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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo und willkommen zu einer neuen Ausgabe von "111 Kilometer Akten" in einem neuen Jahr 2021. Ich bin Dagmar Hovestädt, die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.
Maximilian Schönherr: Und ich bin Maximilian Schönherr, ich habe mir das Archiv-Radio vor vielen Jahren erfunden und bin Journalist, vor allem für den Deutschlandfunk. Wir haben heute einen Spezial-Gast. Ja, wie würden Sie sich vorstellen?
Roland Jahn: Ja, ich würde sagen, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.
Dagmar Hovestädt: Der volle Titel.
Maximilian Schönherr: Ich habe ja früher gedacht, die BStU, weil ich irgendwie - weiß ich jetzt nicht warum - aber es ist der BStU, weil es eben der Bundesbeauftragte ist. Und wollen wir gleich einsteigen mit der Frage: Was wird aus dem Bundesbeauftragten eigentlich in diesem neuen Jahr?
Roland Jahn: Der Bundesbeauftragte ist eine obere Bundesbehörde und diese Bundesbehörde, als Stasi-Unterlagen-Archiv auch wahrgenommen, geht über in das Bundesarchiv. Und die Arbeit, die hier geleistet wird im Stasi-Unterlagen-Archiv wird in Zukunft im Bundesarchiv, unter dem Dach des Bundesarchivs geleistet, aber sichtbar eigenständig, mit einem eigenen Vizepräsidenten oder einer eigenen Vizepräsidentin und vor allen Dingen mit den vielen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die bisher die Arbeit geleistet haben. Und zusätzlich wird es einen Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur geben, der sich ganz konkret um die Menschen kümmert. Das heißt, aus dem Bundesbeauftragten für die Akten wird ein Bundesbeauftragter für die Menschen, der dafür da ist, dass die Anliegen der Opfer in der Politik gehört werden, der dafür da ist, dass die Probleme der Opfer gelöst werden, der dafür da ist, dass man den Opfern gerecht wird.
Dagmar Hovestädt: Was ja oft in der Berichterstattung, die ich ja doch etwas intensiver verfolge, weil wir ja die Pressearbeit machen für die Einrichtung, oft verwechselt wird, ist, das, wenn man sagt, dass der Bundesbeauftragte oder das Stasi-Unterlagen-Archiv Teil des Bundesarchivs wird, dass die Akten dann nach Koblenz gehen, weil das Bundesarchiv seinen Sitz in Koblenz hat. Das ist eine von den größten Missverständnissen, die hat aber auch einen historischen Vorlauf, denn es ging ja darum, den Zugang zu den Akten in der deutschen Einheit auch durchzusetzen. Und da war das immer so eine Drohgebärde, dass die Akten dann lieber doch gleich ins Bundesarchiv gehen und dort dem Bundesarchivgesetz unterliegen und damit eigentlich für das, was in den letzten 30 Jahren passiert ist, nämlich die Aufarbeitung mit Hilfe dieser Akten, dafür gar nicht mehr zugänglich wären. Und das Schreckszenario, sage ich mal, geistert immer mal wieder durch die Berichterstattung. Wie kann man das eigentlich-, oder warum ist das eigentlich so? Das habe ich mich öfter schon gefragt.
Roland Jahn: Ja, weil natürlich immer wieder gesehen worden ist, dass die Akten Akten sind, die genutzt werden sollen, um ja darin zu lesen. Aber das Entscheidende ist, dass diese Akten einen besonderen Charakter haben als Hinterlassenschaft einer Geheimpolizei und dass sie einen Symbolwert haben, nämlich dass sie eine Errungenschaft der friedlichen Revolution sind. Es ist eine Errungenschaft, dass die Akten gesichert und geöffnet worden sind. Und das ist etwas, was jetzt der Deutsche Bundestag nochmal betont hat, indem er klar und deutlich gesagt hat: Diese Akten sollen auch sichtbar eigenständig an den historischen Orten dargestellt werden. Diese Akten sollen dort auch dieses Symbol verkörpern. Das heißt, diese Akten bleiben in den ostdeutschen Ländern, an den historischen Orten, in der Stasi-Zentrale in Berlin, aber auch in den ostdeutschen Ländern, in Leipzig, in Erfurt, in Rostock, in Halle und auch in Frankfurt Oder, dort, wo die Menschen die Akten erobert haben und sie heute zur Nutzung bereitstehen.
Dagmar Hovestädt: Das ist aber schon ein Teil weniger an Standorten, als wir das jetzt haben, wo die Akten liegen. Es ist ja aufgezählt worden, dass es am Ende insgesamt sechs Standorte mit Akten gibt, aber wir haben zurzeit einen Standort in Berlin, an zwei Orten und zwölf Außenstellen.
Roland Jahn: Das ist ein Teil der Reform, dass es darum geht, für die Zukunft die Akten archivgerecht zu lagern, damit sie auch den nächsten Generationen zur Verfügung stehen. Und deswegen ist es wichtig, dass hier Investitionen getätigt werden, das Archiv-Neubauten errichtet werden. Und in dem Sinne hat man sich orientiert an den Bundesländern. Das heißt, pro Bundesland wird es einen Archiv-Standort geben, wo ja wirklich dann die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Akten archivgerecht gelagert werden, dass dort auch digitalisiert wird, dass Kompetenz und Ressourcen gebündelt werden in den jeweiligen Ländern. Und an den Orten, wo kein Archiv-Zweckbau errichtet wird, dort werden weiter natürlich die Angebote, die Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung gestellt. Das heißt, es gibt Informationen, es gibt Akteneinsichtsanträge, es gibt Akten lesen als Möglichkeit und natürlich auch Beratung der Bürgerinnen und Bürger. Und Information heißt ja auch, dass man informiert, welche Möglichkeiten der Nutzung gibt es, auch wie ist das Archiv entstanden und was ist der besondere Charakter und der Symbolwert des Archivs?
Maximilian Schönherr: Ich möchte mal zurückgehen in den Anfang von diesem Archiv und von dieser Behörde. Damals gab es doch eine Diskussion - Ich habe das damals nicht verfolgt, aber habe es später nachgelesen. Es war also lange vor ihrer Zeit, es war ja die Gauck-Behörde damals - die Diskussion war: Soll man diese Akten eigentlich vernichten? Man hat's ja teilweise gemacht, also die Disketten von den Computern, die sind ja aus irgendeinem Grund nicht mehr so da. Können sie uns mal gerade aufs Laufende bringen, was die Diskussion damals war und wie das dann anders wurde? Das heißt, das Archiv ist erhalten geblieben.
