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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Willkommen zu Folge 22. Ich bin Dagmar Hovestädt, Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und begrüße Sie gemeinsam mit Maximilian Schönherr, meinem Co-Host. Er ist Radio-Journalist und Gründer des Archivradios im SWR.
Maximilian Schönherr: Heute geht es um die Friedensbewegung in der DDR, und speziell um die Frauen, die sie trugen. Die DDR-Staatspartei SED hatte das Wort Frieden für sich gepachtet, quasi ein Monopol auf den Begriff Frieden, sodass friedensengagierte Bürger ohne Parteibuch politisch missliebig waren, weil Friedensarbeit nicht ohne Parteikontrolle sein sollte. Anders als im Westen, wo ab 1979 Großdemonstrationen der Friedensbewegung stattfanden und sich daraus eine starke Grüne Bewegung bildete, war derlei in der DDR verboten. Die DDR-Friedensbewegten trafen sich privat, was bei der Stasi "konspirativ" hieß, oder in Kirchen – da hatten sie ein geschütztes Dach - aber auch kritische Pfarrer. Und der Stasi gelang es, auch in dieser Szene Spitzel zu gewinnen und sie dort zu platzieren.Eine ganz zentrale Gruppierung in der DDR-Friedensbewegung waren die "Frauen für den Frieden". Im Oktober 2019 kam ein Buch auf den Markt, in dem sich die Akteurinnen von damals an ihre Aktionen erinnern und mit Abstand ihren Weg in die politische Opposition in der Ein-Parteien-Diktatur erinnern. Dazu fand eine Veranstaltung vom Stasi-Unterlagen-Archiv mit Partnern in der Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie in Berlin Lichtenberg statt, also auf dem Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit und das präsentieren wir heute.
Dagmar Hovestädt: Das Buch heißt "Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden". Im Gespräch sind die beiden Herausgeberinnen, moderiert von der Lektorin des Buchs, Jana Fröbel. Es ist erschienen im Christoph Links Verlag, der insofern eine Erwähnung wert ist, als dass dieser Verlag im Dezember 1989 gegründet wurde, just als die Vorzensur in der DDR aufhörte und sich der Verlag der Geschichte der DDR und der Friedlichen Revolution besonders verpflichtet fühlt.Jana Fröbel als Lektorin ist mit den beiden Herausgeberinnen und anderen aus dem Buch, die bei den "Frauen für den Frieden" aktiv waren, sehr vertraut. Das hat eine sehr eigene Atomsphäre bei der Buchpräsentation an diesem Abend geschaffen. Ich war vor Ort und fand, es war eine sehr warme, herzliche und vertraute Atmosphäre. Das hat einen sehr berührt.
Maximilian Schönherr: Waren auch Männer da?
Dagmar Hovestädt: Ja natürlich! Es war gut durchmischt, es ist doch eine solidarische Angelegenheit gewesen. Warum die Frauen sich als "Frauen für den Frieden" organisiert haben, das erfahren wir noch in dem Gespräch, warum ihnen das so wichtig war. Aber damit war keine Anti-Männer-Friedensbewegung von Frauen gemeint, sondern es hat bestimmte Gründe gegeben, warum es erstmal Frauen - es ging ja um eine spezifische Frauenangelegenheit - sozusagen auf den Plan gerufen hat. Aber es war immer partnerschaftlich und in Solidarität mit allen, die sich für die richtigen Belange damals eingesetzt haben.
Maximilian Schönherr: Wir werden in der Diskussion auch hören, dass sie keine Feministinnen waren. Sie haben sich nicht als Feministinnen verstanden. Es gab zwar solche Gruppen, aber die "Frauen für den Frieden" waren keine Feministinnen, das muss man, glaube ich, klar sagen. Im Publikum sitzen offenbar auch viele ehemalige Mitstreiterinnen der DDR-Bewegung "Frauen für den Frieden", um die 30 zählt Jana Fröbel vom Podium aus. Die Herausgeberinnen des Buches sind Almut Ilsen und Ruth Leiserowitz, beide Mitbegründerinnen der "Frauen für den Frieden". Almut Ilsen wurde 1950 in Jena geboren, studierte dort Chemie und zog 1975 nach Ost-Berlin, wo sie im Bibliothekswesen ein weiteres Studium absolvierte und dann ihren beruflichen Weg ging. Sie ist auch eine bekannte Fotografin. Dagmar Hovestädt: Ruth Leiserowitz wurde 1958 in Prenzlau in heutigen Brandenburg als Ruth Kibelka geboren. Sie legte in der DDR zweimal Abitur ab, aber als Tochter aus einem Pfarrhaus konnte sie in der DDR nicht studieren. Das tat sie dann ab 1990, Geschichte und Polonistik. Ihr Spezialgebiet ist die osteuropäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die Geschichte der Juden im baltisch-polnischen Raum und dem früheren Ostpreußen. Sie hat promoviert und ist habilitiert. Weil sie immer über andere schrieb, war es für sie eine neue Erfahrung, sich selbst ihrer eigenen politischen Aktivität in der DDR als Historikerin zu widmen.
Maximilian Schönherr: Warum konnte sie nicht studieren als Pfarrerstochter?
Dagmar Hovestädt: Die Pfarrer waren durchaus außerhalb der genehmen sozialistischen Gesellschaft. Die hatten sich durch ihr Engagement für die Kirche und den Glauben an Gott disqualifiziert in der sozialistischen Gesellschaft jemals eine vernünftige Rolle zu spielen und es ist ein Stück weit so etwas wie eine Sittenverfolgung, dass man die Kinder dafür bestraft, dafür dass die Eltern sich nicht den sozialistischen Normen entsprechend verhalten.
Maximilian Schönherr: Es fallen ein paar Namen bei der Veranstaltung, die wir kurz durchgehen können: Rainer Eckert, Ilko-Sascha Kowalczuk, Stefan Wolle und Ehrhart Neubert.
Dagmar Hovestädt: Das sind vier Männer, die sich in ihrem Leben intensiv mit DDR-Geschichte auseinander gesetzt haben, drei davon sind bekannte Historiker, die viel publiziert haben. Ehrhart Neubert ist Theologe, hat auch viel publiziert und sie haben alle unterschiedliche eigene biographische Bezüge zur DDR und zur Opposition.
Maximilian Schönherr: Dann wird gleich zu Beginn eine Frau erwähnt, Irena Kukutz.
Dagmar Hovestädt: Irena Kukutz gehört auch zu den Mitbegründerinnen der "Frauen für den Frieden" und ist eine Politikerin, Künstlerin und Publizistin. Sie hat lange für die Robert Havemann Gesellschaft – Das Archiv der DDR-Opposition - geforscht und publiziert. Auf ihre Schriften beziehen sich Almuth Ilsen und Ruth Leiserowitz, also die Herausgeberinnen, mehrfach.
Maximilian Schönherr: Bärbel Bohley, sie spielt in dieser Veranstaltung eine zentrale Rolle, aber sie war nicht da.
Dagmar Hovestädt: Nein. Bärbel Bohley ist schon 2010 im Alter von 65 Jahren gestorben. Man kann sie durchaus als eine herausragende Oppositionsfigur der 1980er Jahre bezeichnen. Von Beruf aus war sie Malerin und sie hat nicht nur die "Frauen für den Frieden" mitbegründet, sondern auch die "Initiative für Frieden und Menschenrechte" und schließlich 1989 das "Neue Forum", eine der wichtigsten Parteineugründungen in der ausgehenden DDR. Sie hat enorm viele Menschen inspiriert und auch die Zeit nach der Vereinigung kritisch begleitet. Und die Frauen an dem Abend haben sich immer wieder sehr gerne und sehr wohlwollend an sie erinnert.
