[Jingle]
Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo und willkommen zu einer neuen Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt, die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und hier Gastgeberin des Podcast zusammen mit Maximilian Schönherr, Radio-Journalist, Autor und Archiv-Enthusiast.
Maximilian Schönherr: Unser Thema in dieser 31. Folge hat mit dem § 219 des DDR-Strafgesetzbuchs zu tun: "Ungesetzliche Verbindungsaufnahme". Dazu gehörten Hörerbriefe an West-Sender wie den RIAS Berlin, die ARD-Rundfunkredaktionen oder das deutschsprachige Programm der BBC in London. Wer an diese vom DDR-Regime als kapitalistisch-revanchistisch gebrandmarkte Häuser schrieb, nahm nach § 219 Verbindung mit Feinden der DDR auf und beging damit eine Straftat. Um diese Kommunikation von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern mit dem vermeintlich feindlichen Radiosender BBC geht es heute in unserem Gespräch über das Buch und die Ausstellung "Briefe ohne Unterschrift".
Dagmar Hovestädt: Das war ein ganz schön volles Wortkonvolut. Kapitalistische, revanchistisch, gebrandmarkte Redaktion, nicht schlecht.
Maximilian Schönherr: Ich hab oft DDR-Rundfunk gehört. Ich kenn das.
Dagmar Hovestädt: Ach du kennst deine Vokabeln aus der DDR Zeit
Maximilian Schönherr: Ich kenn die Vokabeln, genau.
Dagmar Hovestädt: Dann Lass uns kurz das Verständnis von Medien im geteilten Deutschland damals vor 1989 skizzieren. In der DDR war die Presse von der Staatspartei SED angeleitet und kontrolliert. In diesen Medien gab es also keinen offenen Austausch über Gesellschaft oder Konflikte oder gar Kritik an der Partei selber. Alternativen dazu standen unter Strafe. Wegen der streng bewachten Staatsgrenze zum Westen gelangten auch kaum Zeitungen oder Zeitschriften aus der Bundesrepublik über die Grenze, die vielleicht einfach mal ein anderes alternatives Bild gezeichnet hätten. Aber Radio- und Fernsehwellen ließen sich eben nicht aufhalten durch die Mauer und wurden im Osten viel genutzt. Offiziell war es natürlich nicht gern gesehen und in den 1950er Jahren auch verboten, West-Fernsehen und -radio zu empfangen.Die Wahrnehmung von Partei und Stasi war davon geprägt, dass hier der "kapitalistische Feind" seine Propaganda verbreitet in diesen West-Medien, und das musste unterbunden werden. Wenn man selbst die Medien weitgehend nur als verlängerte Parteischulung begreift, wie das in der DDR üblich war, fehlt eben die Erkenntnis über den Streit der Meinungen in einer offenen Gesellschaft. Dann kann man sie nur als Propaganda sehen – und wenn man sie als Ausdruck demokratischer Rechte sieht, werden zur Gefahr für den Status Quo.
Maximilian Schönherr: Die BBC in London strahlte über Kurz- und Mittelwelle eine Reihe von regelmäßigen Sendungen in deutscher Sprache aus. Im 2. Weltkrieg war das eine verlässliche Quelle von Informationen, die der Propaganda des Nazi-Regimes etwas entgegen setzte. Nach der Gründung der DDR 1949 fiel der Redaktion auf, dass sich zunehmend Bürgerinnen und Bürger per Brief zu Wort meldeten, um ihrem Frust über die Verhältnisse im so genannten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat Luft zu machen. Aufgrund dessen entstand in London die Sendung "Letters without signature", so hieß sie im Haus, also "Briefe ohne Unterschrift".
Dagmar Hovestädt: Dies ist der Titel eines Buchs von unserem heutigen Gast, Susanne Schädlich, die Du ja gleich noch vorstellen wirst. Aus dem Buch entstand eine Ausstellung – auch darüber sprecht Ihr. Den selben Titel trägt eine Ausstellung, die jetzt im Frankfurter Museum für Kommunikation zu sehen ist, pandemiebedingt vorerst nur im Internet. Du, Maximilian, kennst aber das Museum in Frankfurt?