Roland Jahn: Ich kann darüber auch als Zeitzeuge berichten, denn ich war damals als Journalist unterwegs. Ich war bei der Besetzung der Stasi-Zentrale hier in Berlin dabei und wir haben dann als Kamerateam des Senders "Freies Berlin" von der Redaktion Kontraste, die für die ARD gesendet haben, haben wir das Bürgerkomitee begleitet, was damals diese Auflösung der Staatssicherheit mitorganisiert hat und begleitet hat. Und in diesem Sinne haben wir diese Diskussion um die Frage "Akten bewahren oder Akten vernichten?" intensiv verfolgt. Wir haben mussten miterleben, wie elektronische Datenträger vernichtet worden sind und waren sehr erschrocken. Und bis heute frage ich mich manchmal, ob ich da hätte nicht meine Rolle als Journalist verlassen sollen und einfach diese Unterlagen, diese Datenträger über Nacht klauen und sicherstellen sollen, aber im Endeffekt haben wir es nur dokumentiert. Aber dieser Bericht hat dann nochmal die Diskussion um die papierene Hinterlassenschaft nochmal befördert. Und da haben sich doch am Ende auch die Vertreter des Bürgerkomitees durchgesetzt, die immer wieder gesagt haben: Ein Geheimdienst ist geheim und er wird so lange weiter wirken, solange die Akten nicht öffentlich gemacht werden. Und ich glaube, das war eine richtige Entscheidung dann später, dass die Akten dann auch öffentlich gemacht worden sind, weil nur so konnte man das Weiterwirken der Stasi endgültig verhindern.
Dagmar Hovestädt: Kann man das denn an irgendwas messen, dass das wirklich so gewesen ist? Ich meine, letztendlich sind die Akten seit 30 Jahren offen und all das, was man sich von ihnen versprochen hat, könnte man ja jetzt sich mal angucken. Was ist in 30 Jahren passiert? Hat das wirklich-, war das wirklich dazu da zu demystifizieren?
Roland Jahn: Ja, das Entscheidende war ja, die Gründe auch, die aufgeführt worden sind, warum man sie geschlossen halten will. Es gab den ersten Grund, dass man gesagt hat, es gibt Mord und Totschlag. Da werden die Leute Erkenntnisse gewinnen, wer sie verraten hat oder wer sie ins Gefängnis gebracht hat, sodass sie dann sich rächen wollen. Die Praxis hat gezeigt, dass das nicht erfolgt ist. Das Zweite, was kam, ist, dass sie Persönlichkeitsrechte missachtet werden. Da hat der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, doch hier wirklich einen Clou gelandet, indem ein Stasi-Unterlagen-Gesetz geschaffen worden ist, was Transparenz des staatlichen Handelns, sprich auch der Tätigkeit der Staatssicherheit herstellt. Das heißt, dass die Namen offengelegt werden, die Verantwortung beschrieben wird, aber gleichzeitig Datenschutz an den Stellen, wo es darum ging, die Rechte von Betroffenen zu sichern und die 30 Jahre schon fast der Akteneinsicht, die vielen Millionen Anträge haben bewiesen, dass es für viele Menschen ein Gewinn war, in diese Akten zu schauen. Denken Sie mal dran, die vielen tausenden Menschen, für die es notwendig war, dass sie Belege vortragen, um rehabilitiert zu werden, dass sie aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen haben, dass sie das beweisen. Das hat Auswirkungen für Entschädigungen. Das hat Auswirkungen bis zur Rente und vor allen Dingen, das hat Auswirkungen auch für die gesellschaftliche Anerkennung, dass man nicht als Krimineller gilt, sondern als jemand, der für Menschenrechte eingetreten ist und deswegen im Gefängnis saß.
Maximilian Schönherr: Was passiert denn mit diesem Stasi-Unterlagen-Gesetz jetzt, wenn dieses Archiv eingegliedert wird ins Bundesarchiv?
Roland Jahn: Das ist ganz, ganz wichtig, dass dieses Stasi-Unterlagen-Gesetz weiter gilt, denn es hat sich über Jahrzehnte bewährt. Es ist eine wichtige Grundlage des Zugangs zu den Stasi-Akten. Hier gibt es hohe Kompetenz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt eine Rechtssicherheit und ich hatte es vorhin schon erwähnt: Es ist wirklich hier gelungen diesen Spagat hinzubekommen, Transparenz herzustellen des staatlichen Handelns und Datenschutz für die Betroffenen. Und das ist etwas, wo man sagen kann: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz war eines der ersten Informationsfreiheitsgesetze, die es ermöglicht, dass dieses Archiv demokratisiert worden ist, dass sie ja die Gesellschaft dieses Archiv nutzen kann.
Dagmar Hovestädt: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz wird quasi unter dem Bundesarchivgesetz weiter gelten. Das heißt, es wird im Bundesarchivgesetz ein Paragraph eingefügt, der sagt: Für die Stasi-Unterlagen gilt das Stasi-Unterlagen-Gesetz im Zugang. Und das ist dann entsprechend überarbeitet worden, weil ja dann der Bundesbeauftragte als Figur oder als institutionelle Verfassung nicht mehr auftaucht. Aber nochmal zurück zu dieser Bewertung, Analyse, sind die Hoffnungen oder die Erwartung oder das, was man dachte, mit dem Akten-Zugang erreichen zu können, erfüllt worden, in der Beschreibung von Millionen von Menschen, die Zugang hatten und sich auseinandersetzen konnten mit dem Wirken der Stasi. Ist dafür nicht tatsächlich eine eigene Einrichtung vielleicht auch wirklich notwendig? Es gibt ja durchaus Menschen, die sagen: Na ja, das ist schon errungen worden, auch in dieser Verfasstheit einer eigenen Behörde. Das ist etwas Sichtbares. Das macht die Bedeutung klar, diese Akten für Gesellschaft, auch die Finanzierung einer eigenen Einrichtung. Und jetzt lässt man diese Einrichtung quasi als ein eigene Einheit nicht mehr weiter existieren. Das ist doch auch eigentlich wieder eine Minimierung ihrer Bedeutung.
