andere von uns waren in Tschechen und in Ungarn unterwegs. So und dann kam natürlich die nächste Welle der Härte und Repression. Keiner von uns konnte mehr reisen. Das heißt scheinbar waren wir im Sinne dieser Strategie isolieren, repressieren und kaputt machen zum Schweigen verurteilt. Das Gegenteil trat ein. Bei mir gab sich in den 80er Jahren in meiner Pankower Wohnung halb Europa die Klinke in die Hand, weil auch ein Erfolg des KSZE-Prozesses viele die sich darauf berufen uns dann als Friedensbewegung Menschenrechtler aufsuchen und dann entstand so etwas tolles, was hier benannt wird. Dieses Netzwerk Ost-West-Dialog, das waren Leute, die wir seit Ende der 70er zum Teil individuell kannten, die in den 80er Jahren kam und jetzt werden die hier Namen genannt, die unter einer Erklärung stehen das Helsinki-Abkommen mit wirklichen Leben erfüllen, ein Memorandum gerichtet an die Bürgerinnen und Bürger an die Gesellschaft und so weiter. Klingt alles toll und heute so sinnvoll und logisch. Es war eine winzige Minderheit Engagierter im Westen, die dieses Ost-West-Dialog Aktivitätsmuster schufen. Die waren unter den Grünen eine absolute Minderheit. Die meisten der Grünen sagten die verrückten im Osten nichts und so weiter. Ich sagte hier ist der Prozess, der geschildert wurde und die Entwicklung, die wir machen konnten, aber auf internationaler Ebene aufs engste miteinander verbunden.
Jacqueline Boysen: Sie haben jetzt ja aus heutiger Sicht zurückgeblickt und wie sie selber sagen gerne auch analytisch. Das ist auch gut, aber ich würde doch gerne nochmal bei diesem ganz elementaren bleiben. Was haben sie sich versprochen als da plötzlich der Generalsekretär der SED von Menschenrechten redete?
Wolfgang Templin: Darauf konnte ich damals schon kein Pfefferling mehr geben. Ich wusste, dass die aus taktischen Gründen um ihre Lebenszeit zu verlängern, um ihren Spielraum zu verlängern, um selber bei den Verhandlungen möglichst viel daraus zu schlagen. Ich sag es jetzt verkürzt, dass dieser Prozess und deswegen beriefen wir uns ja darauf, dass der für uns einen Sinn haben kann entgegen den Intentionen der anderen Seite stellt es sich heraus, aber wenn sie jetzt ganz objektiv fragen 70er Jahre: War für mich nicht Helsinki-Prozess das primäre, sondern ich sage nochmal die Entwicklung der oppositionellen Strömungen in den Nachbarländern, die sich zum Teil damit verbanden, aber wenn ich die Ungarn oder die Tschechen nehme. Auch Charta 77 hatte einen Vorlauf im Prager-Frühling. Wenn ich uns selber mit ganz verschiedenen Beteiligten nehme und dann kommt etwas dazu Mitte der 70er Jahre. Ich war immer noch links. In welchem Sinne das heute wäre, ist eine ganz andere Frage. Ich war damals so weit links abweichend dissidentisch, dass der Euro-Kommunismus, dass muss man ja auch sehen, dass die DDR gezwungen war eine andere Schiene nicht Helsinki-Prozess, sondern sie will im Internationalen in der internationalen kommunistischen Bewegung nicht abgehängt sein, sondern selbst die kommunistischen Dissidenten die Euro-Kommunisten noch mit rein nehmen und dann zwei Seiten Neues Deutschland die eurokommunistischen Stimmen das war wie Biermann, würde ich sagen, damals meine Hoffnung. Zehn Jahre später war die Ernüchterung und das war nicht ein Rückzug auf die Position der EFM, sondern die Einsicht es geht über einen anderen Bogen und der ist hier zum Teil schon beschrieben worden. Also das ist ein Stationsweg 70er Jahre hier einer meiner Ausgangspunkte.
Dagmar Hovestädt: Das waren wesentliche Ausschnitte der Veranstaltung zur Buchpräsentation "Staatssicherheit und KSZE-Prozess. MfS zwischen SED und KGB (1972 – 1989)", aus einer Aufzeichnung vom Februar 2019. Gesprochen haben die Autoren des Buches Douglas Selvage und Walter Süß sowie der Zeitzeuge Wolfgang Templin in der Moderation von Jacqueline Boysen. Die Veranstaltung ist übrigens in kompletter Länge auf dem YouTube Kanal des Stasi-Unterlagen-Archivs nachzusehen. Der Link ist unter www.bstu.de/podcast zu finden.
Maximilian Schönherr: Und nun, wie immer, der akustische Blick ins Archiv. Dieses Mal hat sich Elke Steinbach zu einer Collage hinreißen lassen. Wir hören also nicht nur einen O-Ton, sondern ein kleines Kunstwerk. Klammer auf: Frau Steinbach ist ursprünglich Tontechnikern, weiß also, wie man montiert und collagiert.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach. Ich kümmere mich mit meinen Kollegen um die Audio-Überlieferung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und wir hören eine kleine Kollage heute von Geräuschen, die sich in den Aufnahmen natürlich auch finden und auch darüber Auskunft geben, wie die akustische Dokumentation der Arbeitswelt damals sich anhörte. Ich vermute einigen der Geräusche kennen jüngere Zuhörer gar nicht mehr. Also die Geräuschen vom Schrei des Hirschen, das ist der Jagdleidenschaft Erich Mielkes geschuldet, über Telefontöne sowie Töne technischer Geräte und Maschinen. Wir hören Aufnahmen von Fahrzeugen, Atmosphären in Büros, Betrieben, Gerichtssälen, Theatern bis hin zu Aufnahmen in Privatwohnungen, da mal mit und ohne Wellensittich, mit und ohne Schnarchen. Es finden sich Arbeitsgeräusche beim installieren von Abhöreinrichtung, Atmos auf Straßen und Plätzen, ja sogar Schranken und Kirchenglocken. 18 Ausschnitte sind in der folgenden ca. 3 minütigen Kollage zu hören.
[Audio der Kollage Elke Steinbachs]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten –
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
[Musik]