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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Willkommen zu einer neuen Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt, Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und begrüße Sie gemeinsam mit Maximilian Schönherr, meinem Co-Host. Er ist Radio Journalist und Gründer des Archiv-Radios im SWR.
Maximilian Schönherr: Ich mache mir persönlich über Fake News nicht viele Gedanken. Als Journalist kenne ich so einige Fälle, wo tatsächlich Fake News absichtlich generiert wurden. Beispiel: Einem Mann wurde durch einen anfahrenden Zug das Bein abgerissen. Im Interview wurde dann ein Mann im Rollstuhl gezeigt, der Geld dafür bekam, diese Geschichte zu erzählen, als hätte er sie selbst erlebt.Unser heutiges Podcastgespräch dreht sich um Fake News, die sich in der DDR unter Jugendlichen wie ein Lauffeuer verbreiteten und für viele mit Demütigungen, Haft und Gefängnis endete.
Dagmar Hovestädt: Es hat damit zu tun, dass vor allem Musiksendungen aus dem Radio des Westens über die Mauer in den Osten kam. Das ganze passiert im Jahr 1969 der Rock 'n' Roll ist etabliert. Es ist das Jahr des Woodstock-Festivals und egal wie intensiv auch Politbüro, Lehrer und staatliche Jugendorganisationen die negativ dekadente Musik des sogenannten Klassenfeindes beschimpften, junge Leute in der DDR wollten Rockmusik aus dem Westen hören. Und das taten sie vor allem rund um Berlin beim Sender Freies Berlin oder dem RIAS dem Radio im amerikanischen Sektor. Also dem Teil von Westberlin der von den amerikanischen Alliierten besetzt war.
Maximilian Schönherr: Wir hören gleich drei Zeitzeugen, verraten aber noch nicht welches Gerücht für den Massenauflauf im Oktober 1969 gesorgt hat, das übernimmt gleich Bernd Florath, ein Historiker der bis vor kurzem beim Stasi-Unterlagen-Archiv beschäftigt war und jetzt im Ruhestand ist. Er selbst war auch Zeitzeuge der Ereignisse damals.
Dagmar Hovestädt: Im Gespräch geht es immer recht lebhaft zur Sache und es gibt viele Anspielungen auf Bands oder Ereignisse von damals, die wir vielleicht vorher kurz noch mal erläutern können. Also vielleicht zunächst zum zeitlichen Umfeld das Jahr 1969: Einer der Zeitzeugen erwähnt Martin Luther King.
Maximilian Schönherr: Damit ist der schwarze Bürgerrechtsaktivist gemeint, der im April des Jahres 1968 ermordet wurde. Er war einer der wichtigsten Bürgerrechtler der USA. Sein Tod führte zu Demonstrationen in den USA vor allem von jungen langhaarigen Menschen, die gerne Musik mit verzerrten Gitarren und friedensbewegten Inhalten hörten. Dann wird kurz auf die NVA angespielt als Disziplinierungsinstrument.
Dagmar Hovestädt: Die NVA, die Nationale Volksarmee der DDR, war für jeden jungen Mann dort zu dem Zeitpunkt eine verpflichtende Angelegenheit. Es bestand nämlich Wehrpflicht und gerade für etwas weniger angepasste oder sagen wir mal nicht so sozialistisch engagierte Jugendliche war der Dienst an der Waffe ein noch intensiveres Instrument der Einnordung. Und wer sich dann noch weiter verpflichtete als Zeitsoldat, hatte dann auch bessere Chancen auf einen Studienplatz.
Maximilian Schönherr: In der Zeit gab es auch im Westen Deutschlands eine sogar grundgesetzlich geregelte Wehrpflicht und auch dort dachten nicht wenige der in der NS-Zeit geprägten Eltern, das etwas militärische Disziplin den langhaarigen Söhnen schon gut tun könnte. Schon allein deswegen, weil sie dann nicht mehr langhaarig waren.
Dagmar Hovestädt: In diesem Podcast geht es eigentlich laufend um Musik und da kommt auch die 60 40 Regel ins Gespräch. Weißt du was das ist?
Maximilian Schönherr: Nee, weißt du es?
Dagmar Hovestädt: Ja, also ich habe mit genug Menschen aus der DDR gesprochen darüber und bei öffentlichen Aufführungen von Musik musste 60 Prozent Ostmusik, DDR Musik, vielleicht sozialistische aus dem sozialistischen Block Musik gespielt werden und nur maximal durfte 40 Prozent aus dem Westen gespielt werden, das hatte auf der einen Seite sicherlich so ideologische Gründe, aber wenn man sich das genauer anguckt, hat das auch wie so oft Geldgründe, denn wenn man öffentlich Musik vorführt muss man Gebühren dafür zahlen auch in der DDR und Westmusik kostete halt auch Westdevisen beim spielen und insofern war auch das Geld da durchaus ein Argument und nicht nur die Ideologie.
Maximilian Schönherr: Dann wird eine Beatband im Kontext des Jahres 1965 genannt: Die Butler.
Dagmar Hovestädt: Eine Band dessen Gründer Klaus Jentzsch zuvor die Klaus Renft Combo gegründet hatte, die war dann aber schon 1962 verboten worden. Er hat dann '64 "Die Butler" gegründet, die aber auch nach einem Jahr wieder Auftrittsverbot erhielten und '67 wurde denn das Verbot für die Klaus Renft Combo aufgehoben und so ging es dann mit Renft und darauf bezieht sich einer der Zeitzeugen auch, dann ging es mit Renft also weiter, aber wie man sich denken kann irgendwann, wurde auch hier wieder eine Grenze gesetzt und wegen kritischer Texte von Bandmitgliedern zum Beispiel Gerulf Pannach und anderen, wurde Renft 1975 wieder verboten. Einige der Bandmitglieder landeten 1976 in Haft darunter Pannach und reisten schließlich in den Westen.
Maximilian Schönherr: Es ist wirklich schlimm, das ist mir nämlich überhaupt kein Begriff, obwohl ich mit Rockmusik derzeit einigermaßen gut vertraut bin. Ich bekam von meinen Verwandten in der DDR immer wieder Schallplatten geschickt vor allem hervorragende Aufnahmen von Bach Werken. Auf die 1969 gegründeten Puhdys kamen wir nicht, weil wir sie einfach nicht auf dem Schirm hatten. 1989 oder Anfang '90 hatte ich in meiner Zündfunk Sendung im bayerischen Rundfunk die DDR Gruppe Karat zu Gast, das war ein sehr anstrengendes Interview. Es war völlig verklemmt, weil die wie paralysiert wirkten und nicht wussten, was sie sagen durften und was sie nicht sagen durften und was sie sagen wollten. Es geht in unserem heutigen Podcast auch um die Haft der drei damals jungen Männer. Sie verweisen auf Keibelstraße und Rummelsburg, das muss man, glaube ich, auch noch klären.
Dagmar Hovestädt: Ja, aber das ist mir schon öfter aufgefallen, dass gerade bei den politischen Häftlingen vielleicht auch bei anderen, aber bei denen habe ich es jetzt nun mal häufiger schon gehört, dass die so ein Jargon drinstecken, den man vor allem mit anderen Häftlingen teilen kann und Außenstehende wissen dann nicht automatisch, was damit gemeint ist. Also Keibelstraße steht für eine Untersuchungshaftanstalt, die dem Volkspolizeipräsidium beim Alexanderplatz in Ost-Berlin angegliedert war. Dorthin wurden von der Polizei Verhaftete erstmal gebracht und verwahrt dort und Rummelsburg steht für das Gefängnis von Ost-Berlin also für U-Häftlinge, die da untergebracht waren, aber vor allen Dingen auch reguläre Häftlinge und das lag eben im Berliner Stadtteil oder im Ostberliner Stadtteil Rummelsburg und war auch davor schon als Gefängnis und dann als Arbeitshaus genutzt.