Roland Jahn: Ich glaube nicht, dass es eine Minimierung ihrer Bedeutung ist, sondern es ist etwas, was jetzt auch für die Zukunft nochmal eine andere Einordnung ermöglicht. Es ist alles zu seiner Zeit, denke ich, wichtig. In den 90er Jahren war es wichtig, dass diese besonderen Akten auch in einer besonderen Verwaltung sind mit einem Bundesbeauftragten, der nochmal parteiunabhängig damit umgeht und der dafür sorgt, dass diese Akten nicht missbraucht werden. Aber wir haben jetzt eine Entwicklung, die es ermöglicht, dass diese Akten eingeordnet werden in das Gedächtnis der Nation, dass wir diese ganzen Angelegenheit als gesamtdeutsch betrachten und dass wir, auch wenn wir die DDR betrachten, die SED-Diktatur insgesamt betrachten. Man muss schon sagen, dass es durch die Existenz des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, dass es mit dem Blick auf die Stasi eine Fixierung gab, die doch auch die Realitäten in der DDR verzerrt haben, dass die Konzentration in der öffentlichen Diskussion auf das Thema Staatssicherheit doch überwogen hat. Und das hat ein bisschen abgelenkt auch von anderen Verantwortlichkeiten, von der Verantwortlichkeit der SED für das geschehene Unrecht, aber auch vor allen Dingen abgelenkt von dem Alltag in der Diktatur, von den vielen Dingen, die in dieser DDR passiert sind an Unrecht, die nichts mit Stasi zu tun hatten. Von den vielen Einschränkungen und Eingriffen in das Leben von Menschen, die irgendwo im Betrieb ihre Meinung gesagt haben oder von der Universität geworfen worden sind, weil sie nicht staatskonform waren bis hin zu Bereichen wie der Kultur und des Sportes, wo Menschen ausgegrenzt worden sind, da war nicht immer die Stasi aktiv. Und da gab es viele, viele, die hier das Unrechtssystem mitgetragen haben. Und so gilt es insgesamt den Alltag in der Diktatur zu betrachten. Und da, glaube ich, kann die Einordnung unter das Dach des Bundesarchivs auch symbolisch wirken und vor allen Dingen auch in den Zugang zum Archiv nochmal eine bessere Verzahnung der Recherchen stattfinden.
Maximilian Schönherr: Wenn ich ins Bundesarchiv gehe oder eine Anfrage stelle: Ich will den Stammheim-Prozess gegen die Rote Armee Fraktion mir angucken, was da an Akten da ist, was auch vom BND vielleicht teilweise schon historisch eingepflegt wurde. Ich glaube im Moment noch nichts. Dann stelle ich einen Antrag, der hat mit mir persönlich gar nichts zu tun. Ich bin jemand, der das quasi von außen recherchiert, als Journalist oder als Wissenschaftler oder was auch immer, wird es genauso dann passieren mit den Stasi-Akten? Oder gibt's ein getrenntes Portal oder eine andere Anlaufstelle, die ich anmaile um dann eine Auskunft von da zu bekommen? Oder ich gehe mal auf das zurück, was Dagmar gerade sagte. Es hat ja so einen Leuchtturm-Effekt im Moment, wenn man weiß, der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen ist eine Behörde, da bin ich mit den DDR-Geschichten gut aufgehoben, da finde ich das, was ich finden will, eventuell. Wird dieser Antrag anders sein, wenn das Ganze beim Bundesarchiv ist?
Roland Jahn: Also beides kann man sagen. Wir haben natürlich das große Interesse, dass im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer vieles vereinfacht wird. Meine Vision ist, dass man einen Antrag stellt mit seinem Anliegen und dann gezielt geleitet wird in die verschiedenen Bestände, die unter dem Dach des Bundesarchiv sind. Das heißt, dass man dann in den Beständen, Beständen der Ministerien, dass dort recherchiert wird, dass aber bestimmte Fragestellungen im Stasi-Unterlagen-Archiv dann recherchiert werden können. Und so kann über einen Antrag, den der Nutzer stellt, dann auch die unterschiedliche Gesetzesgrundlage herangezogen werden. Und dann geht's in die speziellen Recherchen, weil das Stasi-Unterlagen-Archiv arbeitet dann weiter auf der Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Und da gibt's halt die Zugangsmöglichkeiten, die einmal die persönliche Akteneinsicht betreffen, die sehr speziell ist, auch in der Recherche, und dann gibt es die Möglichkeiten, die Forscher haben, die Medien haben, wo auch nochmal ein besonderer Zugang gerade auch für die politische Bildung möglich ist. Und hier sind natürlich andere Antragsformen, andere Recherchemöglichkeiten gegeben, aber entscheidend ist, dass wir uns immer an dem Interessen der Nutzer und Nutzer orientieren und hier bestmöglich diese Antragsmöglichkeiten entwickeln werden.
Dagmar Hovestädt: Man kann vielleicht auch sagen, dass doch auch zwei leicht unterschiedliche Archivkulturen unter einem Dach sich begegnen. Wir sind ja als Einrichtung doch mit relativ vielen Mitarbeitern ausgestattet, Mitarbeitenden, über 1350, das Bundesarchiv hat 450 ungefähr weniger. Das heißt, wir sind sogar eine größere Gruppe unter dem Dach des Bundesarchivs. Und wir sind natürlich gar nicht in dem Sinne, also wir haben zumindest diese Tradition, dass wir unseren Antragstellern, wenn sie denn Opfer der SED-Diktatur waren, auf eine bestimmte Art und Weise verpflichtet fühlen und dass es quasi kulturell durchaus einen Unterschied. Wir haben ja sogar bis in die Kostenverordnungen runter dekliniert: Wer ein Betroffener war von Stasi-Unterlagen, muss keine Gebühren zahlen für eine Akteneinsicht. Das ist für das Bundesarchiv unvorstellbar, weil man natürlich überhaupt nicht so wie Maximilian Schönherr das gerade beschrieben hat, sich Gedanken darüber macht, wer da kommt und wieso, das ist einem Archiv in der Regel egal. Das Archiv will den Nutzerinnen und Nutzern bestmöglich das zur Verfügung stellen, was sie wollen. Und wir haben durchaus eben auch nochmal diesen Blick immer wieder auf die Aufarbeitung von Unrecht. Das ist schon eine leicht andere Kultur, auch wenn wir gleichzeitig natürlich das klassisch Archivische machen, erschließen, Archiv aufbereiten und Historikern und sonstige Wissenschaftlern und Forschern die Akten zur Verfügung stellen. Was passiert dann mit diesen beiden Kulturen unter einem Dach?