Maximilian Schönherr: Und wir sollten noch Barbara Einhorn erwähnen. Sie sitzt bei den Zuschauern?.
Dagmar Hovestädt: Ja. Barbara Einhorn wurde 1942 als Kind jüdischer Emigranten in Neuseeland geboren, verbrachte dann ab den 1970er Jahren aber den Großteil ihrer akademischen Karriere in England. Sie war dort Professorin für Gender Studies und hatte sich in den 1980er Jahren in der europäischen Friedensbewegung engagiert, was sie dann quasi aus dem Westen auch nach Ost-Berlin zu den "Frauen für den Frieden" führte. In dem Kontext fällt in der Diskussion die Abkürzung END. Sie steht für "European Nuclear Disarmament". Das war eine europaweite Gruppierung, also Ost und West umspannend, die sich für die Abrüstung nuklearer Waffen einsetzte.
Maximilian Schönherr: Auf www.bstu.de/podcast sehen Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, ein Gruppenfoto der Frauen, die an dem Abend der Buchpräsentation alle in Berlin in der Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie zusammengekommen waren.
Dagmar Hovestädt: Dann wären wir so weit. Wir hören jetzt "Seid doch Laut! Die Frauen für den Frieden", einen Mitschnitt der Veranstaltung am 29.Oktober 2019 in Haus 22, in Kooperation mit dem Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin, der Robert-Havemann-Gesellschaft und dem Christoph Links Verlag. Es beginnt Jana Fröbel, Lektorin des Buches und Moderatorin des Abends.
Jana Fröbel: Die Gründung der "Frauen für den Frieden" liegt ja nun 37 Jahre zurück, 1982. Zu den historischen Umständen werden wir gleich noch kommen, aber vorab die Frage: Almut warum gerade jetzt dieses Buch?
Almut Ilsen: Ja das hat verschiedene Anlässe bedurft. Ja, es war klar, dass bei Irena so ein Manuskript schlummert mit ihren tollen Interviews, die sie mit vielen der Frauen gemacht hat und dieses Buch konnte aber damals leider nicht realisiert werden. Das war das Eine.
Jana Fröbel: Irena Kukutz.
Almut Ilsen: Irena Kukutz, ja. Sie sitzt da vorne. Und dann gab es zwei Anlässe. Das eine war der Film von Peter Wensierski über IM Monika Haeger, also die war ja in unsere Gruppe eingeschleust worden und bei der Filmpremiere haben sich ein Teil der Frauen - auch in diesem Saal hier - getroffen.
Jana Fröbel: 2017
Almut Ilsen: 2017, also vor ziemlich genau zwei Jahren. Uns hat dieser Film emotional sehr aufgewühlt. Wir waren wütend, ja und wir haben gemerkt, dass wir eigentlich miteinander wieder reden sollten. Und das Zweite war, dass ich kurz vorher mit Ruth wieder Kontakt aufgenommen hatte und Ruth hat mich im Dezember besucht. Sie hatte auch diesen Film gesehen. Dann haben wir über dieses Buchmanuskript geredet und auch über die Wichtigkeit, da was zu machen. Ich habe es mir alleine nicht zugetraut, aber Ruth sagte dann so in ihrer schönen lakonischen Art: "Ja, wir haben doch früher auch alles zusammen gemacht. Das können wir da jetzt auch zusammen machen". Es hat mich so überzeugt, dass ich sofort "ja" gesagt habe. Jetzt haben wir dieses Buch und dann kommt natürlich noch dazu, dass ich während ich arbeiten gegangen bin, natürlich nie die Zeit gehabt hätte, das hast du ja auch schon gesagt. Ja, also ich habe diese Zeit jetzt im Ruhestand gebraucht, um mich wirklich in die Lesesäle von der Havemann-Gesellschaft und der BStU setzen.
Jana Fröbel: Vielleicht hat es auch mit diesen 30 Jahren Abstand zu tun, die sich Zeithistoriker immer gerne nehmen, was einerseits damit zu tun hat, dass man dann erst in die Archive kommt, was hier nun hier ein bisschen anders gelagert ist, aber vielleicht braucht es einfach diesen Abstand. Was sagt denn die Historikerin dazu? Ruth Leiserowitz, Sie haben ja eine historische Einordnung zu dem Buch geschrieben. Schildern Sie doch noch mal bitte ganz kurz in wenigen Sätzen die politische, die weltpolitische Situation Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre.
Ruth Leiserpowitz: Eigentlich beginnt die Geschichte schon Anfang der 70er Jahre, denn Anfang der 70er Jahre hatten wir in Berlin das Gefühl, dass es langsam etwas bergauf gehen würde, weil es das Vier-Mächte-Abkommen gab. Es gab den Grundlagenvertrag, die Einrichtung einer Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin und dann wurde die DDR international anerkannt. Zahlreiche ausländische Botschaften wurden eingerichtet. Wir hatten die Weltfestspiele in Berlin und 1975 kam dann die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki. Wir empfanden das alles als eine sehr positive Entwicklung, die dann ein Jahr später jäh durch die Biermann-Ausbürgerung unterbrochen oder gestoppt wurde und dazu kamen dann die rüstungspolitische Entwicklung, denn die UdSSR hat bis Ende der 70er Jahre mehr als 600 Atomraketen vom Typ SS 20 stationiert und daraufhin sollten per NATO-Doppelbeschluss atomar bestückte Mittelstreckenraketen Pershing 2 und auch noch Marschflugkörper in fünf NATO-Staaten Westeuropas stationiert werden und überall in Westeuropa und in den USA haben die Menschen gegen diese atomare Hochrüstung protestiert, aber in der DDR hat die Staatsmacht die Stationierung der SS 20 unterstützt und eigentlich die westlichen Staaten als Kriegstreiber markiert. Das Pech für die DDR war ja auch, dass wir als Staat an der Nahtstelle zwischen Ost und West standen und dieser Staat bezog eben ein Großteil seiner Doktrin aus der Abgrenzung zur Bundesrepublik. Innenpolitisch erfolgte eine faktische Militarisierung des Landes, die bis ins Alltagsleben reinreichte. Wir hatten so das Gefühl, wir stehen unter einem Riesenschirm. Auf diesem Schirm steht: "Der Staat hat das Monopol auf Friedens- und Entspannungspolitik". Wir stehen darunter. Wir können uns nicht wehren. Wir können uns nicht bewegen und wir sehen diese ganzen Waffen auf uns zu rollen.
Jana Fröbel: Man sagt ja, der Zeitzeuge sei mitunter der natürliche Feind des Historikers. Standen Sie denn mit sich selbst im Widerspruch bei der Arbeit am Buch als Historikerin und Zeitzeugin, ja sogar Akteurin zugleich? Und mussten sich manchmal selber korrigieren, was da die Erinnerung zurecht geschoben hatte?