Maximilian Schönherr: Ich würde sagen, wir bleiben noch ein bisschen ominöse.
Dagmar Hovestädt: Ja.
Maximilian Schönherr: Es gibt ja ein Dokumentenheft genau zu unserem Gerüchte-Thema und jede Menge Unterlagen im Stasi-Unterlagen-Archiv dazu. Die Diskussionsveranstaltung, die wir jetzt hören, basiert auf den Recherchen zu diesem übrigens frei herunterladbaren 130 Seiten dicken Heft. Ich habe es gerade hier. Zum Beispiel Faksimile von einem Haftbefehl gegen einen Eckertmann, den wir auch gleich hören werden. In den Nachmittagsstunden des 07.10.1969 in der Hauptstadt der DDR Berlin am Spittelmarkt sich an einer Zusammenrottung hat er sich beteiligt. Die Farbe ist so rosa. Ich weiß nicht warum die dann rosa ist. Weißt du die Farben?
Dagmar Hovestädt: Da gibt es ganze Bücher, die sich damit beschäftigen, wann Aktendeckel gelb, grün, orange wurden und für welche Bereiche sie zuständig waren und was das so bedeutet. Ich kann dir jetzt auch nicht sagen, warum in den späten 60er Jahre Haftbefehle rot waren.
Maximilian Schönherr: Jedenfalls wurde für die Recherche an diesem Heft eine ganze Reihe von Zeitzeugen kontaktiert von denen wir jetzt drei hören, die das Gerücht nicht irgendwie am Rande mitbekommen haben, sondern tief drin steckten. Extrem spannender Blick in die Jugendszene der DDR der späten 1960er Jahre. Wen hören wir?
Dagmar Hovestädt: Günter Kalis, der war damals 20 Jahre, kommt hier aus Ostberlin. Udo Gebhardt, der war damals 17, kommt aus einem Ort namens Dessau in Sachsen Anhalt und Eckart Mann, der war damals erst 16 Jahre. Es war sehr berührend, die alle zu treffen und so schnell kann es geschehen, Eckart Mann ist mittlerweile schon verstorben im Herbst 2019, da war er 66 Jahre alt. Das Gespräch haben wir jedenfalls im Herbst 2014 geführt, als das Dokumentenheft gerade erschienen war und diese ganze Episode genau 45 Jahre her war.
Maximilian Schönherr: Es ist zeitlos, ein historisches Dokument. Wir beginnen mit der kompakten nüchternen Einführung von Bernd Florath.
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Bernd Florath: Für ostdeutsche, insbesondere für Ostberliner, ist im Jahre 1969 gewissermaßen der Nachmittag organisiert. Um 4 Uhr kommt der RIAS-Treffpunkt, um 6 Uhr kommt S-F-Beat und dann zweimal die Woche Schlager der Woche, wo zumindest die eine Hälfte erträglich ist. In diesem Rhythmus fällt in der ersten Septemberhälfte die Ankündigung von Kai Bloemer im RIAS-Treffpunkt, dass am 7. Oktober und das war nicht irgendein 7. Oktober, auf dem Springer Hochhaus die Rolling Stones ein Konzert geben sollen. Es war nicht irgendein 7. Oktober. Es war der zwanzigste Jahrestag der DDR, der mit unglaublichem Aufwand vorbereitet wurde. Das ist jener Jahrestag an dem der Fernsehturm eröffnet wurde. An dem das zweite Programm in der DDR eingeweiht wurde und das zweite Programm war für die Ostdeutschen ganz wichtig, weil erst seitdem es im Osten ein zweites Programm gab, konnte man auch legal Tuner kaufen, um das ZDF zu empfangen. Dieses Gerücht, was Kai Bloemer dort streute, hatte er noch in der gleichen Sendung dementiert. "Leute das war bloß ein Scherz, die kommen nicht." Die konnten auch nicht kommen. Die waren zu der Zeit dabei eine Tour durch die USA vorzubereiten und trotzdem klang es irgendwie glaubhaft. Die Beatles hatten gerade ein paar Monate vorher in London ein Konzert auf einem Dach gegeben. Das war auch so eine Vorstellung, die man hatte. Man hat ja nichts davon gesehen am Osten. Man hat nur davon gehört. Man kannte die Musik, man hatte davon gehört, was da passierte so ein spontanes Konzert. Warum eigentlich nicht? Warum sollten sie nicht hier kommen? Warum sollten die sich nicht hier mal an die Ecke stellen an die Kante gewissermaßen und nach unten in den Osten gucken hinter den eisernen Vorhang oder um im Bild zu bleiben, über den eisernen Vorhang hinweg. Die Stasi war etwas aufgescheucht über diese Geschichte und fing an sehr sorgfältig zu prüfen, was ist da dran und stellten relativ schnell fest: Es ist nur ein Gerücht, das wird nicht stattfinden. Da gibt es keine Vorbereitungen zu. Aber sie hatten ihre Erfahrungen gemacht. Die Gerüchte funktionieren, dass die eine gewisse Eigenlogik haben und bereiteten sich darauf vor, dass die Leute trotzdem kommen. Das war ein gewisser Hinsicht vorausschauend und zutreffend. Der Scherz, der da gemacht wurde, hatte einen Nerv getroffen der Unzufriedenheit unter den jungen Leuten in der DDR, die seit gut vier Jahren faktisch diese Form und von Musik nicht mehr zu hören bekamen, vielleicht noch in irgendwelchen kleinen Dorf Clubs, wo mal kein Aufpasser dabei stand, aber sie lief nicht im ostdeutschen Rundfunk, schon gar nicht im Fernsehen und sie lief auch nicht mehr in den Klubs und Lokalen. Und ich kann Ihnen nur empfehlen in der Broschüre, die wir gemacht haben, ist ein Flugblatt abgedruckt und dieses Flugblatt bringt diese Stimmung unglaublich präzise auf den Punkt. Das heißt es: "Sagt bloß euch gefällt es hier. Man kann sich gar nichts erlauben, schon hängt einem ein Bulle am Arsch. Lange Haare sind bei den alten verpönt, warum? Weil sie eben alt sind und uns nicht verstehen. Jedenfalls unsere Musik gefällt den Herrschaften nicht, wie man es einschätzt, haben sie für unsere Musik nicht viel übrig, sieht man ja auch an den vielen Beat-Bands und den vielen Tanz-Möglichkeiten. Kinderchen, tanzen durft ihr, aber immer schön artig bleiben und nichts kaputt machen. Wer will uns denn hier? Wer kann uns denn? Keiner. Treffen wir uns am 7. Oktober." Und ursprünglich war dort als Treffpunkt angegeben die Mokka-Milch-Eisbar in der Karl-Marx-Allee, ein bekannter Treffpunkt für Ostberliner und dann wurde es korrigiert in Springer Hochhaus, also der Ort an dem das Konzert angeblich stattfinden sollte.Geschrieben hat das Flugblatt Evelies Gerhardt, die für dieses Flugblatt am 4. Oktober verhaftet wurde und bis zum 19. Februar in Haft saß und dann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.Die Situation, die sie beschreibt, geht zurück auf das Jahr 1965, denn es war nicht immer so in der DDR. Nach dem Mauerbau wurde durchaus versucht die nachgeborenen Generationen zu integrieren. Es gab einen Jugendkommuniqué der SED der Jugend Vertrauen und Verantwortung. Es wurden die Beat-Gruppen gefördert, die FDJ organisierte Gitarrenwettbewerbe, ganze Zeitungsseiten, selbst im Neuen Deutschland erschien ein wunderbarer Artikel über die Butlers in Leipzig, Butlers Boogie. In denen sie beschrieben wurden, als eine neue Form des kulturellen Ausdruckes der nachgewachsenen Generation. Das hätte alles gut gehen können und dennoch wurde es im Jahre 1965 mit einer Brachialgewalt im Herbst verboten und aufgelöst. Das hat im Grunde genommen viel weniger mit der Musik zu tun, als man vermutet, sondern es hatte mit internen Kämpfen innerhalb der Partei-Funktionäre zu tun. Es ging dabei darum, dass ein