Roland Jahn: Was mir wichtig ist, dass der Service, der jetzt da ist und das ist schon ein besonderer Service, gerade die Beratung von Betroffenen, die erstmalig in ihre Stasi-Akte hineinschauen oder denken wir an die Angehörigen von Verstorbenen, die ja auch das Recht haben in diese Akte zu schauen, die werden natürlich auch betreut, dort werden Dinge erläutert und dort werden auch Dinge abgefangen, auch menschlich natürlich Hilfestellung geleistet, weil doch viele Erkenntnisse doch auch erschreckend manchmal sind. Da sind wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern da und beraten dort auch psychologisch, wie man mit solchen Situationen umgeht. Aber auch Forscher und Medien haben eine sehr intensive Betreuung, weil die Bestände des Stasi-Unterlagen-Archivs, das ist kein normales Archiv, so wie im Bundesarchiv bestimmte Dinge abgelegt sind, die Hinterlassenschaften eines Ministeriums der Bundesrepublik Deutschland. Dort sind repräsentative Akten herausgesucht, die leicht recherchierbar sind, weil sie ganz bewusst gezielt ausgesucht worden sind. Bei dem Stasi-Unterlagen-Archiv geht es um den Gesamtbestand der Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit. Hier gibt es Ablagen, die nach dem System einer Geheimpolizei sortiert sind, die sind personenbezogen abgelegt. Hier sind viele Zusammenhänge sachlich noch nicht erschlossen. Und deswegen ist es wichtig, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiter auch die Forscher betreuen, dass sie gemeinsam Recherchewege ergründen, um wirklich zu den Akten zu kommen, die benannt worden sind in den Anträgen.
Maximilian Schönherr: Das ist eigentlich gerade ein Plädoyer gewesen, dass man den Status Quo erhält, weil im Bundesarchiv, sag ich jetzt mal platt ausgedrückt, haben die wirklich davon keine Ahnung. Ich mag das Bundesarchiv auch gerne und ich bin da auch gerne, aber es ist eine völlig andere Kultur. Ich glaube nicht, dass die zusammenwachsen können. Es sei denn, es gibt wirklich zwei Portale, quasi ich-. Ich kann nicht über das Bundesarchiv, sage ich jetzt als User - mein Vater hat gerade ein Antrag auf Akteneinsicht persönliche Akteneinsicht gestellt - es ist extrem kompliziert, aber es kann nicht sein, dass er beim Bundesarchiv auf der Website einen Antrag stellt und dann dauert es fünf Wochen, bis die im Bundesarchiv finden: Ach so, da gehts um Elsterwerda. Da müssen wir jetzt zu den 1'000 Mitarbeitern vom ehemaligen BStU gehen.
Roland Jahn: Also ich denke, das ist ein Prozess. Wichtig ist, dass wir insgesamt die DDR betrachten. Wichtig ist, dass wir das Ganze als gesamtdeutsche Angelegenheit betrachten. Und deswegen ist es doch gut, wenn das Gedächtnis der Nation zusammengehalten wird. Natürlich müssen wir die besonderen Kulturen, die Recherchekulturen, den besonderen Gegenstand der Stasi-Unterlagen als Hinterlassenschaft einer Geheimpolizei beachten. Und das wird es auch weiter sein. Deswegen ist diese sichtbare Eigenständigkeit im Deutschen Bundestag formuliert worden. Aber es geht doch auch darum, um Kompetenz, Technik und Ressourcen zu bündeln. Denken Sie mal nur an die Fragen der Digitalisierung. Da ist es wichtig, dass wir hier mit gemeinsamer Kraft vorangehen. Da ist es wichtig, dass die Kompetenzen zusammenkommen. Sonst können wir diese Herausforderungen nicht bewerkstelligen. Und darum geht es doch, dass dann zusätzlich noch Services verbessert wird, dass zum Beispiel Akteneinsichten auch im Westen Deutschlands in die Stasi-Unterlagen erfolgen können, dass in Koblenz, in Bayreuth, in Ludwigsburg oder Freiburg an diesen Standorten des Bundesarchivs auch das Recht da ist, Stasi-Unterlagen zu betrachten, ob original oder digital, je nach Bedarf. Also all solche Sachen sind ja Vorteile gerade für die Nutzerinnen und Nutzer, die wir hier auf den Weg bringen. Und das sind die Herausforderungen der Zeit, dass wir uns weiterentwickeln. Und da gehe ich schon nach dem Motto von Wolf Biermann: Wer sich verändert, bleibt sich treu.
Dagmar Hovestädt: Dann ist es ja auch nicht so, dass man mit dem Zusammengehen alles Sinnhafte über Bord wirft. Das macht ja keinen Sinn, dass das Bundesarchiv sozusagen sich vorschaltet oder die jetzt dort arbeiten, vorschalten vor dem Prozess, der gut funktioniert. Das wird ja auch nicht so sein, dass die Archivarin und Archivare und die Auskunftsmitarbeiter, die die Anträge betreuen, dass die jetzt plötzlich, weil sie im Bundesarchiv sind, sich loslösen vom Stasi-Unterlagen-Archiv und dass die Unterlagen zum Kaiserreich betreuen. Es gibt ja Kompetenzen im Bundesarchiv genauso wie bei uns und es muss möglichst effizient organisiert sein. Das heißt, dass wir sicherlich auch uns zusammen gemeinsam auf eine Reise begeben, wie diese unterschiedlichen Geschichten und Kulturen sich besser miteinander vernetzen und am Ende wirklich so was funktionieren kann, dass man einen Antrag stellt und dass dann man, ich sage mal als Historiker eine bestimmte Phase historisches Ereignis sich ansehen will und die Unterlagen der Stasi, aber auch das Ministerium des Innern oder der Volksbildung zusammen auf den Tisch gelegt bekommt und damit ein viel größeres Bild in einem Gang sozusagen ermöglicht ist. Und das ist ja eher die historische Betrachtung. Und dann gibt es eben den das Opfer der Diktatur, das aber vielleicht auch die Unterlagen der Gefängnisverwaltung im Ministerium des Innern sich dann gleichzeitig ansehen kann mit den Stasi-Unterlagen. Aber das würde ich auch sagen, an Tag eins wird das nicht so einfach möglich sein, das ist ein Prozess. Eigentlich auch spannend.