Maximilian Schönherr: Schon. Aber nicht so richtig gut, viel besser kenne ich das Archiv und insbesondere das Depot des Kommunikationsmuseums in Heusenstamm, einem kleinen Ort südlich von Hanau. Wir hatten im Deutschlandfunk einmal ein Rätselspiel. Diese Form ist dem Sender eigentlich fremd, also Rätselspiele, aber an Adventssamstagen kann man das schon mal machen. Jedenfalls mussten die Hörer und Hörerinnen unter anderem den Hebdrehwähler erraten. sagt dir das was?
Dagmar Hovestädt: Nein, Hebdrehwähler? Nein?
Maximilian Schönherr: Das ist ein Objekt aus der Telefonvermittlungsgeschichte. Also als die Fräulein vom Amt ersetzt worden durch die erste Technik. Um das zu recherchieren, fuhr ich ins Depot nach Heusenstamm und kam seitdem öfter wieder dahin. Jedenfalls kam der Tipp, mir doch mal die "Briefe ohne Unterschrift" in der Ausstellung anzusehen, von dort.Ich wusste, dass es die Sendung gab, aber ich wusste nicht, dass die Autorin und Journalistin Susanne Schädlich darüber ein Buch geschrieben hatte. Von ihren Erfahrungen handelt diese Folge des Podcasts heute.
Dagmar Hovestädt: Woher wusstest du denn, dass eine Sendung mit dem Namen existierte? Die wurde doch ungefähr Mitte der 1970er Jahre eingestellt?
Maximilian Schönherr: Jetzt muss ich ein bisschen angeben. Ich kenne mich mit der BBC Geschichte ein bisschen aus. Also ich war da oft und ich hab adequarisch ziemlich viel, eigentlich ziemlich wenig Geld, aber in heute ziemlich teure Bücher investiert. Die sogenannten "BBC Year Books" also die Jahresbücher sind wirklich sehr tiefgehende, oft sehr technische, aber eben auch medial sehr interessante Bücher und ich glaube, da ist das erste Mal dieses Wort über den Weg gelaufen, also das es diese Sendung gibt. Außerdem habe ich die deutsche Abteilung mal besucht, ich glaube einfach so. Das ist nördlich vom Oxford Circus gewesen, also wo die Touristen sowieso immer gern hingehen.
Dagmar Hovestädt: Genau, daran kann ich mich sogar noch auch erinnern. Das war so ein schönes herrschaftliches Haus in so einem Marmorweiß in so einem Sandsteingebäude.
Maximilian Schönherr: Genau, das ist das Broadcasting House und es nicht das Bush House von dem in unserem Podcastgespräch kurz die Rede ist. Bush House ist die Zentralredaktion befindet sich näher an der Themse.
Dagmar Hovestädt: Na, jedenfalls hat die BBC nicht sonderlich gut auf die Mitschnitte der Sendungen aufgepasst. Es gibt diese im Archiv der BBC nämlich nicht mehr. Aber-
Maximilian Schönherr: Woher weiß du das?
Dagmar Hovestädt: Na ja, das weiß ich von der Dame, die das im Museum in Frankfurt ausstellt, weil das hat sie im Interview dazu erzählt.
Maximilian Schönherr: Die hätten das gerne gehabt und fanden nichts.
Dagmar Hovestädt: Ja genau, also das war ja jemand oder war es die Ausstellung hier in Berlin. Wir haben ja online ein bisschen Werbung für die Ausstellung gemacht und in einem Interview hat sie das erwähnt, weil natürlich die Museumsausstellung gerne Hörbeispiele anbieten wollte und dann hat sie gesagt, dass die dort nicht mehr vorhanden sind. Natürlich die Briefe selber schon noch, aber nicht mehr die Mitschnitte der Sendung. Aber-
Maximilian Schönherr: -auf die Stasi ist ja Verlass.