Teil der Funktionäre, die mit dem Reformkurs der neuen ökonomischen Politik und dieser Politik des Jugendkomitees nicht einverstanden waren, die gewissermaßen einen Kontrollverlust befürchteten, gezielt vom Sommer 1965 an, vom Frühsommer sogar an, diese Politik hintertrieben. Dazu zählt zum Beispiel ein Vorgang, der sollte exakt bis zum 12. Oktober 1965 abgeschlossen sein, ein polizeilicher Untersuchungsvorgang gegen den Manager der Butlers. Der Manager der Butler war ein junger Mann, der arbeitet in einem Betrieb und organisierte nebenbei die Konzerte, die die Butlers, also das ist die Gruppe aus der dann später Renft entstand mit Klaus Jentzsch als Bandleader, organisierte das gewissermaßen in seiner Freizeit und gegen ihn wurde jetzt ein Untersuchungsvorgang angestrengt auf Steuerhinterziehung, auf Arbeitsbummelei und dann war noch einige politische Paragraphen, die da auch in Aussicht standen. Der sollte abgeschlossen werden bis zum 12. Oktober, weil Mitte Oktober war geplant eine Sitzung der Bezirksleitung Leipzig unter Paul Fröhlich, der zum Jagen blies. Auf dieser Bezirksleitungssitzung wurden die Leipziger Beat-Gruppen fast sämtliche verboten und das waren einige, die es zu der Zeit gab. Die Reaktion ist vielleicht nicht ganz so bekannt, wie sie bekannt sein sollten, aber es ist eine der wenigen spontanen Demonstrationen die in der DDR stattfanden. Einige Schüler wiesen dazu auf gegen das Verbot unserer Beat-Gruppen zu protestieren und so versammelten sich einige hundert Jugendliche, Lehrlinge, Schüler in Leipzig auf dem Leuschner Platz. Eigentlich machten sie keine Demonstrationen. Sie waren vorwiegend da, um zu gucken, ob eine Demonstration stattfindet. Allein das hat gereicht, das fast 200 von ihnen verhaftet wurden, 100 in die Braunkohle zum Arbeitseinsatz geschickt wurden und gegen andere Ermittlungs- und Strafverfahren angestellt wurden. In der Folge war mit der Beat-Musik in der DDR nicht mehr viel zu wollen, die meisten Gruppen wurden aufgelöst. Sie erhielten Arbeitsverbot, sehr viele wurden eingezogen zur NVA, damit kann man sie auch aus dem Verkehr ziehen. Einige wenige haben einen Anpassungspreis gezahlt und konnten weitermachen aus Team 4 wurde Thomas Natschinski und Bands, der immer noch versuchte eine halbwegs moderne Musik zu machen, aber politisch sich sehr stromlinienförmig verhielt. Und erst in den 70er Jahren kam es zu einer Wiederbelebung dieser Szene, weil nun stand ein internationales Ereignis in der DDR an die Weltfestspiele und man konnte sich nicht hinstellen und sagen Rockmusik gibt's in der Zone nicht. Nun wurden die ganzen Bands mehr oder minder wieder zugelassen und konnten spielen, selbstverständlich unter den Bedingungen politischer Kontrolle, selbstverständlich auch mit Anpassungsleistung, die wenn sie nicht geleistet wurden sehr schnell dazu führen, dass diese Gruppen aufgelöst und verboten werden. Hierfür ist wieder mal Renft ein Beispiel, die 1975 aus politischen Gründen aufgelöst wurden und 1976 sind einige Band-Mitglieder verhaftet wurden, saßen ein dreiviertel Jahr ohne jede Anklage in Stasi-Haft und sind dann in den Westen abgeschoben worden. Kuno, Pannach im Zusammenhang mit der Biermann-Ausbürgerung. Ich gehe mit meinem Text jetzt hier nicht weiter, sondern ende hier. Ich danke Ihnen. [Applaus]
Dagmar Hovestädt: Das ist jetzt die Runde der Zeitzeugen auf dem Podium. Ich begrüße sie allemal der Reihe nach Udo Gebhardt, damals 17 Jahre alt im Jahre 1969, Eckart Mann, damals erst 16 im Jahre 1969 und Günter Kalis war 20 in den Zeiten. Sie müssten das Mikrofon in die Hand nehmen, damit wir uns miteinander unterhalten können. Die Beat-Krawalle 1965 sind für sie damals in der Zeit erfahrbar gewesen. Hat man davon gehört? Wusste man davon? Sie als derjenige der zu dem Zeitpunkt am ältesten war?
Günter Kalis: Ich muss dazu sagen, die Stones waren eigentlich für mich schon immer ein Teil meines Lebens gewesen. Ich bin heute noch Stones-Fan, werde ich auch ewig bleiben und ja diese ganze Geschichte, mir persönlich nimmt das ziemlich mit noch immer, das ist nicht so einfach. Also es fing damit an schon einen Tag vorher, wo wir geguckt haben auf dem Springer-Gebäude, ob da gebaut wird und wir haben es auch geglaubt. Wir waren da fest von überzeugt, dass sie spielen. Wir waren, wie gesagt, weil damals hatte ich noch ein paar Haare mehr wie heute und hatte so ein US-Parker an und na ja und dann haben sie mich erwischt.
Dagmar Hovestädt: Sie waren- ich wollte noch ein bisschen früher einfach mal Anfang in der Erzählung dahin. Wann sind sie richtig Stones-Fan geworden?
Günter Kalis: Oh, das war schon im Prinzip, wo die rauskam, weil die Musik hat mich fasziniert. Damals war ja noch Brian Jones mit bei gewesen, der dann leider verstorben war und seitdem bin ich ein Stones-Fan. Und da kam ja auch Jimi Hendrix raus und ich bin in der Richtung zu Hause.
Dagmar Hovestädt: Udo Gebhardt, wann haben Sie die Stones zum ersten Mal, wann haben die sich sozusagen in Ihr Leben sozusagen eingefunden die Rolling Stones? Sie kommen aus Dessau. Günter Kalis und Eckart Mann kommen aus Ostberlin, aber Sie waren damals in Dessau. Wie soll man sich das vorstellen, dass ein junger Mann in Dessau die Rolling Stones zu hören bekommt?
Udo Gebhardt: Ja, zunächst erstmal: Sicherlich haben wir ungünstigere Bedingungen gehabt in Dessau als in Berlin. Es gab schon Möglichkeiten bestimmte Sender zu empfangen also RIAS Berlin haben wir über Mittelwelle bekommen, Radio Luxemburg über Kurzwelle, das waren natürlich furchtbare Aufnahmen, wenn man das alles mit Tonband dann mitgeschnitten hat, aber man kam schon an Informationen ran. Aber wie ich selber, ich bin ja Jahrgang 52, ich war sozusagen mit 12, 13 Jahren irgendwann '64, wo die Musik so aufkam, '65 die ersten Hits von den Beatles und von den Stones, dass man dann irgendwo sich orientiert hat, das war auch die Zeit Ende der Schule und dann Beginn mit der Ausbildung und man war auch irgendwo wild oder verrückt und wollte auch protestieren, in Amerika '68, '69 Martin Luther King. Ja, es ist alles wichtig gewesen auch für meinen Leben, was mich beeinflusst hat und dann musste man sagen, was passt besser, wenn du protestiert gegen bestimmte Strömungen gegen eine bestimmte Bewegung, ist ja auch schon angeklungen in dem Impulsvortrag, was uns damals als junge Leute so angetrieben hat, das man dann im Prinzip sich, also für mich stand dann fest, die Rolling Stones Musik passte natürlich viel besser zu dem Protest als Beatles Musik, das waren die beiden Großen. Natürlich wussten wir dass es die [unverständlich] gibt. Ich habe kommuniziert mit [unverständlich] zu der Zeit nach England rüber, The Who, Small Faces, alles bekannt und das sehe ich ähnlich wie mein Vorredner, das bleibt man dann und das bleibt man wie wenn man jetzt BVB-Fan wird, bleibt beim bis zum Lebensende auch Rolling Stones Fan.