Roland Jahn: Gerade die Abteilung, die nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz arbeiten, das sind ja alles Fachabteilungen mit hochkompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die werden sozusagen hier ihre Arbeit gut weitermachen. Und natürlich werden diese Erkenntnisse, die da sind, auch dann weitergetragen, auch in die anderen Abteilungen des Bundesarchivs. Aber wenn ich alleine daran denke, in der Frage der Zusammenstellung von Editionen, wenn zu bestimmten Themen man dann hineingeht in die Bestände des Stasi-Unterlagen-Archivs, aber auch in die Bestände der DDR Ministerien, kann man Editionen zusammen herausgeben, die dann die Gesamtheit der Akten im Bundesarchiv betrachten oder auch in der Öffentlichkeitsarbeit, in der digitalen Vermittlung. Und wenn ich dran denke, dass die Mediatheken erweitert werden mit Dokumenten aus verschiedenen Bereichen oder auch Social Media, da können wir unterwegs sein und können auch das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Dinge auch immer einen größeren Zusammenhang betrachtet werden und nicht nur fixiert auf die Staatssicherheit. Das, denke ich, sind Riesenchancen, die hier sich entwickeln können, aber es ist ein Prozess. Da wird nicht einfach der Schalter umgelegt, sondern das wird Schritt für Schritt wachsen. Und gerade ein wichtiges Projekt ist das gemeinsame Archivzentrum am historischen Ort der ehemaligen Stasi-Zentrale werden die Bestände des Stasi-Unterlagen-Archivs, die jetzt schon da sind, vorhanden sein und dazu kommen die Bestände der DDR Ministerien, dazu kommen z.B. die Haftakten. Und der betroffene Bürger kann dann im Lesesaal beides nebeneinanderlegen, die Haftakte und die Stasi-Akte aus den zwei verschiedenen Beständen, die unter dem Dach des Bundesarchivs sind und genauso kann das auch der Forscher oder Journalist. Und wir können hier praktisch ein Archivzentrum entwickeln, die sogar auch die Bibliotheken mit einbezieht, die Spezialbibliotheken, die hilfreich sind, ein Archivzentrum entwickeln, wo wirklich für die Zukunft etwas gestaltet wird, wo wirklich Synergieeffekte da sind und wo wirklich die Kompetenz und Ressourcen gebündelt werden bis hin zur Digitalisierung.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten-
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Maximilian Schönherr: Können wir über die Datenbanken kurz sprechen? Bundesarchiv hat eine Art der Datenbank, Sie haben eine andere oder die gleiche?
Roland Jahn: Nein, auch da geht es ja darum, dass wir die Datenbanken verschränken miteinander. Es geht darum, dass die Archivverwaltungs-Software angeglichen wird. Wir haben jetzt schon teilweise eine Zusammenarbeit in bestimmten Archivportalen, Argus zum Beispiel, der Archivgutsuche, die online stattfindet. Das betreiben wir mit dem Bundesarchiv zusammen, sodass man da Begriffe eingibt und dann auf die verschiedenen Bestände in den jeweiligen Archiven verwiesen wird. Argus wird dann abgelöst durch ein Archivverwaltungs-Software BASYS, die schon mehrere Jahre im Bundesarchiv angewandt wird. Und wir passen unserer ganzes System an, sodass wir dann ein einheitliches System haben, sodass dann auch bestimmte Datenbanken verschränkt werden können und für die Nutzerinnen und Nutzern von Vorteil sind.
Dagmar Hovestädt: Zu den Datenbanken gibt's vielleicht noch zu sagen, dass wir tatsächlich aber eben eine sehr besondere Ueberlieferung sind insgesamt, weil wir letztendlich die Registratur, die Gesamtdarstellung all dessen sind, was die Stasi hinterlassen hat, als sie im Herbst 1980 zusammengebrochen ist und das Bundesarchiv natürlich die reduzierte Representative oder auch das gerade nicht repräsentative von Abläufen in Ministerien zusammenstellt und da sehr viel kleinere, sozusagen Gesamtrepräsentanzen hat von diesen Darstellungen und das Archiv der Stasi einfach so gebaut ist, dass es ein Arbeitsinstrument ist, zur Informationsfindung, aber auch zum Informationen Versteckens sozusagen, die Mechanik des Geheimen sich daran ablesen lässt und auch so gebaut mit dem absoluten Vertrauen, dass niemals jemand außerhalb dieser Geheimorganisation in diese Unterlagen hineinschauen wird. Insofern ist das auch nicht ganz ohne Komplikationen, die Software und Datenbanken und Erschliessungsinstrumente, die geschaffen sind für eine etwas standardisierte Überlieferung, auf diesen Gegenstand anzuwenden. Das ist ja bei uns eben auch das Besondere, dass man in der Art, wie Informationen abgelegt sind, wo sie abgelegt sind, in der Aktenkunde, in der Zuordnung, in dem Wandern von Informationen durch das durch diese Organisation des Ministeriums viel erfahren kann über das einzelne Dokument. Das ist in anderen Zusammenhängen auch nicht ganz unverzichtbar, dass man die Kontexte kennt, aber in so einer Geheimüberlieferung, die eben in ihrer Komplettheit weitestgehend vorhanden ist, ist das nochmal etwas Besonderes. Und das ist eine große Herausforderung, dass in diesen Datenbanken auch wirklich mit darzustellen, was über die innere Logik, die Informationsverarbeitung in diesem Ministerium da zu finden ist.
Maximilian Schönherr: Wie weit ist diese Migration schon gediehen?
Roland Jahn: Es sind viele, viele Fragen, die geklärt werden müssen. Alleine die Signaturen, die hier natürlich eine gewisse Tradition haben, dass die nicht verloren gehen, dass man auf die alten Signaturen weiter zurückgreifen kann, aber auch wieder eine Verschränkbarkeit mit den anderen Datensätzen des Bundesarchivs ermöglicht. Das ist noch ein ganzes Stück Arbeit, aber das ist die große Chance. Die Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten und von manchen Dingen können wir noch gar nicht sprechen, weil da die Entwicklung eine Dynamik hat, die in fünf Jahren wieder ganz anders ist, als wir das jetzt beschreiben können. Aber das Ziel ist immer: Wie können wir dieses Archiv noch besser nutzbar machen? Wie können wir die Daten so abrufbar machen, dass die Nutzer am Ende zu den Informationen kommen, die sie recherchieren wollen?
Maximilian Schönherr: Dieses neue Archivzentrum, was da jetzt in Lichtenberg entstehen soll, von dem sie gerade wie hieß es nochmal?
Roland Jahn: Das ist sozusagen ein Archivzentrum, was die Möglichkeiten hat, die SED-Diktatur insgesamt aufzuarbeiten, weil dort die Bestände, die im Bundesbesitz sind, zur DDR vollständig gelagert werden.