Ruth Leiserowitz: Das ist eine sehr interessante Frage, denn als ich 1990 anfing Geschichte zu studieren, saß ich an einem Lehrstuhl mit Rainer Eckert, Stefan Wolle und Ilko-Sascha Kowalczuk. Das heißt DDR-Geschichte wurde dort tagtäglich betrieben und eigentlich auch sehr, sehr vehement. Ich habe mir das damals angehört und habe beschlossen, dass es genug Personen gibt, genug Historiker, die das jetzt betreiben und ich werde das erst aus der langen Perspektive sehen. Ich fand das sehr spannend, jetzt die Geschichte der Frauen als kollektive Geschichte zu sehen, als Geschichte einer Gruppe. Denn ich habe bisher keine Geschichte einer anderen Oppositionsgruppe gelesen. Eigentlich mehr immer Geschichten einzelner Protagonisten und ich habe sehr, sehr viel in den letzten anderthalb Jahren darüber gelernt, wie die Mitfrauen, die Gruppe gesehen haben, was ihnen die Gruppe gebracht hat und ich finde Ihr wart alle fantastische Mitautorinnen und ich möchte Euch noch mal sehr herzlich dafür danken, denn ohne alle Eure Beiträge, wäre dieses Buch nicht so geworden, wie es jetzt ist.
Jana Frübel: Im ersten Teil des Buches, Sie haben es bereits angesprochen, können wir die Erinnerungsberichte von 16 verschiedenen Frauen lesen. Den Auftakt macht Irena Kukutz und aus dem Text wird Ruth Leiserowitz jetzt lesen.
Ruth Leiserowitz: Wir haben im letzten Jahr, Almut und ich, ein Interview mit Irena gemacht und ich lese jetzt das Stück daraus, was quasi die Vorgeschichte beschreibt: "Mit Bärbel Bohley war ich schon lange bevor unsere Frauenaktivitäten begangen, befreundet. Wann für uns der Wendepunkt war, politisch aktiv zu werden ist schwer zu erklären, weil das aus dem normalen Leben kam. Wir haben beide am Teutoburger Platz gewohnt. Unsere Kinder waren klein, unsere Söhne waren gleich alt und wir haben uns erst einmal um unser Wohnumfeld gekümmert. Als wir gesehen haben, dass sie auch als Protokollstrecke von Erich Honecker genutzte Schönhauser Allee, das war um die Ecke, schön angeputzt wurde, aber nur bis in seine Sichthöhe und wir mit unseren zertrümmerten Kellerfenstern im Hochparterre uns fast was weggefroren haben, da waren wir empört. Auf den Höfen, wo unsere Kinder spielen sollten, war alles kaputt: riesige Schuttberge und Löcher. Da schrieben wir aus Protest Eingaben, machten Fotos und schickten die an die Berliner Zeitung. Wir haben uns beim Rat des Stadtbezirkes beschwert, aber auch unsere Mitarbeit im Wohnbezirksausschuss angeboten und so hat es angefangen. Aufgrund dieser Reaktionen oder eher dieser Nicht-Reaktion wurden wir - wie soll ich dazu sagen - radikaler und wütender. Dazu beobachteten wir die ganze politische Lage Mitte der 1970er Jahre, bekamen erst einmal einen positiven Schub und wie sich dann alles wieder rückwärts drehte und die Beteiligung der Leute vor Ort nicht erwünscht war und Mitsprache sowieso nicht, da haben wir uns ganz schön daran abgearbeitet. Erst mal verbal, was wir da machen können. In dem Moment, als wir die ganze Bedrohung mit diesem Atomkrieg im Raum stand und wir die vielen Berichte sahen im Fernsehen, der nukleare Winter und so weiter und zu befürchten war, dass aus Versehen eine Rakete losgeht. Dieses Wettrüsten und diese Angst, dass diese ganze Militarisierung natürlich in die falsche Richtung geht und die Kinder schon einspannt im Kindergarten, dass die nicht mit Bällen werfen, sondern mit Handgranatenimitationen und Wehrerziehung usw. Also wir haben das beobachtet und waren in höchstem Maße beunruhigt und unzufrieden, dass man uns keine Mitsprache einräumte, einräumen wollte. Ja, wir haben natürlich immer auch die große Welt im Blick gehabt. Das war ein ganz entscheidender Punkt, dass wir uns darüber ausgetauscht haben und dass unsere Ängste wirklich da waren. Bärbel hat mir mal erzählt, dass sie in Gehren im schönen Mecklenburg, unterm Apfelbaum lag und dann zu ihrem Lebensgefährten sagte: "O Gott, wenn jetzt einer Atombombe fallen würde" und er sei fast ausgerastet über diesen Einwurf. Also, darüber haben wir uns unterhalten, dass diese Angst so konkret war, auch schon am Frühstückstisch oder eben unter dem Apfelbaum. Die Angst, dass dann alles vernichtet wird. Das war Mitte der 1970er Jahre. Wir waren mit dem Studium fertig. 1975 habe ich Bärbel erst so richtig kennengelernt. Wir haben ewig zusammen gesessen, tagelang Tee getrunken und 1982 haben wir natürlich auch darüber gesprochen, dass sie dieses Wehrdienstgesetz verabschiedet hatten. Auch wieder ohne uns zu fragen. Wir haben aus der Zeitung erfahren, dass Frauen im Falle der Mobilmachung ebenfalls in die Armee eingezogen werden konnten. Da war für uns der Punkt erreicht, dass wir sagten: "Jetzt müssen wir was machen als Frauen", denn was die Männer bei der Armee erwartete, das hatten wir schon alle miterlebt, wenn die Männer zur Armee gezogen wurden und nicht gehen wollten, verweigern wollten oder zu den Bausoldaten gingen. Also, dieses ganze Dilemma und Bärbel hatte erlebt, dass ihr Mann zum Reservistendienst gezogen werden sollte, obwohl er erst Bausoldat gewesen war. Der war dann im Knast gelandet. Das hatte sich alles so zusammen geschoben. Das war schon 1980 gewesen."
Jana Fröbel: Als Gründungsakt der "Frauen für den Frieden" geht ja die Absendung der Sammeleingabe zum neuen Wehrdienstgesetz an Erich Honecker. Almut, du warst damals im Oktober 1982 eine der sieben Frauen, die diese Eingabe mit formuliert haben. Erzähl doch mal bitte.
Almut Ilsen: Ja, wir haben diese Eingabe formuliert, um einfach dem einen stärkeren, also, als Gruppe auch ein stärkeres Gewicht zu geben und haben dann auch diese Unterschriften gesammelt: 130 an der Zahl und wir hatten am Anfang nicht vor als Gruppe zu arbeiten, sondern das hat sich dann dadurch ergeben, dass wir und auch die vielen Frauen, die unterschrieben haben, gesagt haben "das kann es doch nicht gewesen sein, jetzt müssen wir aber was weitermachen" und dann haben wir uns "Frauen für den Frieden" genannt und haben dann in den nächsten Jahren doch viele Aktionen durchgeführt. Also, zum Beispiel haben wir uns erst mal in den kirchlichen Rahmen, wo sich die Opposition getroffen hatte, haben wir uns eingeklinkt, haben uns auf der Friedensdekade vorgestellt, haben auf den Friedenswerkstätten unsere eigenen Stände gehabt, haben auch in der Kirche von Christa Sengespeick, die aus Hanau heute gekommen ist, Veranstaltungen gemacht. Gemeindetage, später politische Nachtgebete. Also, Christa hat uns den Raum gegeben, um Öffentlichkeit zu erreichen. Wir haben uns ja immer nur in Wohnungen getroffen und so eine Kirche mit 400 Plätzen bietet da ja noch ganz andere Möglichkeiten. Dann haben wir eigene politische Aktionen gemacht, wie zum Beispiel am 17. Oktober 1983. Also, dazu muss ich sagen, wir hatten relativ schnell Kontakte zur westlichen Friedensbewegungen, auch zu einigen Politikern der Grünen. Petra Kelly und Gert Bastian waren auch immer mal bei uns. Es gab im Oktober 1983 eine Aktionswoche und dabei einen Frauenaktionstag. Zu diesem Frauenaktionstag haben die Frauen, also ein Teil der Frauen, sich schwarz gekleidet und ihre persönlichen Wehrdienstverweigerungen zur Hauptpost am Alexanderplatz gebracht und haben es dort per Einschreiben aufgegeben. Die Stasi war vor Ort und hat versucht einzugreifen und hat auch einige der Frauen zugeführt.