Dagmar Hovestädt: Die Beat-Krawalle Leipzig sind die Ihnen schon damals über den Weg gelaufen, man sagt so eine Vorbewegung? Eine Frage ist: Wie hört man die Rolling Stones? Aber versteht man ihre Texte und warum hat man begriffen, dass die Stones irgendwas waren, was für ein wichtig war, was auch eine Gegenbewegung darstellt.
Udo Gebhardt: Das ist ja schön geschildert worden. Es gab ja diese Beat-Clubs, also ich sag mal Jugend Club, selbst in meinem Vorort von Dessau, das war eine 100.000 Einwohner Stadt, gab es dann die [unverständlich] für die jungen Leute und in den Treffs, das ging mittwochs los, wurde eine Runde von 17 bis 22 Uhr öffentlich gemacht und Tanzrunden, Freitag, Sonnenabend, Sonntag generell in sämtlichen Häusern, in sämtlichen Clubs und der Unterschied zu der Zeit 10, 15 Jahre später zu der Discozeit, wo dann nur noch Schallplatten aufgelegt worden war, das war alles Live Musik, das waren alles Jungs und Mädchen die Musik gemacht haben, drei Gitarren, ein Schlagzeugen und dann ging das los, eine Orgel dazu und dann war das richtig perfekt und so wurde das intoniert. Es wurde ranorganisiert über die Bravo-Musikbox, die Texte, die Noten und dann haben wir das, ich selber auch, nachgespielt.
Dagmar Hovestädt: Habe Sie damals englisch gesprochen und das verstanden?
Udo Gebhardt: Ich habe seit meinem 10., 8., 9. Lebensjahr Englischunterricht.
Dagmar Hovestädt: Und dann hat man sozusagen tatsächlich einfach die Rolling Stones nachgespielt und das war auch ohne irgendein Problem machbar?
Udo Gebhardt: Erstmal ja, es gab diese Regelung 60 40 und zu 99 Prozent wurde darauf gelegt Westmusik allgemein in Anführungsstrichen mal formuliert und wenn man wusste, da ist eine Kontrolle, da kommt jemand vorbei, dann hat man mal geguckt, Thomas Natschinski oder so, weiß ich nicht, war ja furchtbar. Er war ja sehr angepasst Natschinski. Es gab aber andere Songs, die man dann nachspielen konnte oder die man dann gespielt hat, um diese Prozentzahl Ost und West-Musik einzuhalten.
Dagmar Hovestädt: Eckart Mann, die Rolling Stones haben sich wie in Ihrem Leben bemerkbar gemacht?
Eckart Mann: Über die Medien wie der Kollege schon geschildert hat, man hatte seinen festen Ablauf, RIAS, SFB und so. Also man war da bestens informiert. Die Strahlen waren nicht aufzuhalten. Bei mir persönlich war das so, dass das ich Musikunterricht hatte, eine Ausbildung klassisch am Klavier. Und das war ganz klipp und klar, was da aus dem Radio kommt. Das ist Zukunft, ja. Das geht nach vorne. Das ist was für uns und da haben die alle gar nichts mit zu tun und die sollen eigentlich die Klappe halten, das haben sie aber leider nicht gemacht. Sie haben sich eingemischt und wollten uns erzählen, das wäre nicht gut und das wäre nicht richtig und das konnte man ihnen nicht glauben, das wollte man nicht glauben und deswegen glaubt man ja lieber, dass die Stones auf dem Springerhochhaus spielen, weil es einfach die bessere Geschichte ist. Die möchte man glauben und das hat man dann auch getan und ja die Stones waren halt auch die wilden Jungs. Die Beatles waren nett und musikalisch hoch interessant und das war wirklich ganz wichtig, aber die Stones waren halt böse und dann hat man sich in eine Gitarre geschnappt und hat dann irgendwie die Membran angekratzt und dann hatte sie sich verzerrt angehört und dann war das ganz toll. Man war dabei und man war glücklich und dann kommen daher und sagen das ist nichts und wollen dir erzählen, das glaubt ja kein Mensch mehr, dass man sich mittels Haare und einem Schlag in der Hose irgendwo demonstrieren kann auf der Straße, aber die haben das ja ernst genommen und das gab dafür auf den Deckel und das ist für ein 16-jährigen nicht leicht zu begreifen und die sind bis in die Schule gekommen. Die sind bis in die Schule gekommen und haben 10-, 12-, 15-jährige Kinder an die Mangel genommen und haben die ausgehorcht, wie bei den Nazis Feindsender hören, brauch man gar nicht zu beschönigen und die Direktorin hat daneben gesessen und hat dir nicht beigestanden und dann weißte was DDR ist. Und dann liebst du die Stones, weil die singen "Let's Spend The Night Together", das verstehste auch mit 16.
Dagmar Hovestädt: Es war sozusagen das Gefühl sich frei ausdrücken zu können. Es war das Gefühl zu sagen, das was ihr uns sagen wollt, akzeptieren wir nicht. Wir machen unser eigenes Ding. Und als das Gerücht des Konzertes auftauchte, war es die Möglichkeit diese Band auch wirklich zu sehen?
Eckart Mann: Na ja die Chancen standen 50 50, ja. Spielen sie und du gehst nicht hin, das hätte ich mein Lebtag nicht verziehen, ja. Gehst du hin und die spielen nicht, na ja ok dann hast du es auf jeden Fall versucht.
Dagmar Hovestädt: Aber die Reaktion, dass – selbst, wenn sie spielen würden – das nicht unbedingt etwas ist, was Staat und SED - und gerade an dem Tag! Ich meine, hat man doch selber gemerkt, dass es der 7. Oktober war. Das ist ja auch nicht an einem vorbei gegangen, ne?
Eckart Mann: Das war das Salz in der Suppe. [Lachen im Hintergrund] Ja, das hat Spaß gemacht. Das ist jetzt gar nicht anders zu sagen, da will man gar nicht drum rumreden. Das hatte einen schönen Touch! Das hatte was. Das war nicht irgendein Jahrestag, das war der 20. Jahrestag, ja. Ja, ja, das war schon dabei. Und ich meine, man, mit 16, da willst du irgendwann auch mal dich irgendwie bemerkbar machen. Du willst mal zeigen, ja. Das in der Schule, da wussten schon alle: Ich war kein junger Pionier, in die FDJ wollte ich auch nicht eintreten. Die Zukunft sah nicht gut aus in dem Land, für mich. Also.
Dagmar Hovestädt: Also. Udo Gebhardt, Sie saßen in Dessau. Sie wollte n nicht unbedingt am 7. Oktober nach Berlin, aber Sie haben dazu aufgerufen, dass man nach Berlin fahren sollte. Weil Sie hatten eine ganz andere Information!