Dagmar Hovestädt: Also einen richtigen Namen gibt's noch nicht so richtig. Also Namen gibt's wahrscheinlich noch nicht so richtig-
Roland Jahn: Aber das Ganze ist natürlich dort eingebettet. Der ganze Ort der ehemaligen Stasi-Zentrale - da gibt es ja den Auftrag weiterzuentwickeln zu einem Ort der Demokratie und Diktaturgeschichte. Und in dem Sinne ist das eingebunden auch in die Entwicklung im Land Berlin. Und da hat das Parlament den Auftrag erteilt, diese Stasi-Zentrale zu einem Campus für Demokratie zu entwickeln. Und dieser Campus für Demokratie, der lebt ja jetzt schon, der lebt ja jetzt schon mit diesen Bausteinen Stasi-Unterlagen-Archiv, was der Bundesbeauftragte verantwortet, mit dem Stasi-Museum, was getragen ist von einem Verein, der AStAk, der Antistalinistische Aktion, wie der Verein sich nennt und der Robert Havemann Gesellschaft, dem Archiv der DDR Opposition, die dort präsent sind mit den Dokumenten der Opposition der DDR, aber auch mit einer Open-Air Ausstellung der friedlichen Revolution bis hin zum Mauerfall. All das sind Eckbausteine der Weiterentwicklung und was zusätzlich noch auf den Weg gebracht worden ist durch den Bundestag, da wird jetzt gerade eine Machbarkeitsstudie gemacht, ein Forum für Opposition und Widerstand. Und das ist die große Chance, dass hier auch doch eine Vielfalt an Angeboten dann da ist, die das Archivzentrum dann sehr gut einbettet.
Maximilian Schönherr: Und ganz platt gesagt, hab ich irgendwo gelesen: Sie haben da so viel Platz, dass das Bundesarchiv sich freut, dass es da Akten auch unterbringen kann.
Roland Jahn: Das ist ganz praktisch zu sehen. Das Bundesarchiv hat sozusagen einen Raumbedarf für ihre Unterlagen, die momentan in Berlin Lichterfelde liegen. Wir haben unseren Raumbedarf, der auch nochmal ergänzt wird um Ausstellungsflächen, die sich weiterentwickeln und das addiert gibt dann sozusagen das Archivzentrum, in dem auf das zurückgegriffen wird, was die historischen Bauten sind plus natürlich dann auch Bauten für die Magazinräume, für die Karteiräume, die dann auch klimagerecht und so weiter gestaltet werden, sodass wir das Historische und das Neue zusammenbringen. Und das bedeutet ja dieser Satz: Wir schaffen Neues, um den Kern des Alten zu bewahren.
Dagmar Hovestädt: Vielleicht ist das die Neuartigkeit dieser nächsten Phase vom Stasi-Unterlagen-Archiv, dass es sich sehr intensiv mit den historischen Orten verschränkt, dass die Akten eben mit den Orten sozusagen eine Einheit bilden, an die sie dann langfristig gelagert werden, auch unter dem Dach des Bundesarchivs. Und das macht es auch nochmal ein bisschen anders, weil die Tradition dieser Akten ist eben nicht nur, dass sie die Arbeit einer Geheimpolizei repräsentieren, die man erstmalig komplett aufgemacht hat, um sie eben aus dem aus dem Dunklen zu zerren und sich darüber auszutauschen, was an Unrecht dokumentiert ist, sondern es ist ja auch in einer Revolution erobert worden. Das war den Menschen dieser Revolution wichtig, dass diese Akten erhalten werden, dass sie zugänglich werden, dass sie mit diesen Akten aufklären können, wie der Staat sich in ihr Leben eingemischt hat und sich sozusagen ein Stück weit auch ihre eigene Identität zurückholen können dadurch. Und diese Tradition und dieses Besondere an dem Archiv auch weiterleben zu lassen, selbst wenn es in dem Sinne in die klassische Archiv-Architektur der Nation eingegliedert wird, macht es eben auch nochmal ein bisschen anders als das Bundesarchiv, das sozusagen vor allen Dingen nach Zweckbauten sucht. Und diese Stasi-Unterlagen sollen eben in diesen historischen Orten auch ein Stück weit ihre besondere Geschichte sozusagen lebendig werden lassen, wo man gleichzeitig natürlich archivarisch fachlich ordentlich mit ihnen umgeht. Das macht es vielleicht auch nochmal ein bisschen anders und bringt eine leicht neue Kultur mit in das große neue Ganze des Bundesarchivs.
Roland Jahn: Wir merken das ja auch, dass der Bedarf da ist. Alleine was wir erlebt haben an Archivführungen in den letzten Jahren, nicht nur aus Deutschland, sondern auch international. Die Menschen nehmen diese Akten als etwas Besonderes wahr. Es ist ein Monument des Überwachungsstaates und gleichzeitig auch Zeugnisse des Freiheitswillen von Menschen. Und das als Gegenstand zu erleben, sie zu riechen, das ist etwas, was die Menschen immer wieder betonen, dass das ein besonderes Erlebnis ist, das wahrgenommen zu haben und dann auch zu begreifen, dass hinter jeder Akte menschliche Schicksale stecken. Das ist schon eine Besonderheit. Es ist durchaus ein musealer Charakter dieser Akten, der ja auch zum Tragen kommt. Und nicht umsonst hat der Deutsche Bundestag hier gesagt, dass der Gesamtbestand erhalten bleibt. Das ist auch ein wichtiges Signal, dass dieser Gesamtbestand einen besonderen Wert hat.
Maximilian Schönherr: Das heißt, Dagmar, ich verstehe dich auch so. Diese Standorte sind total wichtig, auch die lokalen Standorte, wo die Stasi gewirkt hat, Rostock z.B.-
Dagmar Hovestädt: die regionalen Standorte in den östlichen Bundesländern.
Maximilian Schönherr: Genau. Wir sprechen ja jetzt immer wieder von der nächsten Generation, also wo geht das Archiv hin in der nächsten Generation. Die nächste Generation wird wahrscheinlich so ein Archiv nur noch digital ansteuern. Das heißt, wird sich dafür interessieren: Was kann ich an Digitalisaten schon online sehen? Dass es bei der Europeana z.B. fantastisch - also da - aber das ist jetzt eine ganz anders gelagert, was auch immer. Aber ist der Ort wirklich so wichtig dann auch in der Zukunft? Also, dass der Louvre in Paris ist, ist wichtig, aber dass die Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt und die meisten wissen auch nicht Frankfurt und Leipzig ist eigentlich unwichtig, die können auch in Speyer stehen, oder?