Jana Fröbel: Darüber berichten ja auch mehrere in Ihren Erinnerungsberichten, zum Beispiel Ulrike Poppe, Beate Haremski und Bettina Rathenow.
Almut Ilsen: Das kann man im Buch sehr gut nachlesen.
Jana Fröbel: Aus diesen verschiedenen Sichten und das ergibt dann ein schönes Gesamtbild, wenn man die einzelnen Berichte liest.
Almut Ilsen: Ja und dann gab es natürlich bei anderen Aktionen auch diese Zuführungen, also, dass wir gehindert wurden an Aktionen teilzunehmen. Da standen morgens um sechs irgendwelche Stasi-Männer vor der Tür.
Jana Fröbel: Das war am 4. November 1983 als Ihr vor die amerikanische und die sowjetische Botschaft ziehen wolltet.
Almut Ilsen: Genau und also entweder wurde zugeführt. Und dann war auch ganz wichtig, dass wir uns vernetzt haben. Das beginnt '82 beginnt und in den Folgejahren sind ganz viele andere Frauenfriedensgruppen im Land entstanden. Wir haben ab '84 regionale wie überregionale Frauenfriedensgruppentreffen organisiert, immer in anderen Städten und diese Vernetzung war auch extrem wichtig.
Jana Fröbel: Wie denkt Ihr denn heute über Euren damaligen Mut? Also, Ihr habt ja ständig in der Gefahr gelebt, inhaftiert zu werden. Ihr hattet schon Vollmachten geschrieben, wer dann die Kinder nimmt, wenn es wirklich dazu kommen sollte.
Ruth Leiserowitz: Ja, ich denke eigentlich hätte man noch mutiger sein können, aber wir mussten das alle hier erst ein mal lernen, weil die Gesellschaft in der wir hier lebten, die war sehr resigniert und wir hörten auch oft, wenn wir von dem erzählten was wir machen: "Ja, man kann ja sowieso nichts ausrichten und was bringt euch das?" Es gab also nur eine geteilte Solidarität, aber ich hatte das Gefühl, ich hab noch mein ganzes Leben vor mir und ich möchte nicht so resignativ enden, wie die andere Gesellschaft. Ich habe mich auch sehr gegen diese Mutlosigkeit aufgelehnt. Das wollte ich nicht haben.
Jana Fröbel: Ehrhart Neubert schreibt in seiner großen Geschichte der Opposition in der DDR, erschienen im Christoph Links Verlag, 1998. Darin widmet er den "Frauen für den Frieden" drei Seiten und dann noch mal an einer anderen Stelle sechs Seiten. Also, nicht sehr viel in dem Tausendseitenwerk und Almut du sagtest mal, Neubert habe Euch eher als Damenprogramm zur Friedensbewegung wahrgenommen. Welche Rolle spielten die Männer? Wart Ihr Euch da von Anfang an einig, dass Ihr eine reine Frauengruppe sein wolltet und die Männer da nichts zu suchen haben?
Almut Ilsen: Noch mal zu Ehrhart Neubert: Ich muss das mal zitieren. Er schreibt: "Zu den Initiatoren gehörten eine Reihe von Ehefrauen bekannter Oppositioneller."
[Publikum lacht]
Almut Ilsen: Dem muss man ja eigentlich nichts hinzufügen. Und mit den Männern in der Gruppe: Ja, am Anfang waren noch Männer dabei, bloß als sie dann meinten, sie müssten uns sagen, wie wir irgendwas zu formulieren hätten, haben wir beschlossen, dass wir die Männer nicht mehr bei uns haben wollten. Es war ein Frauenthema und wir waren uns sehr bewusst, dass wir das sehr, sehr gut alleine können.
[Publikum applaudiert]
Jana Fröbel: Aber es stimmt ja wirklich, dass viele Frauen oder Freundinnen damals schon bekannter Oppositioneller dabei waren. Seid Ihr durch die Männer politisiert worden sozusagen oder gibt es da einen anderen Zusammenhang?
Almut Ilsen: Also, ich denke wir waren vorher alle schon politisiert. Also, jede von uns hat einfach durch ihr Leben als Kind, als Jugendliche, also in ihren Familien, Konflikte mit der Schule, beim Studium oder viele durften ja auch gar nicht Abitur machen oder durften nicht studieren. Also, es war ja, also die ganze Gesellschaft bot ja eigentlich Zündstoff zum Politisieren. Es ging ja gar nichts anders, wenn man halbwegs wach war. Wir Frauen waren das alle und wir haben dann natürlich Männer kennengelernt, die auch politisiert waren und durch diese Männer gab es wieder neue Netzwerke und ich habe zum Beispiel auch durch meinen damaligen Partner wieder andere Frauen kennengelernt. Dadurch hat sich dann so ein Frauennetzwerk auch ergeben.
Jana Fröbel: Aber eine feministische Gruppe wart Ihr nicht?
Ruth Leiserowitz: Nein, ich denke nicht, dass wir feministisch waren. Wir haben zwar auch ab und an solche Gedanken debattiert, aber eigentlich waren wir sehr sachbezogen und noch mal zurück zu dem Zitat von Neubert. Es gab auch Frauen in der Gruppe, die überhaupt keine Partner hatten und trotzdem "Frauen für den Frieden" waren.
[Publikum lacht]
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Jana Fröbel: Es klang schon an, dass Ihr Euch oft in Räumen der Kirche getroffen habt, weil es sonst einfach in der DDR ja kaum Möglichkeiten gab so eine Halböffentlichkeit herzustellen. Wie war denn nun Euer Verhältnis zur Kirche? Da gab es ja auch Bestrebungen Euch unter das Dach der Kirche zu holen? Wie standet Ihr denn dazu?