Udo Gebhardt: Ich wollte es schon, aber ich war im Gefängnis zu der Zeit. Am 7. Oktober, also… [lacht] Ja, wir haben das Gerücht gehört, oder wir haben das ja für bahre Münze genommen. Ich weiß auch nicht mehr, wo es herkam, ob von RIAS oder ob das irgendein Moderator von RTL, also damals Radio Luxemburg, noch gebracht hat, jedenfalls: Das war schnell rum. Das muss so Anfang September gewesen sein, denn am 14. habe ich in Dessau auf die Straße geschrieben – vorhin liefen hier ja ein paar Bilder – "Rolling Stones Fans, fahrt nach Berlin". Wollte damit praktisch mobilisieren, andere Fans und junge Leute aus meinem Heimatort halt mitnehmen. Und wie gesagt, die Absicht war dann auch, mit den anderen Leuten dazustehen und zu gucken. Wir wussten ja nicht, dass sie nicht kommen. Das wussten wir ja nicht. Ja und das habe ich in der Nacht vom 13. zum 14. September da mobilisiert mit schöner grauer Ölfarbe auf die Straße geschrieben. Nachts. Und am nächsten Tag ging das dann los. Da kamen dann der Abschnittsbevöllmächtigte VP und dann kam Stasi und dann hatte es genau zehn Tage gedauert, dann haben sie den Ring geschlossen. Und dann hat man mich dann nachts halb neun zuhause verhaftet und mitgenommen. Und deswegen sage ich nochmal, in der Zeit, am 7. Oktober - ich saß also vom 25. September bis weit nach dem Jahrestag saß ich im Gefängnis in Untersuchungshaft.
Dagmar Hovestädt: Sie konnten aber das, was Sie auf die Straße gemalt haben, gar nicht zu Ende schreiben. Das hört bei B E R auf.
Udo Gebhardt: Ja, bei B E R – ja, Berlin. L I N hat gefehlt, jeder wusste natürlich, was ich gemeint habe. Wo ich sie hin mobilisieren wollte. Bin dann - wie gesagt: nachts, es war dann halb zwei oder wann – irgendwo gestört worden. Kamen zwei Mädels vorbei, die kamen wahrscheinlich auch gerade vom Jugendtanz oder keine Ahnung. Ich wollte da halt nicht erwischt werden. Ich wollte nicht erkannt werden. Ja.
Dagmar Hovestädt: Das heißt, Sie haben dann auch gar nicht weiterverfolgen können, was draus geworden ist. Das war mit 17, Sie waren minderjährig, erstmal einige Wochen in Haft und dann gab es sogar eine Verhandlung. Letztendlich sind Sie mit einer Bewährungsstrafe dann wieder entlassen worden, ne?
Udo Gebhardt: Ja, das ist erstmal totale Funkstille, wenn man da weggeschlossen ist. Kein Kontakt. Auch meine Eltern, mein Vater wollte irgendwie über den Rechtsanwalt – das konnte man alles knicken. Pro forma gab es sicherlich das Spiel auf dem Blatt Papier, dass da ein Rechtsanwalt irgendwas macht, aber sie sind nicht rangekommen. Meine Eltern haben selber erstmal tagelang nicht gewusst, was mit mir ist. Wo ihr Junge steckt. Das kam dann alles erst später.Bin dort dementsprechend auch verhört worden, wo ich die Musik herhabe. Gibt eine ganz schizophrene Geschichte: Die konnten sich halt nicht vorstellen "It's only Rock'n'Roll" – das heißt, dass man sowas macht nur wegen den Stones oder wegen der Musik. Und irgendwann bin ich mal nachts aus der Zelle geholt worden und da musste ich unterschreiben, dass ich eigentlich mobilisieren wollte. Also ich sollte schreiben: "Rolling Stones Fans fahrt nach Berlin zum Sozialistentreffen". Das fand da auch statt, 20. Jahrestag der DDR. Irgendwann ein paar Tage vorher, keine Ahnung, weiß ich nicht. Das wollten die, dass ich das unterschreibe. Wie gesagt: Es musste immer ein politischer Hintergrund sein, weil die Strafform war versuchte Zusammenrottung. Wegen versuchter Zusammenrottung bin ich dann nach Ende Oktober irgendwo bei so einer Kreisgerichtsverhandlung für acht Monate Freiheitsentzug bestraft worden. Aber ausgesetzt auf eineinhalb Jahre Bewährung, weil ich wie gesagt noch 17 war und tralala, gesellschaftlicher Vertreter und plötzlich kam der Deutschlehrer und sagte: "Ich bürge für den Jungen." Und wie das da halt war.Aber das war das Strafmaß, acht Monate Freiheitsentzug wegen versuchter Zusammenrottung.
[männliche Stimme im Hintergrund: Und Rowdytum.][kollektives, Zustimmendes Murmeln der Podiumsgäste]
Udo Gebhardt: Ja, das. Ja, ja.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Günter Kalis, Sie waren an dem Tag in Berlin selber.
Günter Kalis: Ja.
Dagmar Hovestädt: Und Sie fanden die Stones schon gut. Sie waren 20 und, wenn Sie sich an den Tag zurückerinnern, wann d sie sozusagen Richtung Springer Hochhaus gegangen und was ist da passiert?
Günther Kalis: Na, ich persönlich habe ja damals im Prenzlauer Berg gewohnt, in der Immanuelkirchstraße. Und wir wussten da schon – das war ja nicht sehr weit weg entfernt von dort. Also, wir sind dann da hin gelaufen mit einer ganzen Horde, mit der ganzen Truppe und waren natürlich voller Euphorie. Wir wollten die hören, die Stones! Wir waren ja alle Stones Fans da. Wir haben uns gefreut wie die kleinen Kinder. Wir waren alle so zwischen 18, 20, 21 Jahre. Und wir sind dann da hin und wollten eben die Stones hören. Wir haben daran geglaubt, dass wir die hören. Und wie gesagt, wir waren voller Euphorie gewesen. Na ja, und dann nachher, war es dann doch, dass sie eben nicht gespielt haben. Und dann haben wir eben Probleme bekommen.Also wie gesagt, bei mir war es dann so gewesen, dass sie mich dann irgendwann gekriegt haben. Dann hatte ich so einen US-Parker an, etwas längere Haare und dann habe ich eben auch Prügel gekriegt und bin auf einen Lkw verschwunden, auf einen W 50 Richtung Keibelstraße. Und da bin ich unten in den Keller rein und da hat man mir meinen Parker dann kaputte gemacht. Den hat man zerrissen.
Dagmar Hovestädt: Auch bewusst, weil man gesagt hat- -
Günther Kalis: Ja, ja. Weil ich eben äußerlich ein bisschen anders aussah wie ein FDJler oder weiß ich was. Na ja und dann bin ich von da nachher- - ich hatte ja noch Glück. Ich habe ja insgesamt nur vier Wochen gehabt. Drei Wochen Keibelstraße und eine Woche Rummelsburg und dann bin ich entlassen worden. Und dann im Betrieb hat man sich natürlich gleich erkundigt und wahrscheinlich hat man mich auch täglich dort überprüft, ob ich meine Arbeit mache und weiß ich was alles. So war das im Prinzip.Na ja, wie gesagt, das kommt dann manchmal immer noch da hoch, wenn man so ein bisschen darüber nachdenkt.
Dagmar Hovestädt: Sie wollten die Band sehen, Sie waren mit Ihren Freunden da.
Günther Kalis: Ich wollte die Band sehen!
Dagmar Hovestädt: Es waren mehrere, Sie waren ja nicht alleine mit Ihrer Gruppe auf der Straße, ne?