Dagmar Hovestädt: Wollt ich gerade sagen, hier hat die Sammelwut der Stasi ausnahmsweise mal etwas Positives bewirkt. In unserem Archiv heute liegen tatsächlich noch einige Mitschnitte. Vor allem aus der Endphase, späte 1960er und frühe 1970er Jahre.Jedenfalls habe ich einen kurzen Ton mitgebracht, damit Sie sich die Sendung und den Moderator akustisch besser vorstellen können:
[Einspieler]
[Moderator:] Briefe erreichen uns über folgende Adressen: Oskar Maser, Oskar Maser 1 Berlin 52, Narkurstraße 16 oder Norbert Feldtmann 1 Berlin 31 Kalischer Straße 5.Und nun kommentiert aus dem Harrison "Briefe ohne Unterschrift":
[Sprecherin:] Ich musste zu meinem großen Bedauern feststellen, dass unser Mr. Harrison vorige Woche kein Wohlbefinden aufweisen konnte. Er ist stark erkältet. Diese Sendung fiel ihm bestimmt schwer. Ich wünsche von Herzen eine gute Besserung. Zum neuen Jahr begleiten diese Zeilen alles Liebe und Gute und sehr herzliche Grüße.
[Mr. Harrison:] Sie haben Recht natürlich. Ich hatte eine leichte Kehlkopfentzündung. Kennwort Passion schreibt:
[Sprecher:] Sie sagten einmal als Kommentar zu einem Hörerbrief: "Sozialismus müsse demokratisch sein". Der russische Sozialismus hat aber mit Demokratie wirklich kaum etwas zu tun, denn er ist die Herrschaft des Proletariats und eine absolute Diktatur in der jede freiheitliche Regung gleich unterdrückt wird. Auch die geringste liberale Regung wird augenblicklich niedergeknüppelt. Man behandelt uns wie dumme geistesschwache Menschen und wagt jemand eine eigene Meinung zu äußern, wird er in eine Irrenanstalt gesperrt.
[Sprecher 2:] Das stimmt schon, wenn Sie sagen, dass der sowjetische Sozialismus mit Demokratie kaum etwas zu tun hat. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass die Herrschaft des Proletariats ist. Das Proletariat hat ganz einfach zu tun, was ihm befohlen wird. Das Proletariat wird nicht im Wege von Wahlen um seine Meinung befragt und es kann auch seine Meinung nicht durch wirklich freier Gewerkschaften oder durch die Presse und dem Rundfunk äußern. Ich glaube aber doch, dass sich in der UdSSR der Beginn einer Bewegung feststellen lässt, die größere Freiheiten für den Einzelnen verwirklichen will. Man braucht ja nur an Sacharow und [unverständlich] zu denken. Natürlich mag es sehr lange dauern eher einzelnen Menschen in Osteuropa viel Freiheit gewährt wird, aber diese Bewegung bestätigt doch offenbar, was ich wiederum gesagt habe, dass nämlich eine solche Bewegung in der UdSSR nicht sonst wo in Osteuropa beginnen muss. Der tragische Fall der Tschechoslowakei hat dies bewiesen. Aber weiter mit dem Hörerbrief.
[Einspieler Ende]
Maximilian Schönherr: Susanne Schädlich hat, wie wir hören werden, zwei Archive für ihr Buch genutzt, und diese umfangreichen Recherchen führten dann zu der aktuellen Ausstellung. Das Archiv der BBC in Reading, westlich von London und das Stasi-Unterlagen-Archiv.
Dagmar Hovestädt: Und in unserem Archiv gibt es zahlreiche von der Stasi geöffnete und damit abgefangene Briefe von DDR-Bürgern an die BBC. Es wäre sicherlich ein interessantes Forschungsprojekt herauszufinden, wie viele dieser abgefangenen Briefe dann auch zu den Urhebern geführt haben und dann vielleicht sogar auch zu Verhaftungen geführt haben, denn nicht jeder hat dann mit seinem echten Namen oder seiner echten Adresse geschrieben, das hat dann schon ein bisschen Aufwand dann bedeutet, die wirklich zu finden. Aber in ihrem Buch erzählt Susanne Schädliche von einigen nach § 219 "Ungesetzliche Verbindungsaufnahme" verurteilten Menschen, auch von einem Schüler, der dann 2 Jahre im Gefängnis saß, weil er diese Briefe geschrieben hat. In der Ausstellung ist auch einiges dazu konkret mit Faksimiles dokumentiert.