Ruth Leiserowitz: Das war zum Teil auch eine schwierige Debatte, denn Kirche war ein halb öffentlicher Raum, aber nicht jede Frau hatte das Gefühl, dass sie sich in der Kirche wohl fühlt. Nicht alle waren kirchliche Mitglieder. Das waren Kompromisse und wenn es um mich persönlich geht, jede Frau hat sich auf ihre Art und Weise für die Gruppe engagiert. Ich war eben Mitglied der Kirche. Ich war sogar einige zeitlang mal Jugendvertreterin in der Synode, also in einem ziemlich hohen Gremium. Also vertrat ich unsere Gruppe dann in der Vorbereitungsgruppe für die Friedenswerkstatt und dort hatten wir mit vielen Kirchenvertretern im Vorfeld zu debattieren und da gab es zum Teil Pastoren, die die Anliegen unserer Gruppe sehr schätzten und unterstützen, mit denen man quasi Pferde stehlen konnte, solche wie der Pfarrer Rudi Prantke. Aber, es gab eben auch andere, die sehr, sehr kritisch uns gegenüber eingestellt waren, weil sie meinten, wir würden die Kirchenräume missbrauchen, wir würden sie einfach nur nutzen und es gab eben auch Kirchenleute, die immer versucht haben, uns klar zu machen, dass sie genau wüssten, wie die Spielräume eben bemessen werden, dass sie die Kontakte hätten, dass sie mit Stellen gesprochen hätten und das, was wir alles wollen, was wir durchführen möchten, dass das nicht geht und um so ein Beispiel zu erzählen: Wir haben 1986 auf der Friedenswerkstatt eine Meinungsumfrage gemacht, über den geplanten Bau einer Schnellstraße, über den jüdischen Friedhof in Weißensee. Dann kam der Generalsuperintendent Krusche an den Stand und sagte: "Das muss sofort unterbunden werden, das ist hier eine Unterschriftensammlung. Unterschriftensammlung geht gar nicht" und ich habe gesagt: "Das ist eine Meinungsumfrage. Das ist etwas anderes." Dann hat er gesagt: "Ich werde Ihnen das mit einem Rechtsanwalt beweisen!" Dann kam er mit Wolfgang Schnur und ausgerechnet mit dem IM "Torsten" und dann sagte Herr Schnur zu Herrn Krusche: "Nein nein, das ist keine Unterschriftensammlung. Meinungsumfragen kann man hier machen." Dann musste sich Herr Krusche trollen. Und das war halt auch vorher abgesprochen, aber es war immer so die einerseits auf dem Kirchenterrain die Möglichkeit die Friedenswerkstatt zu veranstalten und andererseits wurde dieser Möglichkeitsraum aber oft grundlos überhierarchisiert oder etwas übervorsichtig bewacht. Es war immer schwierig das auszuhandeln und ich denke, Christa kann auch davon ein Lied singen, was sie mit ihren Kircheninstitutionen verhandeln musste.
Jana Fröbel: Christa Sengespeick ist gemeint. Frau Leiserowitz, lesen Sie doch jetzt mal bitte eine Passage aus Bärbel Bohleys Text, wo es auch um diese politischen Nachtgebete geht.
Ruth Leiserowitz: Dazu muss ich noch sagen, dass es mir ganz wichtig war, dass auch die Stimme von Bärbel Bohley heute in unserem Abend vorkommt und der Text von Bärbel steht hier und ist ein Interview, das sie mal für einen Fernsehsender gegeben hat und er steht unter der Überschrift: "Einmal den Schritt in die Freiheit gewagt" in dem Buch und ich lese jetzt einen ganz kurzen Auszug: "Ich meine, ohne die Nachtgebete in der Kirche wäre die Frauengruppe wahrscheinlich viel bedeutungsloser gewesen. Zu den Nachtgebeten sind wirklich sehr, sehr viele gekommen. Die Kirchen waren voll. Ja, das hat uns schon überrascht. Uns war natürlich klar, dass ein Teil Stasi war, aber die sollten ja auch mal die Kirche gehen. Ja es war oft ganz schwierig, da haben einem schon die Knie gezittert. Aufstehen, seinen Namen sagen, nennen und sagen "ich habe dieses Anliegen und ich denke das und das" und das in einem öffentlichen Raum. Das waren wir überhaupt nicht gewöhnt, wirklich gar nicht. Das waren also die ersten Gehversuche der Frauen und das haben sie wirklich toll gemacht. Es war wirklich eine Überwindung und allen Frauen glaube ich, zitterten die Knie, der einen mehr, der anderen weniger. Es war schon nicht leicht öffentlich aufzutreten und zu wissen man wurde jetzt auch registriert. Es war ja nicht so, dass man wieder raus ging und da war alles nicht geschehen, sondern man wurde vielleicht dafür haftbar gemacht. Mit diesem Wissen ans Mikrofon gehen und zu reden in einem Raum, in dem sich nicht immer alle zu Hause fühlten, weil eben nicht alle aus dem kirchlichen Umfeld kamen. Das war schon irgendwie eine Leistung, eine große Leistung. Ja - und mutig. Also einmal sozusagen den Schritt in die Freiheit gewagt, dann geht man nicht mehr zurück. Das ist etwas, was man irgendwie in sich selbst überwinden muss und ich glaube die große Leistung der Frauen bestand darin, dass sie andere auch dazu ermutigt haben, sich zu überwinden."
Jana Fröbel: Danke. Wir springen mal in den zweiten Teil des Buches, denn in dem geht es um die "Frauen für den Frieden" und die Staatssicherheit. Ihr wart Euch ja von Anfang an dessen bewusst, dass die Überwachung spätestens mit der Unterschriftensammlung für die Eingabe beginnen würde. Wie hat Euch denn die Stasi wahrgenommen, Almut?
Almut Ilsen: Also, die Stasi hat uns eigentlich von Anfang an wahrgenommen. Also schon während der Zeit, als wir noch Unterschriften gesammelt haben. Vor dem Absenden der Eingabe hat sich eine IM bei Bärbel den Eingabetext geben lassen und hat ihn zur Stasi getragen und die haben den Text ausgewertet und haben damals geschrieben, also zu diesem frühen Zeitpunkt, dass sie annehmen, dass wir eine unabhängige Frauenbewegung in der DDR begründen würden wollen.
Jana Fröbel: Da wusstet Ihr das vermutlich noch nicht mal selber, dass Ihr das vorhabt.
Almut Ilsen: Nein.
Jana Fröbel: Aber zunächst wurdet Ihr ja mehr wieder als die Ehefrauen der Oppositionellen geführt und in die Kartei dazu geschrieben und nur wenige haben einen eigenen Vorgang bekommen, oder?
Almut Ilsen: Frauen wurden ja - also wenn sie einem Mann zuordenbar waren - von der Stasi in den Akten der Männer mitgeführt. Es ist ja auch dieses krasse Männerdenken gewesen. Ich meine, die Stasi war ja so ein Männerverein, militärisch-hierarchisch strukturiert und Frauen bekamen also nur ihre eigene Akte, wenn sie wirklich keinem Mann zuordenbar waren, also Bärbel Bohley hatte zum Beispiel als einziger aus unserer Gruppe ihrer eigene Akte. Wir anderen waren alle in den Akten von Männern. Christa hebt gerade ihre Hand. Christa hatte auch ihre eigene. Ja, es war einfach schon so von der Stasi determiniert, dass wir nachregistriert wurden, also in die Akten der Männer aufgenommen wurden, sodass wir zugeordnet wurden.
Jana Fröbel: Man hatte ja auch lange danach gesucht, welche Männer eigentlich die Anstifter sind und die dahinter stehen und das Organisieren, das hat man den Frauen ja auch nicht so recht zugetraut, dass sie das alleine auf die Beine stellen können.
Almut Ilsen: Also, über Jahre haben die gesucht und da es sich immer nicht bewahrheitet hat. Also, mal war es Eppelman, dann war es mal Wolfgang Templin. Also sie haben immer mal geguckt, wer könnte es denn noch sein und sie haben also niemanden gefunden, wo sich das bestätigt hat. Das war ja das nächste Ding, dass natürlich auch die gesamte Friedensbewegung angeblich von westlichen Geheimdiensten gesteuert waren. Wir von den Männern angeblich und dann das nächste die westlichen Geheimdienste.
Jana Fröbel: Zu den Westkontakten kommen wir später noch, aber lies doch bitte mal einen Teil aus dem zweiten Teil.