Günther Kalis: Nein, da waren hunderte und tausende von Leuten. Die kamen aus der ganzen DDR! Das waren zich Leute. Wie gesagt, wir sind ja bis an die Spree da ran und na ja, da kam das dann dazu. Also wie gesagt: hinten festgezogen, da habe ich dann was hinter die Löffel gekriegt und auf den Lkw wie so ein Stück Vieh da raufgeschmissen worden. So war das eben.Und meine Eltern wussten gar nicht, wo ich war, mein Vater und meine Mutter nicht. Ich hatte dann, bevor ich entlassen worden bin, kam ich mir dann so blöd vor, bin aus der Straßenbahn und bin nach Hause gelaufen. Weil die Haare waren ja kurz. Die haben uns als erstes die Haare geschnitten. Wir sahen ja denn toll aus. [lacht freudlos] Dann hatte ich da noch so eine olle Jacke angehabt, na ja, so war das.
Dagmar Hovestädt: Eckart Mann, Sie waren auch an dem Tag dort am Spittelmarkt, in der Nähe von der Mauer, in der Nähe des Springer Hochhauses. Ungefähr wann, mit wie vielen Leuten? Wie ist Ihr Nachmittag dort vonstattengegangen?
Eckart Mann: Angekommen bin ich so gegen 14, 15 Uhr, wenn ich mich recht erinnere. Und ja, es hat sich eigentlich nichts weiter abgespielt. Die Leute haben da rumgesessen. Ich war mit 16 wahrscheinlich noch so ein bisschen aus dem Blickfeld von den FDJ-Horden, weil die mich noch nicht ganz so ganz ernst genommen haben.
Dagmar Hovestädt: Die FDJ-Horden waren zusätzlich dorthin bestellt, um die Situation zu kontrollieren, ne.
Eckart Mann: Die waren schon da. Die haben sich schon um die etwas älteren Semester gekümmert. Wenn man es mal so sagen möchte [Lachen im Hintergrund] Und inklusive dieser Schlägerei mit der Frau oder die Frau, die sie da verprügelt haben, was ich noch sehr genau im Auge habe. Was ich mir bei unserer Volkspolizei bis dato gar nicht vorstellen konnte – sowas findet nur im Westen statt. Aber nee! Und so verging die Zeit einfach so, es passierte nichts.
Dagmar Hovestädt: Man steht, man wartet und man hofft, dass auf dem Hochhaus was passiert und so, ne.
Eckart Mann: [anfangs parallel] Und dann steht man da und irgendwann hat sich das sonst doch formiert und irgendwie so war die Idee: Wir rennen jetzt zum Brandenburger Tor und springen da über die Mauer! Die ist ja nicht so hoch da an der Stelle, zwar breit, aber nicht so hoch. Und dann hat sich tatsächlich so ein Zug gebildet und aus diesem Zug kam dann eben auch diese Parolen – seltsamer Weise – heute weiß vielleicht keiner mehr was damit anzufangen: " Dubček! Svoboda!" [lacht kurz auf] Haben wir da gerufen, aber die waren Synonyme- -
Dagmar Hovestädt: Die Führer des Prager Frühlings aus dem Jahr davor, ne.
Eckart Mann: Ein Synonym für eine Veränderung, Reform die halt niedergeschlagen wurde. Und unter anderem auch "Die Mauer muss weg!" Etwas früh. Jedenfalls ging das ruckzuck. Es wurde dunkel und dann hast du gesehen: Die Bullenwagen, die fuhren auf, und dann kamen die mit Lkws an und die sprangen da runter und dann sind sie mit einem Knüppel losgezogen. Und dann wollte ich eigentlich flüchten, aber das habe ich dann nicht mehr geschafft, weil mir ein Bürger ein Bein gesetzt hat und da bin ich ins Stolpern gekommen und ins Leben gefallen.
Dagmar Hovestädt: Und das war quasi auch nur so ein Passant, der quasi von den Feierlichkeiten des offiziellen Jahrestages, ne?
Eckart Mann: [anfangs parallel] Ja, der lief mit seiner Frau und seinem Kind am Arm mir entgegen und machte dann so – und dann hatten sie mich. Und dann bin ich in ähnlicher Weise wie er im hohen Bogen auf den Lkw rauf und dann geht's in die Keibelstraße und da gab's auf den Schädel. Und dann haben da sechs um mich herumgetanzt und haben mir immer mit dem Lineal auf den Hinterkopf gehauen und dann habe ich irgendwas unterschrieben und dann war es das. Das geht ganz schnell, das ist ganz einfach. Das ist kein Problem, das machen die schon mit dir. Brauchst du gar nichts weiter tun.
Dagmar Hovestädt: Sie wissen heute, was sie damals unterschrieben haben?
Eckart Mann: Na wahrscheinlich irgendeine Form von Geständnis. Also gut, na klar, ich bin ja angeklagt worden, weil ich zu einem Polizisten gesagt habe "Du Schwein" – und das reicht ja auch. Ich glaub nicht, dass ich dazu gekommen bin, mit dem überhaupt zu reden. [lacht] Ich lag ja auf dem Boden und die haben ja gleich von oben gehauen. Egal, es war ja auch vollkommen Wurst! Das war ganz klar: Wenn die dich in den Fingern haben und die wollen das mit dir machen, dann machen die mit dir, was sie wollen. Da gab es keine Diskussion und wer sich da irgendwo da rechtsstaatlich – also, das Wort kannst du vergessen in dem Zusammenhang. Gab es nicht.
Dagmar Hovestädt: Sie sind aber nicht nur in der Keibelstraße, dort in Polizeigewahrsam geblieben. Sondern für Sie ging es dann sehr lange danach eigentlich weiter, ne?
Eckart Mann: Ja. Ich bin dann in die Untersuchungshaftanstalt Rummelsburg verlegt worden. Da habe ich dann auf den Prozess gewartet. Ich hatte auch einen Verteidiger, der auch schon für einen 16-Jährigen als einziger Witz da war. Der arme Mann, der tut mir im Grunde genommen heute noch leid. Und ja, dann kam es zu einer Gerichtsverhandlung, zu einer für mich immer noch denkwürdigen Veranstaltung, weil ich dachte irgendwann mal: Das ist Freislers Tochter. Die hat nur gebrüllt! Die hat nur geschrien und hat nur rumgekeift und hat mich als ein "antisozialistisches Element mit negativ-feindlichen Tendenzen" bezeichnet. Einem 16-Jährigen so einen Wortschwall an den Kopf zu knallen, was soll man denn dazu sagen? Und dafür gab es dann zwei Jahre. Vielleicht hätte ich sie fragen sollen, was 'positiv-feindliche Tendenzen' sind, aber da hatte ich die Furcht, da hätte ich noch ein Jahr mehr gekriegt. So, wie die geladen war, ja?Und ich habe bekommen - ein bis drei Jahre "Jugendhaft" nannte sich das, ja. Was dir dann die Möglichkeit gibt, wenn du dann rechtzeitig sagst: Ich will jetzt zu den Pionieren und ich werde auch in die FDJ eintreten und ich werde alles machen, was ihr sagt, und ich krieche zu Kreuze! Oder ich kreuze zu krieche? Na, wie auch immer.
Dagmar Hovestädt: Zu Kreuze kriechen.
Eckart Mann: Egal, wie auch immer du das formuliert hättest, dann hätte ich vielleicht nach einem Jahr die Chance; aber da habe ich selber nicht dran geglaubt. Und da wurden dann zwei Jahre draus und dann hat man mich verkauft. Zu einem guten Preis, hoffe ich.
Dagmar Hovestädt: Sie sind dann in den Westen gekommen, ne?