Maximilian Schönherr: Susanne Schädlich hat eine sehr interessante Biografie, die quasi die Vorgeschichte zu diesem Buch war. Darum geht es aber erst in unserem zweiten Teil in diesem Podcast-Gespräch.Ihr Vater solidarisierte sich mit Wolf Biermann, dem DDR-kritischen Liedermacher, der bei einer Konzertreise im Westen aus der DDR ausgebürgert wurde. Das führte über mehrere Umwege und viele Schikanen zur Ausreise der Schädlich-Familie nach Westberlin. Ich frage Susanne Schädlich an einer Stelle, wer die Ausreise finanziert hat, darauf reagiert sie irritiert, und ich ging nach unserer Aufnahme der Sache nach. So war ich darauf gekommen: Ihr Vater schrieb in einem Text 1992 folgendes, Zitat:
"Einer, dem die staatliche Partei das Wollen hatte zukommen lassen, wollte, dass ich hinter Gittern verschwinde. Aber mit Geld geht alles besser. Mit Geld, auswärtigem, ging es. Ich ging, weil ich gehen wollen musste, über die Grenze. Jetzt war ich ein auswärtiger Einheimischer", Zitat Ende.
Ich habe diese Passage so interpretiert, dass da West-DM geflossen waren. Dem war aber offenbar nicht so. Es gab starke Unterstützer in der BRD, unter anderem Günter Grass und Günter Gauss. Das wollte ich anmerken, damit es zu keinen weiteren Irritationen kommt.
Dagmar Hovestädt: Na mir ist das gar nicht so sehr aufgefallen, also ihr Vater war ja ein bekannterer Autor und Schriftsteller und dass es sozusagen als eine irritierende Frage war. Aber die Frage nach dem Geld, danach, ob man wegen Geld geht oder Geld bekommen hat für etwas, ist ja nie ganz ohne und da finde ich gut, dass du das im Vorfeld nochmal klar stellst.
Maximilian Schönherr: Hans Joachim Schädlich hat ganz gut durch sein kurz vor der Ausreise 1977 bei Rowohlt erschienenes Buch "Versuchte Nähe" verdient, aber diese Einnahmen, hat er jetzt gesagt, standen bei der Ausreise noch nicht zur Verfügung. Also es war offenbar wirklich Einfluss durch den Westen, viele Schikanen gegen die Familie, aber keine D-Mark, die da geflossen sind.
Dagmar Hovestädt: In der Zeit war zudem der Gang von Ost nach West, gerade wenn man auch etwas prominenter war, immer ein Politikum und auch eine Story im Kampf der Systeme, wenn man das so sagen möchte. So oder so: Die Geschichte der Familie Schädlich wäre eine ganz eigene Podcast-Folge wert. Dann lass uns starten: Briefe ohne Unterschrift, mit Susanne Schädlich.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Ich spreche mit Susanne Schädlich, die ist geboren 1965 in Jena. Können Sie sagen, Frau Schädlich, wo Sie gerade sind? Ich sage mal kurz, wo ich bin. Ich gucke auf den Kölner Dom von meinem Büro aus. Und ich nehme das für mich auf, meine Seite, und Sie nehmen Ihre Seite mit Ihrem Smartphone auf. Wo sind Sie denn gerade?
Susanne Schädlich: Ich sehe gerade in eine hügelige Landschaft in der Oberlausitz. Aus einem Landhäuschen, also aus dem Fenster sehe ich eine hügelige Landschaft mit Häusern. Leicht bewölkt, würde ich sagen. Ein Hoffnungsschimmer auf Frühling erkennbar.
Maximilian Schönherr: Und können Sie die Oberlausitz mal eingeografieren für jemanden, der – sagen wir mal – Mittelfranken kommt?
Susanne Schädlich: Aber klar. Die Oberlausitz befindet sich im Dreiländereck zu Polen und Tschechien und die nächst größeren Städte, die sind Zittau, Görlitz und Bautzen. Da in der Ecke befinde ich mich.