Roland Jahn: Nein, das hat sich doch gezeigt in der Praxis, dass historische Orte eine besondere Bedeutung für die Gegenwart haben, gerade für die nächsten Generationen, weil sie haben eine Kraft, sie haben etwas Konkretes. Dieser historischer Ort ist mitten in Berlin, mitten in der Stadt, die als Metropole sozusagen die Welt anzieht. Und mitten in dieser Stadt ist ein Ort, an dem etwas stattgefunden hat, von der Stasi-Zentrale aus sind Maßnahmen ausgegangen, die eingegriffen hat in das Leben vieler Menschen, die die Grundlage zum Machterhalt einer SED mitgeliefert hat, die dafür Verantwortung getragen hat, dass dieses Deutschland geteilt war, dass Europa geteilt war. All das von einem historischen Ort der Schreibtischtäter, die hier etwas hinterlassen haben, nämlich diese Akten. Das ist eine Überlieferung, die mehr ausdrückt als nur die Informationen, die in diesen Akten drinne steckt. Und das ist dann der museale Charakter. Das ist das Konkrete, was sichtbar ist, was greifbar ist. Und das erleben wir ja, wenn wir die jungen Menschen hier bei uns zu Besuch haben, aber auch insgesamt überhaupt die Menschen, die plötzlich da sitzen und in diesen Beispielakten blättern, die sie auch digital sich anschauen können. Wir haben eine Stasi-Mediathek online, wo die Menschen schon digital blättern können. Aber es nochmal anzufassen, in diesen Akten 1:1 die Dinge zu lesen, keine Auswahl, sondern mal wirklich so ein Band, so einen Operativ-Vorgang in der Hand zu haben, der die Grundlage dafür war, dass Menschen ins Gefängnis gesperrt worden sind, dann wird es plötzlich ganz anders nachvollziehbar. Und das ist etwas, was wir in der Praxis bestätigt bekommen. Und deswegen gehen wir diesen Weg weiter.
Dagmar Hovestädt: Und das an dem Ort zu tun, wo die Menschen, die diese Schriftstücke beschrieben haben und diese Pläne gemacht haben, vor dann 35 oder 40 oder 50 Jahren gearbeitet haben, das ist, glaube ich, diese Kombination. Ich glaub auch-, ich habe auch drüber nachgedacht: Das eine ist das Haptische, das Nahbare, das Erfahrbare, der historische Ort mit den originalen Akten, aber hey, Digitalisierung ist das große Schlagwort. Irgendwann braucht man das nicht mehr. Aber ich glaube, das bedingt sich quasi sogar gegenseitig. Natürlich die Information, dass sich auseinandersetzen mit dem Wirken der Stasi, mit den Akten, das kann man digital machen. Aber die Beschäftigung mit dem Ort, wie das wirklich war, was es heißt, so ein Ministerium der Überwachung zu organisieren, diesen historischen Ort zu erleben, diese Akten dort zu erleben und diese Tradition der Eroberung der Akten durch Menschen zu erleben, das ist eben nochmal etwas anderes. Das eine ist die Tradition des Archivs seit 1990 und das andere ist die Dokumentation der Repression 40 Jahre davor. Und das ist ja auch immer so schwer vorstellbar, aber Archive sind nun wirklich Einrichtungen für extrem lange Zeiträume und es wird irgendwann die Zeit kommen, wo das Stasi-Unterlagen-Archiv länger existiert als die Stasi jemals existiert hat. Und dann wird es nochmal 10 Jahre und zwanzig und dreißig Jahre weitergehen und sich zu überlegen welche Strukturen schafft man, die so langfristig dann für Gesellschaft Optionen und Antworten und Auseinandersetzungsmöglichkeiten bieten, das ist die Kunst heute. Und da kann man schon verstehen, dass man ein bisschen sich fragt: Ist es nicht zu früh und ist es doch die richtige Geschichte, aber gleichzeitig dauert das alles doch sehr lange, bis sich die Dinge sozusagen materialisieren. Also auch neue Bauten wird man nicht in einem halben Jahr aus dem Boden stampfen. Das hat alles auch lange Zeiträume, bis es zu dem Punkt kommt, wo sich die neue Gestalt dann wirklich präsentiert.
Roland Jahn: Machen wir es doch mal konkret. Schauen wir uns bei Rostock an. Dort gibt es eine ehemalige Bezirksverwaltung, wo es ein Stasi-Knast gibt, der als Gedenkstätte hergerichtet worden ist und in Zukunft von der Landeszentrale für politische Bildung betrieben wird. An diesem Ort der ehemaligen Bezirksverwaltung werden wir den Archivstandort errichten, der die Akten beherbergt und gerade die Kooperation mit dieser Gedenkstätte, die hergestellt wird, wo wir ja schon in den Gesprächen sind, auch mit der mit dem Landesministerien, wo wir dort deutlich machen können, wie die Stasi gearbeitet hat, dass sie nicht nur Informationen gesammelt hat, sondern dass sie auch die Menschen ins Gefängnis gesteckt hat. Das heißt, wir können dort eine Beispielakte zeigen eines Operativ-Vorgangs, wo aus dem beschriebenen Papier ja ein konkreter Eingriff in ein Menschenleben geworden ist und der Mensch dann in einer Zelle, die man nebenan auch betrachten kann, gesessen hat, über Monate und kaputt gespielt worden ist und bis heute auch Nachwirkungen vielleicht hat. All das können wir dort vor Ort erzählen, aber wir können auch noch etwas anderes erzählen, dass dieser Ort im Dezember '89 erobert worden ist von den Bürgerinnen und Bürger, dass sie die Akten gesichert haben und dass sie der Stasi, dem Treiben ein Ende bereitet haben. All das kann dort erzählt werden. Und dort wird auch die Voraussetzung geschaffen, dass die Universität Rostock hier Forschung organisiert, dass junge Menschen diesen Ort und diese Dokumente nutzen können für ihre wissenschaftlichen Studien, um auch aufzuklären über Diktatur und auch über Revolution, aber auch gleichzeitig auch den Wert von Fragen der Menschenrechte hier betonen können.
Maximilian Schönherr: Okay, der Zufall will es ja, dass sie in Rente gehen, wenn der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nicht mehr existiert und das Ganze offiziell dann ins Bundesarchiv integriert wird, teilweise. Was haben Sie noch vor im nächsten halben Jahr?