Almut Ilsen: "Nachdem am 3. November 1982 die Eingabe per Erich Honecker eingetroffen ist, versehen mit mehr als 130 Unterschriften, wird die Fraueninitiative zur Chefsache. Das Büro der Leitung, ein dem Minister für Staatssicherheit direkt unterstelltes Stabsorgan, erlässt eine Dienstanweisung. Der Eindruck vieler Frauen der Gruppen, der Gruppe, dass die Fraueninitiative zu Anfang nicht ernst genommen wurde, wird durch die MfS-Akten widerlegt. Das volle Instrumentarium der Staatssicherheit kam bereits im Herbst 1982 zum Einsatz. Zu jeder Unterzeichnerin wurde recherchiert, ob und wenn ja in welchem Zusammenhang sie erfasst worden ist." Dazu möchte ich sagen, dass von den 79 Unterzeichnerinnen aus Berlin, 50 erfasst waren, also entweder in den Akten ihrer Partner oder alleine oder auf Kerblochkarteien, also die die Führung mitgemacht haben. Wir haben das ja gerade gehört, was es da für verschiedene Möglichkeiten gab. So, jetzt lese ich weiter: "Nachdem alle verfügbaren Informationen zusammengetragen worden sind, aktiviert die Stasi ihre Helfer, die sogenannten gesellschaftlichen Kräfte. SED-Genossinnen und Genossen im ostberliner Magistrat und den Räten der Stadtbezirke werden instruiert die Frauen im Auftrag der Stasi zu befragen. Sie erhalten Informationen mit biografischen Angaben zur Familienverhältnissen, Berufen und Arbeitsstellen. Bei bereits vom MfS erfassten Frauen wird detailliertes Material über ihre politische Haltung und ihre Aktivitäten zur Verfügung gestellt. Wie die Beschreibung der politischen Haltung, verfügen die Verfasser der Dossiers über Textbausteine von "hat zur gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR eine ablehnende teilweise negative Haltung" über verschiedene andere Stufen bis hin zu "Gespräch wenig sinnvoll, da stark verfestigte negative Haltung zur DDR". Derart vorbereitet stehen am 24. November 1982 jeweils ein Genosse und eine Genossin vor den Wohnungstüren der Berliner Frauen, um mit ihnen, wie sie sagen, das in der Eingabe geforderte Gespräch zu führen. Die Frauen sollen überrumpelt und daran gehindert werden sich gegenseitig zu informieren. Die SED-Genossinnen und Genossen fertigen ausführliche Protokolle an. Nicht nur über den Inhalt der sogenannten Gespräche, sondern auch mit für die Stasi wichtigen Informationen. Dazu gehören beispielsweise Hinweise auf Kontakte in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet, wie das kapitalistische Ausland beziehungsweise der Westen in der Parteisprache offiziell bezeichnet wird. Liegt vielleicht ein Westbuch auf dem Sofa? Auch die Ordnung in der Wohnung wird bewertet. Die Stasi trägt akribisch Informationen zusammen, die diskreditierend sind und für Zersetzungsmaßnahmen genutzt werden können. Die SED-Mitglieder berichten ausführlich über unordentliche, nicht aufgeräumte Wohnungen, über halbleere Weingläser bis hin zu angeblich asozialen Lebensverhältnissen. Zum Beispiel: "Der Haushalt war vernachlässigt, beinhaltet wenig altes Mobiliar und war bewusst auf Proletkult getrimmt." In einem zusammenfassenden Bericht wird konstatiert: "Auffällig war, dass ein Teil der aufgesuchten Person von der Wohnungsausstattung, dem Zustand der Wohnung und dem Lebensstil, Tendenzen der Verwahrlosung erkennen ließen."" Nur so als kleine Zwischenbemerkung, die Genossinnen und Genossen haben bestimmt alle ihre schöne Schrankwand und ihre Coachgarnitur im Wohnzimmer gehabt und das konnten wir natürlich nicht bieten. Ich lese weiter: "Bei den Inhalten der Gespräche halten sich die Genossinnen und Genossen zumeist an die Anweisung. Wie reagieren die Frauen auf das plötzliche Auftauchen? Wie verhalten sie sich im Gespräch? Wie offen oder verschlossen geben sie sich? Wie informiert sind sie über die Inhalte von Wehrdienstgesetz und Eingabe? Wer hat ihnen die Eingabe zur Unterschrift gegeben? Wer hat sie beeinflusst? Lassen sie sich einschüchtern oder zur Rücknahme ihrer Unterschrift bewegen? Für viele der Frauen sind diese überfallartigen Besuche der erste direkte Kontakt mit der Stasi beziehungsweise ihren Helfern. Sie empfinden es als beängstigend oder gar bedrohlich, wenn die Staatsmacht plötzlich in der Küche oder im Wohnzimmer sitzt, aber keine der Frauen verrät von wem sie die Eingabe hat und keine zieht während dieser Gespräche ihre Unterschrift zurück."
Jana Fröbel: Als die Eingabe im Dezember '82 dann im Spiegel abgedruckt wurde, war für die Stasi endgültig das Maß voll und ihre letzte angebliche Dialogbereitschaft ist erloschen, weil die Frauen sich nun vollends auf die Seite des Klassenfeindes geschlagen hatten. Ihr habt Euch ja immer als Teil der internationalen Friedensbewegung verstanden, hattet Kontakt nach West-Berlin. Eva Quistorp ist zum Beispiel heute Abend da, aber auch schon früh Kontakte nach Skandinavien und nach England. Eine dieser Verbündeten war Barbara Einhorn, die heute auch extra aus England angereist ist.
[Puplikum applaudiert]
Jana Fröbel: Sie berichtet ja im Buch, in einem eigenen Abschnitt, über ihre Tage in der Stasi-Untersuchungshaft. Aber Almut hat in ihrem Text über die Überwachung der Frauen durch die Stasi auch noch was vorzulesen.
Almut Ilsen: Barbara Einhorn war also '82, glaube ich, erste Mal da und da wurde von ihr schon der Beschluss gefasst, eine Veröffentlichung über die offizielle und inoffizielle Friedensbewegung, der Frauenfriedensbewegung in der DDR zu machen. Also, Barbara war sehr aktiv im END und war auch im Frauenausschuss und in der DDR-Arbeitsgruppe. Sie war also prädestiniert so ein Vorhaben durch zuziehen. Im Dezember 1983, also das war die Zeit, als der Nachrüstungsbeschluss durch war und so eine Art Eiszeit dann in der DDR begann für Leute, die sich engagiert hatten, war Barbara Einhorn zwei Mal bei einigen der Frauen, um über das Buch zu sprechen. Beim zweiten Mal hat sie den Inhalt der Gespräche in ihrem Notizbuch notiert und wollte, als sie zurück nach West-Berlin gehen wollte, dieses Notizbuch Bärbel zur Aufbewahrung geben. Normalerweise sind solche Materialien durch befreundete West-Journalisten nach West-Berlin transportiert worden und Barbara wollte, dass es dann auch mit ihrem Notizbuch passiert und Bärbel hat aber zu diesem Zeitpunkt befürchtet, dass sie demnächst auch verhaftet wird und hat das Notizbuch nicht in ihrer Wohnung haben wollen. Dann hat sich Barbara mit dem Notizbuch in ihrer Tasche auf zum Grenzübergang gemacht und wurde dort schon erwartet und da saß ein Stasi-Offizier, getarnt in der Uniform eines Zollbeamten und hat Barbara dann befragt, was dann auch in einer Festnahme endete. Ich lese jetzt noch ein Stück: "Nachdem Barbara Einhorn am 10. Dezember und Bärbel Bohley sowie Ulrike Poppe am 12. Dezember 1983 tatsächlich verhaftet und gegen Irina Kukutz und Jutta Seidel Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind, wird das Problem mit den widerspenstigen Frauen bis in das Politbüro des Zentralkomitees der SED getragen. Es ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, dass die Regierungsspitze einer Gruppe von Frauen solche Aufmerksamkeit zuteil werden lässt, aber das MfS hat offensichtlich keine Alternative zur Verhaftung der Frauen gesehen. Die gerade ein reichliches Jahr bestehende Frauengruppe und insbesondere ihr sogenannter harter Kern werden als ernste innenpolitische Gefahr betrachtet. Barbara Einhorn wird in der Untersuchungshaft gefragt: "Sagen sie, die Frauen, die sie getroffen haben, würden sie sagen, dass sie die Anführerin der unabhängigen Friedensbewegung sind, die Organisatorinnen?" Als der "Anführerin" Bärbel Bohley kurz vor Weihnachten von ihrem Stasi-Vernehmer mitgeteilt wird, dass sie Weihnachten wohl doch im Gefängnis wird verbringen müssen, entgegnet sie: "Ja, aber ich werde irgendwann wieder rauskommen. Sie müssen lebenslänglich hierbleiben.""