Maximilian Schönherr: Mhmh, gut. Ich mische die beiden Gesprächsteile so zusammen, dass Sie, liebe Hörer und Hörerinnen, sie dann so hören, als würden wir in einem Raum sitzen; aber wegen der dritten Covid-19-Welle, Corona-Welle können wir das eben nicht. Ja.Dann wollen wir mit unserem Gespräch mal anfangen. Es gibt eine Ausstellung im Moment [Susanne Schädlich brummt zustimmend], die man natürlich Corona-bedingt nicht besuchen kann, aber online ist sie sehr gut aufgestellt. Sie ist im Museum für Kommunikation in Frankfurt, läuft bis September 2021 und die heißt "Briefe ohne Unterschrift". Diese Ausstellung gab es vorher schon. In Berlin war es auch im Kommunikationsmuseum?
Susanne Schädlich: Genau, war auch im Museum für Kommunikation in Berlin.
Maximilian Schönherr: Das geht auf Ihre Recherchen zurück, diese Ausstellung, richtig?
Susanne Schädlich: Das geht nicht nur auf die Recherchen zurück, sondern es geht direkt auf das Buch zurück, das ich zu dem Thema geschrieben habe, mit gleichnamigem Titel "Briefe ohne Unterschrift. Wie eine Radiosendung der BBC die DDR herausforderte." So heißt das etwas holprig im Untertitel. Ich hatte eine Lesung in Frankfurt, vor zwei, drei Jahren. Anschließend saß ich mit den Veranstaltern der Lesung in einem wunderbaren Restaurant. Es war heiß, es war Sommer – da konnte man noch draußen sitzen! Und die Idee kam auf, dass es doch das Thema sei für ein Museum der Kommunikation in Frankfurt. Wie es der Zufall wollte ist dann die Ausstellung aber erst nach Berlin gegangen, weil die zuständige Person von Frankfurt nach Berlin gegangen ist, die dann das ganze angeleiert hat.
Maximilian Schönherr: Die Kuratorin?
Susanne Schädlich: Frau Regine Meldt. Nee, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Maximilian Schönherr: Mhmh, okay.
Susanne Schädlich: Ich glaube auf eigenen Wunsch ging die nach Berlin in das Museum dort, hat das dort Frau Schaluschke, der Direktorin des Museums, vorgeschlagen und die war sofort Feuer und Flamme. So wurde das letztendlich eine Ausstellung.
Maximilian Schönherr: In der Ausstellung sieht man viele, viele Briefe, die DDR-Bürger und -Bürgerinnen an die BBC geschrieben haben. Über welchen Weg werden wir nachher, glaube ich, noch besprechen.
Susanne Schädlich: Ja.
Maximilian Schönherr: Wie sieht das rechtlich aus? Mussten Sie das klären, dass quasi diese Sachen aus dem BBC-Archiv in eine deutsche Ausstellung kommen dürfen?
Susanne Schädlich: Nee, das musste ich nicht klären. Also, a) war das natürlich schon im Vorfeld halbwegs geklärt, dadurch, dass ich ja, als ich das Buch schrieb, Auszüge aus Briefen im Buch veröffentlich habe, ne? Und das hat natürlich dann der Verlag geklärt. Wobei gesagt werden muss, dass natürlich auch die BBC kein Urheberrecht an diesen Briefen hält. Das Urheberrecht liegt bei den Schreibern der Briefe, die ja – da greife ich jetzt wahrscheinlich vor – anonym geschrieben haben. Daher auch der Name der Sendung "Briefe ohne Unterschrift". Sie haben sich Decknamen gegeben und es ist unglaublich schwer, Briefeschreiber die anonym geschrieben haben, zumal auch noch vor 20, 30 Jahren und noch länger her, zu ermitteln.
Maximilian Schönherr: Diese Sendung in der BBC lief im deutschen Programm. Das heißt, das war ein Programm, das war rundum in deutscher Sprache. Das wollte man eigentlich nach dem Nationalsozialismus, nach dem Zweiten Weltkrieg abschaffen, aber es blieb dann. Und die Sendung "Briefe ohne Unterschrift" lief einen erstaunlich langen Zeitraum, nämlich 1949, das war die Gründung von BRD und DDR, bis 1974. Und die Hauptfigur, die das initiiert und über viele Jahre moderiert hat war Austin Harrison. Den haben Sie nicht mehr kennengelernt.