Eckart Mann: Und bin dann in den Westen entlassen worden und auch da habe ich Glück gehabt. Denn ich jetzt aus Dokumentationen, dass der westdeutsche Staat auch reichlich für Ausreisewillige in Gefängnissen gezahlt hat, denen man das gar nicht mitgeteilt hat. Also, das ist natürlich auch schon bitterböse, ne? Insofern hatte ich Glück, dass der Mann da gegenüber ehrlich war. Von dem ich Ihnen bis heute nicht sagen könnte, wie er aussieht, weil es wie ein schlechter Kriminalfilm war. So ein Scheinwerfer, der vorm hellen Fenster und könnte Ihnen nie sagen, wie der Mensch- - Aber der hatte gesagt: Möchten Sie? Und ich hab gesagt: Wie lange dauert das? – 14 Tage. – Gerne. – Tschüss.Und nun ja, als Alternative hätte ich bis zu meinem 38. Lebensjahr in der DDR bleiben müssen. Für mich persönlich wäre das die größere Strafe gewesen. Sage ich Ihnen ganz ehrlich. Und zwei Jahre, andere müssen zur Armee. Bausoldat in Prora – ich weiß nicht. Also mein Ding wäre das nicht gewesen. Ganz ehrlich.
Dagmar Hovestädt: Das heißt Sie waren 18, 1971, und dann waren Sie in Westdeutschland und haben von da aus auch im Grunde genommen die DDR nur noch mit Distanz betrachtet, bis die Mauer gefallen ist?
Eckart Mann: Ja, per Transit bin ich ab und zu mal durchgefahren. Mehr war nicht mehr. Es war auch nicht so interessant. Abgeschlossenes Thema, das habe ich dann irgendwann auch links liegen lassen und ja. Ich habe es ja geschafft, also ich war weg.
Dagmar Hovestädt: Aber Udo Gebhardt, Sie sind geblieben. Sie waren 17, 18 als das quasi abgeschlossen war. Wie ist es dann im Grunde genommen weitergegangen? War das eine Zäsur? Hat sich für Sie ein Bild von DDR verändert? Ihr Verhältnis zu den Stones hat sich nicht verändert, das wissen wir. Sie sind ein lebenslanger Stones-Fan geblieben. Aber ist da was passiert? Wie kann man weiterleben in einem Land, das einen bestraft, weil man gerne die Stones hören will?
Udo Gebhardt: Na ja, erstmal: man ist 17, man vergisst auch schnell. Und wie gesagt auch durch diesen gesellschaftlichen Vertreter durfte ich - ich war in einer Berufsausbildung mit Abitur, im September fängt man an, ja, gerade frisch angefangen – die Entscheidung war dann: Darf der weiter Maurer werden mit Abitur oder nicht. Na ja und dann hat man eben entschieden. Man hat das Strafmaß verhängt und ich durfte weitermachen. Dann hatte ich zweieinhalb schöne Jahre so mit meinen Leuten da, mit meinen Schulfreunden und alles. Man hat das auch weitergemacht, Musik zu Beobachtung und sehr viel mitgeschrieben. Rangekommen ist man ja wenig, es sei denn man hatte ein bisschen Westkontakte. Ja und plötzlich sind drei Jahre ins Land gegangen und dann machst du dein Abitur und bist du da genau so froh und stolz wie alle anderen. Die Eltern freuen sich, man freut sich selber und dann geht man normal den Weg. Ich hab erst viel später – ich hab auch meine Akte erst 2002/2003 gelesen, weil ich mir dachte: Da gibt es vielleicht wichtigere, die interessanter sind und die das zuerst wissen wollen. Es war ja eine lange Wartezeit. 2002/2003 bin ich dann mal los, hab auch zweieinhalb, drei Jahre gewartet, ehe ich dann eingeladen wurde zum Gespräch. Aber wie gesagt, ich hab dann erst beim Lesen der Akte gesehen, dass man dann trotzdem immer weiter beobachtet war. Obwohl man dachte: Du hast jetzt den Befreiungsschlag, es ist jetzt alles erledigt, die Geschichte ist vergessen von damals. Vielleicht haben sich die Behörden gedacht: ein dummer Jungenstreich – weiß ich nicht. Und hab dann – ist vielleicht noch eine niedliche Geschichte – '88 hat ein sehr guter Freund von mir die DDR verlassen durch einen gestellten Ausreiseantrag. Zwei, drei Jahre gewartet und dann durfte er '88 gehen. Und als der so ein halbes Jahr da war, Ende '88, schrieb der uns einen Brief. 10 Seiten. Wie toll es ist und wie schön, welche Probleme es gibt, gut angekommen und tralala. Der Brief ist nie bei uns angekommen. Den habe ich 2003 in der Akte gefunden dann. Ja? Daran sieht man, dass man doch irgendwo begleitet wurde von den Behörden, von der Stasi insbesondere, und die genau wussten, was macht der jetzt und was darf der machen. Ja.
Dagmar Hovestädt: Aber für Sie war das auch nicht was, dass sie gesagt haben: Ich habe das bereut, dass ich mich da so engagiert habe oder meine Vorliebe für die Band so sozusagen in die Welt getragen habe. Also, haben Sie das bereut? Hätten Sie gedacht: Ach Mensch, hätte ich es mal lieber nicht gemacht, dann wäre mir der Knast erspart geblieben.
Udo Gebhardt: Nein. [lacht] Um Gottes Willen, niemals bereut! Man muss ja auch sehen: in dieser Zeit sind ja noch viele andere Ereignisse gewesen. Ich kann mich erinnern, ich hatte damals bei Zeiten eine 150er ES. War ein schönes, schnelles Motorrad zu DDR-Zeiten. Da gab es bei uns ein Geschäft, [phonetisch: Wimpelbäcker] nannte der sich, da gab es dann zu Flaggen. Ich habe mir dann eine US-Flagge da gekauft, die war genau so groß wie der Spritzschutz hinten am Motorrad. Und die habe ich dann hinten dran gebunden. Eine US-Fahne, ja, so ähnlich, wie mit seiner US-Jacke da oder so. Oder, die haben uns ja auch an der Levis das Zeichen abgeschnitten und so, wenn sie uns vom Jugendtanzen nachts irgendwo reingeholt haben. Ja, mit der bin ich dann durch Dessau gehirscht und dann musste ich beim Berufsschuldirektor antanzen. "Gebhardt, mach mal die Fahne ab!" Habe ich natürlich nicht gemacht. Dann ist man weitergefahren. Paar Wochen später stand dann die Polizei kurz vor meiner eigenen Haustür, hat mir ein Taschenmesser in die Hand gedrückt: "Nun machen Sie mal die Fahne ab!" Hat man sich nochmal rausgeredet: Aber ich wohne doch gleich um die Ecke, muss noch 20 Meter, ich knipper sie mir dann schön ab, damit sie nicht kaputt geht. Ja und dann nächsten Tag weitergefahren. Also, es war ja – wie soll ich das sagen – Sturm und Drang. Es war immer Bewegung! Und die Stones waren nun mal – bis heute in meiner aktiven gewerkschaftspolitischen Zeit muss ich sagen, braucht man mal sowas zum richtig Durchatmen oder wenn mal eine richtig spannende Situationen oder Auseinandersetzung ist, vielleicht darf ich das auch noch einmal erzählen: Bin so ganz ehrenamtlich Stadtrat in meiner Heimatstadt gewesen für die SPD und es gab 2007 eine Kommunalwahl und da ist dann ein Nazi reingewählt worden in das Stadtparlament. Und dann bin ich dann mit aufgemunitionierter Rolling Stones Kassette mit dem Auto, voll aufgedreht, vor dieses Parlamentsgebäude gefahren, schön hochgedreht "She love you" und haben dann geguckt, wie man dann Protest machen kann. Und andere: was macht denn der jetzt, was ist denn los und so. Also solche Geschichten gibt es schon. Da holz man sich – wie soll ich sagen – Adrenalin durch diese Musik. Also wird mich wahrscheinlich begleiten. Wenn ich an meiner Beerdigung schreiben dürfte, würde ich sagen: Spielt irgendwas von den Stones dann! [lacht]
Dagmar Hovestädt: [lacht] Und Günter Kalis, war das für Sie eine Zäsur? Kann es danach normal weitergehen? Sie sagen, es ist bis heute immer noch etwas für Sie, was Sie ein bisschen anstrengt, was wiederkommt, was sie auch sehr beschäftigt. War danach das Leben sozusagen nicht mehr so wie vorher?