Jana Fröbel: Zu dem Stasi-Kapitel gehören ja nun auch mehrere inoffizielle Mitarbeiterinnen. Wir haben es schon kurz erwähnt. Es war ja klar, dass es inoffizielle Mitarbeiterinnen gibt in Eurer Gruppe. Wie seid Ihr dann mit diesen Verdächtigungen umgegangen? Hat das nicht irgendwie auch die Atmosphäre vergiftet, wenn man immer weiß, da ist jemand dabei, der mitschreibt und berichtet?
Ruth Leiserowitz: Aus meiner Sicht würde ich sagen, wir haben uns das nicht so sehr anmerken lassen. Natürlich, weil ich und andere auch genau wussten, dass die Stasi darauf abzielt, dass Misstrauen eben Gruppen zersetzt und aber wenn wir bestimmte Dinge geplant haben oder vorbereitet haben, dann haben wir schon sehr genau geguckt mit wem wir das in einem engeren Kreis machen. Als Almut und ich zum Beispiel 1985 das Nachtgebet für die Frauen vorbereitet haben, da wussten wir ganz genau, wen wir nicht der dabei haben wollten, aber dass wir dann doch eine IM dabei hatten - naja gut, konnte man auch nichts machen. Das hat aber unserer Arbeit dann, unseren Ideen oder so keinen Abbruch getan.
Jana Fröbel: Wir haben es auch schon erwähnt, dass es in anderen Städten auch Gruppen von Friedensfrauen gab. In Halle, wo die Schwägerin von Bärbel Bohley, Heidi Bohley eine Gruppe hatte, in Leipzig, Magdeburg aber auch Karl-Marx-Stadt, Schwerin. Wie wart Ihr denn vernetzt und gab es auch gemeinsame Aktionen?
Ruht Leiserowitz: Das ist ein Punkt, den Almut vorhin schon mal kurz angesprochen hat, es hat von 1984 bis '89 jedes Jahr ein überregionales Frauentreffen gegeben, immer in einer anderen Stadt. Also in Halle, Karl-Marx-Stadt, Magdeburg. Das letzte fand in Jena statt und da kamen viele Frauen. Also ich glaube, das größte Frauentreffen hatten wir 1985 in Berlin-Weißensee, wo über 100 Frauen aus zehn verschiedenen Bezirken der DDR da waren und wir haben nachher aus den Akten gesehen, aus den Stasi-Akten, dass die Stasi wirklich diese Veranstaltung sehr, sehr gefürchtet hat und ganz genau notiert hat, worüber dort alles diskutiert wurde. Ich möchte noch mal sagen, dass wir bis heute sehr viel Hochachtung haben vor den Frauen, die sich in den anderen Städten und den Kleinstädten engagiert haben, denn das war unvergleichlich viel schwieriger als in Berlin.
Jana Fröbel: Das Wehrdienstgesetz wurde aber nicht zurückgenommen, oder?
Almut Ilsen: Nein, es wurde nicht zurückgenommen, aber es war auf Eis gelegt. Also, es wurden ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Frauen mehr gemustert. Also, ich weiß nicht welchen Anteil wir hatten, aber auf alle Fälle sehe ich das schon als großen Erfolg. Ich denke, wir haben da schon dazu beigetragen.
Jana Fröbel: Mitte der 80er Jahre fing ja die "Frauen für den Frieden" schon an sich etwas auseinander zu entwickeln. Es gab Frauen, die gingen in andere oppositionelle Gruppen oder gründeten die sogar Ende der 80er Jahre mit. Andere Frauen gingen mehr in Gruppen, die sich mehr mit Frauenthemen beschäftigten. Also, um jetzt nicht feministische zu sagen. Das war in der DDR ein bisschen anders gelagert, trotzdem treffen sich viele von Euch bis heute. Auch die Fotos für das Buch, hinter jedem Porträt gibt es ein kleines Porträtfoto. Hinter jedem Erinnerungsbericht, die konntet Ihr ja machen auf einem dieser Treffen. Wie ist es Euch denn gelungen da immer noch den Kontakt zu halten? Welche Aktionen gab es denn vielleicht sogar dann noch über die Wende hinaus?
Almut Ilsen: Eine Aktion eigentlich nicht mehr so direkt, aber wir haben natürlich Kontakt gehabt. Das beruhte ganz viel auf Freundschaften. Wir waren jetzt zum Teil vorher auch schon befreundet und haben dann natürlich das auch weiter gepflegt. Ich hab auch Frauen in der Frauengruppe kennengelernt, mit denen ich dann noch Kontakt hatte und dann haben wir uns natürlich auch auf Veranstaltungen getroffen. Also, der Kontakt war eigentlich immer da und jetzt ist er natürlich durch das Buch wieder viel, viel intensiver geworden. Wir haben auch Frauen wieder aufgetrieben zu den wir keinen Kontakt mehr hatten. Aber zu deiner Frage zu '89. Also, es sind ja viele Frauen damals auch in die Politik gegangen, saßen viele an den runden Tischen. Es waren welche Abgeordnete im Abgeordnetenhaus. Auch später haben viele dann für die Aufarbeitung gearbeitet oder im politischen Bereich und die Frauen, wie Ruth zum Beispiel, die in der DDR keine Chance hatten zu studieren, also die haben dann natürlich ihre Chance ergriffen und haben hier noch mal richtig durchgestartet.
Jana Fröbel: Die meisten Frauen von Euch sind ja in der DDR geblieben. Also, es sind einige ab Mitte der 80er Jahre ausgereist, aber man kann schon konstatieren, dass die Mehrzahl von Euch die Hoffnung hatte, in der DDR was verändern zu können? Richtig?