Roland Jahn: Also ich denke, dass das nächste halbe Jahr ausgefüllt ist, gerade von diesem Transformationsprozess, in der Kompetenzbündelung, in den Fragen der neuen Möglichkeiten an den Standorten, aber auch insgesamt für die Nutzerinnen und Nutzer eine Verbesserung des Services, gerade auch durch die Digitalisierung. Da denke ich, sind wir insgesamt auf einem guten Weg unter dem Dach des Bundesarchivs.
Maximilian Schönherr: Also konkret fahren Sie dann öfter nach Koblenz und die Koblenzer kommen zu Ihnen?
Roland Jahn: Nein, wir haben ja intensiven Austausch. Wir haben jede Woche auch mit der Leitung des Bundesarchivs eine Videokonferenz. Wir haben hier Facharbeitsgruppen, die die Dinge konkret besprechen. Und ich sage es nochmal: In vielen Fragen arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen einfach weiter und jeder Nutzer und Nutzerinnen sollten wissen, dass hier bewährte Fachkräfte sind, das Stasi-Unterlagen-Gesetz weiter gilt und die Menschen auch zu den Akten kommen, die sie bei uns einsehen wollen. Also ich glaube, eins muss noch mal deutlich gesagt werden: Ich sehe darin sogar eine Verdoppelung der Kraft, denn wir haben dann einen Stasi-Unterlagen-Archiv unter dem Dach des Bundesarchivs. Die andere Kraft wird sein der Bundesbeauftragte für die Opfer, der dann ganz gezielt auch als Berater des Deutschen Bundestages dafür sorgen kann, dass man den Opfern gerecht wird. Und das, denke ich, ist das Wichtige. Und somit verbinden wir, dass wir den Opfern gerecht werden und gleichzeitig die Brücke in die nächste Generation bauen.
Maximilian Schönherr: Haben wir noch einen schönen Archiv-Ton?
Dagmar Hovestädt: Aber natürlich. Auch das neue Jahr geht natürlich gleich weiter. Wir haben ja über 22'000 Archiv-Töne, da geht uns so schnell nicht unbedingt die Luft aus. Und insofern ja auch Bühne frei für den akustischen Blick ins Archiv.
[schnelles Vorspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audioüberlieferung des MfS. Unser heutiges Beispiel ist nicht nur was für Fußballfreunde. In mehreren Telefonaten versucht der Offizier des Hauses, der OdH, die Zuständigkeiten für einen geordneten Ablauf der Uefa-Cup-Spiels zwischen Dynamo Dresden und dem VfB Stuttgart 1989 in Dresden festzustellen. Da Sportfragen politische Fragen sind, ist das ein schwieriges Unterfangen. Einer der Gesprächspartner ist sein sehr ungehalter Chef, der langjährige Leiter der BV Dresden, Generalmajor Horst Böhm. Von 48 Minuten hören wir knapp 3.
[Piepton]
[männlicher Sprecher:] OdH Hauptmann [unverständlich]. Genosse Generalmajor, ich habe [unverständlich] ausgeführt und in diensthabendender Anweisung die Bezirksleitung angerufen.
[Horst Böhm:] Hm.
[männlicher Sprecher:] Er hat sich das angehört und hat den Vorschlag gemacht, also wenn das schon so wär und Sie wären der Meinung, möchten Sie bitte den Genossen Geppert selber anrufen.
[Horst Böhm:] Na, der Genosse Geppert ist nicht-, dann rufst ihn wieder an, der Genosse Geppert ist nicht mein Vorgesetzter sondern ist mit Abteilungsleiter der Bezirksleitung. Hier geht es auch nicht um Sicherheitsfragen, sondern um Sportfragen, sagste ihm. Und wenn der diensthabende Bezirksleiter von der Staatssicherheit so eine Mitteilung kriegt, dann geht-, kann doch nicht ein Genosse Geppert anrufen, da muss ein Abteilungsleiters Sport anrufen. Und der Abteilungsleiter Sport muss das einleiten, das sagtse ihm. Und ich verbitte mir eine solche Antwort, das kannste dazu sagen. Wir sind keine Affen hier. Hier geht es nicht um Sicherheitsprobleme, sondern um Sportfragen. Wir haben keine Angst, Sicherheit machen wir da alles und so weiter. Das ist ne Frage des DTSB und Sport und da gibt's Abteilungsleiter Sport und die sollen das alles einleiten, gemeinsam mit Dynamo. Das ist keine Sicherheitsfrage, das ist ne politische Frage. Haste verstanden?
[männlicher Sprecher:] Ja.
[Horst Böhm:] Sag ihm das. Wer-, wer-, mit wem hast du geredet?
[männlicher Sprecher:] Mit dem Diensthabenden.
[Horst Böhm:] Na, mit wem?!
[männlicher Sprecher:] Der hat sich namentlich nicht-
[Horst Böhm:] Na, da musst du fragen! Was bist du denn für ein OdH der Bezirksverwaltung? Redst mit irgendwelchen Leuten und weeßt überhaupt nicht mit wem du redest.
[männlicher Sprecher:] [Unverständlich]
[Horst Böhm:] Na, Mensch, muss ich euch denn das alles noch sagen?! Das sind alles Grundfragen mein lieber Mann. Sag ihm: Haste mit mir geredet, Ich verstehe seinen Rückruf nicht. Er ist der diensthabende Bezirksleiter, mir geht es nicht um Sicherheitsfragen, sondern politische Fragen. Sagste so wie ich das sag. Und es ist auch keine Frage des Genossen Gabbert, sondern ne Frage der Abteilung Sport und Jugend und Körperkultur. Und die sollen mit Dynamo reden. Wir wollen verhindern, dass Genosse Stamnitz wieder ne Informationen an ZK machen muss. Hast du das richtig begriffen was ich dir sag?
[männlicher Sprecher:] Ich habs begriffen, Genosse Generalmajor.
[Horst Böhm:] Das kann doch wohl nicht wahr sein, was sich hier tut. Du redst aber mit Leuten, weeßt überhaupt nicht mit wem du redest. Das also empört mich muss ich dir sagen, Mensch.
[männlicher Sprecher:] Ich habs begr-
[Horst Böhm:] Ne, nicht doch, Mensch, hör mal! Ich rede jetzt doch mit dir als [unverständlich]. Du redest mit irgendwelchen Leuten, weeßt überhaupt nicht, mit wem du redest. Lass dir das mal durch den Kopf gehen. Kann sich doch hier drüben irgendjemanden melden. Musst doch wenigstens fragen: Genosse, wer sind Sie? Wir sind doch hier keine-, keine Volkssolidarität. Hier geht es um echte Grundfragen. So was hast'n noch?
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."