Günter Kalis: Na ja, man darf ja hier nicht – also, bei mir persönlich war es ja so gewesen, ich hatte immer darüber nachgedacht: Du hast hier deine Freunde. Du hast Familie hier, die die gleichen Interessen wie ich hatten – Stones. Ja. Und das hat mich mehr oder weniger in der DDR gehalten. Ich hatte, wenn ich ehrlich bin, den Gedanken nicht gehabt, nach den Westen abzuhauen. Also da muss ich ehrlich sein, das hab ich nicht gemacht. Weil eben der Zusammenhalt, wir waren eine riesengroße Truppe, wir haben uns getroffen, wir sind tanzen gegangen. Ja und wir haben uns immer so aus der Politik mehr oder weniger rausgehalten, ja. Dass die DDR für uns nicht das richtige war, war klar. Aber es gab für mich persönlichen keinen Grund, deswegen die zu verlassen. Ich habe auch keinen Ausreiseantrag irgendwie gestellt oder irgendwie. Mein Vater persönlich, der hatte bloß ein Bein, der hatte im Krieg sein Bein verloren, und die Frage stand auch nicht von meinen Eltern aus, dass er abhaut oder dass wir nach den Westen gehen wollen. Und das wars. Das sind meine Beweggründe, ja.
Dagmar Hovestädt: Dann danke ich unseren drei Zeitzeugen, dafür, dass heute vor 45 Jahren, ne - es ist Ende September – war das die Woche vor dem vermeintlichen Konzert. Wir sitzen hier 45 Jahre später, es ist viel passiert, aber es ist immer noch für Sie alle drei auch spürbar lebendig. Da ist was passiert in der Beschäftigung mit Musik in einem Staat, der das nicht gutiert hat, nicht die Musik, die Sie gut fanden. Und ich danke Ihnen jetzt erstmal hier für Ihre Teilnahme.
Günter Kalis: Dankeschön.
[Applaus][Jingle]
Maximilian Schönherr: Das war das Gespräch mit den Zeitzeugen Günter Kalis, Udo Gebhardt und Eckart Mann, die wegen eines Gerüchts über ein Konzert der Rolling Stones auf dem Dach des Springer Hochhauses im Jahr 1969 in DDR-Haft kamen. Übrigens sind alle im Jahr 2014 vom Verlagshaus Springer eingeladen worden, mal in das oberste Stockwerk zu kommen. Mit 19 Stockwerken und über 70 Metern Höhe herrlicher Blick auf Ost-Berlin. Sie haben zudem eine Eintrittskarte für ein Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne bekommen. Ein Happyend also nach 45 Jahren.
Dagmar Hovestädt: Und wie immer zum Ausklang eine akustische Begegnung mit dem Archiv. Der ganz zufällig ausgewählte Schlusston aus fast 23.000 Tondokumenten des Stasi-Unterlagen-Archivs.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. 19679 erstellten FDJler der Bezirksverwaltung Cottbus anlässlich des 30. Jahrestages einen Dia-Ton-Vortrag, aus dem wir einen Ausschnitt hören. Es werden Prozesse aus den 50er und 60er Jahren erwähnt.Erstens der Bernburger Prozess gegen ehemalige Direktoren und leitende Angestellte der Deutschen Solvay-Werke- in Klammern DSW – wegen Wirtschaftsspionage, Förderung der systematischen Misswirtschaft und der Verheimlichung des Einflusses der IG-Farben-Industrie auf die DSW. Vorsitzende Richterin war Hilde Benjamin. Die Angeklagten wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.Vom 2. Erwähnten Prozess gegen Hermann Hüttenrauch und Herbert Latinsky wegen Zitat: "Spionage, Wirtschaftssabotage und Menschenhandels" im Oktober 1967 gibt es im Tonbestand den kompletten Mitschnitt. Er umfasst knapp 72 Stunden. Auch hier wurden eine langjährige und eine lebenslange Zuchthausstrafe ausgesprochen.
[Archivton][Signalton][Musik]
[Sprecher 1:] [über der Musik] Heute erarbeiten wir in 49 Tagen so viel Nationaleinkommen wie im gesamten Gründungsjahr der DDR.
[Musik]
[zwei aufeinander folgende Signaltöne]
[Sprecher 2:] Das alles konnte der Imperialismus nicht verhindern, obwohl er größte Anstrengungen unternahm, um die Erfüllung unserer ökonomischen Ziele unmöglich zu machen. Ein Beispiel dafür war das im Ergebnis tschekistischer Arbeit entlarvte, umfassende Sabotageprogramm zur Unterminierung des ersten Fünfjahrplanes der DDR.
[Signalton]
[Sprecher 2:] Bei all diesen Machenschaften spielten, neben den Geheimdiensten, die Konzerne eine entscheidende Rolle.
[Sprecher 1:] Unter anderem versuchten sie, anknüpfend an ihre Praktiken aus der Zeit vor 1949 in den Volkseigenen Betrieben personelle Stützpunkte zu schaffen beziehungsweise zu halten und auszubauen.
[Sprecher 2:] Eines der dabei angewandten Mittel war die Zahlung sogenannter "Treuegelder" an ehemalige Arbeiter und Angestellte des betreffenden Unternehmens.
[Signalton]
[Sprecher 1:] Ein Beispiel für den Wirtschaftskrieg der Konzerne wurde Ende 1950 im Bernburger Solvay-Prozess der Öffentlichkeit sichtbar gemacht.
[Sprecher 2:] Die angeklagten Konzernagenten hatten den wirtschaftlichen Aufbau sabotiert. Durch vorsätzliche Erhöhung der Produktionskosten, Erschleichung nicht gerechtfertigter, staatlicher Subventionen, Stilllegung wichtiger Fabrikationszweige, hintertreiben der Forschung, Wirtschaftsspionage und Schiebergeschäfte.
[Sprecher 1:] Insgesamt schädigten sie unsere Volkswirtschaft um mehr als 100 Millionen Mark.
[Sprecher 2:] Die Konzerne und die imperialistischen Geheimdienste haben auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nichts unversucht gelassen, unsere Wirtschaft systematisch zu stören. Um damit nicht nur die gesellschaftliche Entwicklung der DDR zu torpedieren sondern auch die internationalen Positionen unseres Staates zu schwächen.
[Signalton]
[Sprecher 2:] Dabei versuchten und versuchen sie, die sich im Ergebnis des Entspannungsprozesses normalisierenden Beziehungen zwischen den sozialistischen und den kapitalistischen Ländern skrupellos zu missbrauchen.
[Signalton]
[Sprecher 1:] So betrieben die von uns überführten Agenten Hüttenrauch und Latinsky unter dem Deckmantel normaler Handelstätigkeit unter anderem:
[Sprecher 2:] Spionage, die sich nicht nur gegen die Volkswirtschaft der DDR, sondern auch gegen deren Handelspartner richtete. Sabotagehandlungen zum Beispiel durch die Lieferung von Anlagen mit eingebauten Störquellen, nachrichtendienstlicher Ausforschung und Abwerbung von DDR-Spezialisten.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."