Ruth Leiserowitz: Ja, ich denke schon, also es gibt einen sehr schönen Abschnitt aus Bärbels Text, wo sie etwas über Ausreisen sagt. Wenn wir die Zeit noch haben, würde ich den gerne lesen: "Das Ausreisen war natürlich ganz speziell für mich ein Thema." Also, sagt Bärbel Bohley. "Weshalb ich 1988 unbedingt wiederkommen wollte, weil ich auch gesehen hatte, was für eine Lücke gerissen wurde, wenn eine Frau weg war. Das war immer irgendwie auch schrecklich. Wir haben ihr keine Vorwürfe gemacht. Irgendwie gehört das ja zur Freiheit, sich entscheiden zu können. Aber es hat wehgetan und man hat immer gesehen, dass eine große Lücke zurückgeblieben ist, weil jeder eigentlich wichtig war. Bei uns in der Gruppe wurde das vor allem immer dann diskutiert, wenn es ganz konkret wurde, wenn eine Frau gesagt hat: "Ich habe einen Ausreiseantrag gestellt". Wir sagten natürlich niemals "du darfst nicht gehen, du fehlst uns so". Wir haben das eigentlich immer verstanden, dass die Freiheit von jedem Einzelnen auch gelebt werden muss, aber es war eben eine richtige Lücke, die da oft entstanden ist. Es hat schon Spuren bei uns hinterlassen."
Jana Fröbel: Meine letzte Frage: Wir haben ja schon viel gehört, was Euch geworden ist. Einige sind in die Politik gegangen, einige konnten studieren oder ihr Abitur nachmachen. Stimmt die Beobachtung, dass die allermeisten von Euch aus diesen Erfahrungen in den 80er Jahren gestärkt hervorgegangen sind?
Almut Ilsen: Ja, wir sind gestärkt hervorgegangen. Also, diese Jahre in der Gruppe, auch unter diesen Bedingungen der Repression, hat uns zusammengeschweißt, hat uns stark gemacht, hat uns Selbstbewusstsein gegeben und davon profitiert jede der einzelnen Frauen - und ich gucke sie hier gerade so schön an - bis heute.
Jana Fröbel: Beim Machen des Buches - sind Euch da irgendwelche Überraschungen begegnet, was Ihr vorher noch nicht gewusst hattet oder was Euch verborgen geblieben war, all die Zeit?
Almut Ilsen: Mir ist verborgen geblieben, wie die Stasi uns von Anfang an gesehen hat und auch versucht hat zu zersetzen. Ich bin froh, dass ich das oder wir das damals nicht gewusst haben. Es hätte unser Handeln möglicherweise negativ beeinflusst.
Jana Fröbel: Das hat vielleicht auch die 30 Jahre gebraucht, dass du dich wirklich noch mal an die Stasi-Akten ransetzen konntest ohne völlig zu verzweifeln, was da eigentlich mit Euch passiert ist und wie über Euch berichtet wurde. Das ist ja wirklich zum Teil haarestreubend.
Almut Ilsen: Die Distanz dieser vielen Jahre war gut, also ich hätte das vor zehn oder 20 Jahren wahrscheinlich nicht so machen können. Jetzt hatte ich doch irgendwie schon so auch einen sachlicheren Blick drauf. Ich musste zwar manchmal aus dem Lesesaal rausgehen und tief durchatmen, aber ich konnte immer wieder zurückgehen und weiterlesen.
Ruth Leiserowitz: Ich denke, das Alter und die Erfahrenheit bringt einem jetzt eine gewisse Gelassenheit mit diesem ganzen Material umzugehen und weil man fühlt sich wirklich ständig dreckig und beschmutzt diese Akten zu lesen. Auf der anderen Seite habe ich die Treffen mit den Frauen in Vorbereitung des Buches sehr genossen, weil ich sehr, sehr viele schöne und interessante Geschichten gehört habe rund um die Jahre, die wir gemeinsam verbracht haben, die ich irgendwie alle noch nicht kannte und die aber das Bild ganz rund gemacht haben.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das war Ruth Leiserowitz, Professorin für Geschichte und Mitbegründerin der "Frauen für den Frieden" in der DDR im Jahr 1982. Zusammen mit Almuth Ilsen, Bibliothekarin und Fotografin sowie Mitbegründerin der "Frauen für den Frieden" ist sie Herausgeberin des Buches über die Bewegung mit dem Titel "Seid doch Laut!". Moderiert wurde das Ganze von Jana Fröbel. Sind wir damit am Ende, Dagmar?
Dagmar Hovestädt: Noch nicht ganz! Es fehlt unsere akustische Begegnung mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv. Wie immer also ein zufällig ausgewählter Ausschnitt aus den über 22.000 Audio-Dokumenten der Staatssicherheit.
[schnelles Vorspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audioüberlieferungen des MfS. Wir hören heute einen Ausschnitt aus dem Vortrag eines Mitarbeiters der Hauptabteilung neun, dem so genannten Untersuchungsorgan. Es geht hierbei um die Probleme bei der Beweisführung in Strafverfahren und besonders um die Umwandlung operativer Beweismittel, also letztendlich um die Legitimierung auch in der DDR ungesetzlich erworbener Informationen durch das MfS. Wann genau der Vortrag gehalten wurde wissen wir nicht. Von den insgesamt 169 Minuten hören wir jetzt knapp drei. Zur besseren Verständlichkeit wurde die Aufnahme technisch bearbeitet.
[Männlicher Sprecher:] Nun ist es natürlich nicht immer so, dass man sagt in operativen Bereichen, gleich operatives Beweismittel, es ist generell überhaupt ausgeschlossen, dass operatives Beweismittel dort nicht in der Öffentlichkeit erfasst wird. [Unverständlich] erwartet werden kann. Das ist zwar so im Prinzip alles richtig, dass ein operatives Beweismittel nich in der Form diese als operative Beweismittel vorliegen hernehmen und ein Ermittlungsverfahren einlenken, das geht nicht. Aber man kann natürlich - äh - bestimmtes operatives Beweismittel wandeln. [Unverständlich] ist ja richtig. Beispiele. Inoffizielle Auskunftsführung, wir stellen fest,dass sich dort im Versteck ein Zettel befindet mit irgendwelchen [unverständlich] Notizen. Der Bericht wird das in [unverständlich] ja dieses - äh - äh - äh - [unverständlich] ist ein operatives Beweismittel, denn es gibt uns über den [unverständlich, vermutlich: unbedingt] wichtigen Umstand Auskunft, dass in der Wohnung des Verdächtigen an dem und dem Platz, das ist ganz wichtig wo das manchmal ist ja, ein sehr gefährlicher Indiz befindet, des [unverständlich] fotografiert, dass man noch bestimmte anderweitige Maßnahmen dann machen kann. [Unverständlich] ja. Diesen Bericht der konspirativen Durchsuchung können wir mitnehmen. Aber wir sind in der Lage beispielsweise, wenn wir feststellen, dass der Beschuldigte den Brief erfasst, der jetzt weiß welcher[unverständlich] wo er selber mal ne Bewertung erteilen musste, dass wir dann - äh - den Zeitpunkt [Husten im Hintergrund] nicht wissen, aber die operativen Maßnahmen so gestalten nich, dass wir zum Zeitpunkt nich, wenn er irgendwie einklagen will [unverständlich], oder man kann als anderes Verfahren da kann man ein offizielles Postbeschlagnahmung machen. Nich, es gibt dort von Fall zu Fall ja, [unverständlich] kann man alles nicht vergeneralisieren. Gibt es dann schon 'ne Möglichkeit diesen operativ festzustellen in dieser Ermittlungsweise dadurch ganz andere Maßnahmen, die gesetzlich ist, weil wir dann schon ein Ermittlungsverfahren haben offiziell in der Handgrube. Ja. Dort haben wir also, wenn man so will, nich durch bestimmte Maßnahmen, nich dieses - äh - Beweismittel handeln. Es ist also, das ist ein operativer Maßstab. Dies ersetzt [unverständlich] nun einen offiziellen nach. Das geht bei mancherlei Befähigkeit ja. Aber eben nicht überall.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle] Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."