Susanne Schädlich: Nee, den hätte ich gerne kennengelernt. Das ist eine sehr schillernde, interessante Figur. Der starb 1981, circa sechs Jahre nachdem er sich von dieser Sendung zurückgezogen hatte. Das war einfach ein aufregender Mensch: ein Intellektueller, der hat an die europäische Idee geglaubt, er sprach fließen Deutsch und hat sich für Freiheit und Demokratie eingesetzt und lief natürlich – das macht es besonders spannend – auch immer unter dem Fragezeichen: war er Agent oder Journalist? [lacht leicht]
Maximilian Schönherr: Mhmh. War er mutig? Denn er ging ja immer wieder in die DDR.
Susanne Schädlich: Er war auch mutig. Allerdings, glaube ich, auch Angst los. Und er hat das alles, also auch die DDR, das kann man den Akten entnehmen, mit diesem typisch britischen Humor genommen oder beziehungsweise typisch britisch nicht ganz ernst genommen. Insofern wahrscheinlich auch die Gefahr, der er zuweilen ausgesetzt war, auch das kann man den Akten entnehmen, sich dieser Gefahr nicht bewusst oder er hat sie einfach nicht ernst genommen.
Maximilian Schönherr: Aber es ist ihm nie richtig etwas passiert, anders als manchem Kollegen.
Susanne Schädlich: Nee, ihm ist nichts passiert.
Maximilian Schönherr: Ja.
Susanne Schädlich: Es gab den Plan ihn zu verhaften, in den späten 50er Jahren. In dem Jahr, in dem er verhaftet werden sollte – so weit ich mich erinnere war das 1958 oder '59 – hat das MfS ihn nicht verhaften können, weil er zufälliger Weise nicht in die DDR eingereist war. Auch das machte er mindestens zwei Mal im Jahr zu Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse. Und als er dann wieder einreiste, '61, da wollte das MfS doch lieber von einer Verhaftung absehen anlässlich des gerade von statten gegangenen Mauerbaus.
Maximilian Schönherr: Mhmh. Haben Sie einen Lieblingsbrief bei den vielen Briefen?
Susanne Schädlich: Na ja, es gibt ganz viele Briefe, die sehr, sehr interessant sind, weil sich die Schreiber aus ganz vielen Bevölkerungsschichten zusammensetzten und eben auch aus ganz vielen Altersgruppen Briefe geschrieben wurden. Da gibt es auch sehr witzige Briefe. Ich habe keinen Lieblings-Lieblingsbrief, aber ich habe jetzt mal einen ausgesucht, der stammt aus dem Jahre 1970, also relativ spät geschrieben für die Geschichte dieser Sendung, von einem 16-jährigen Mädchen und ich finde den sehr eindringlich, deshalb habe ich den ausgesucht.
Maximilian Schönherr: Wissen wir, wer sie ist?
Susanne Schädlich: Nein, das wissen wir nicht.
Maximilian Schönherr: Das heißt, die Stasi hat die Schreiberin auch nicht identifizieren können wie ja in manchen anderen Fällen.
Susanne Schädlich: Nein. Der Brief erreichte die BBC. Die, die die Stasi überführt hat, waren meistens – also waren eigentlich nicht meistens, sondern – immer Schreiber, deren Briefe vom MfS abgefangen wurden.
Maximilian Schönherr: Und es wurden keine Briefe abgefangen und trotzdem weitergeschickt, oder?
Susanne Schädlich: Also darüber habe ich keine Kenntnis.
Maximilian Schönherr: Okay. Also jetzt lesen Sie von dem Mädchen war vor, richtig?
Susanne Schädlich: Genau, das lese ich jetzt mal vor.
Maximilian Schönherr: Okay, gerne!
Susanne Schädlich: Dieser Brief erreichte Harrison am 16. April 1970 und sie schrieb – ich sag dazu, dass natürlich Auszüge aus den Briefen verwendet wurden im Buch:"Ich habe nämlich einen Berufswunsch, der zurzeit in der Volkswirtschaft nicht so notwendig gebraucht wird. Dann wird aus mir eben etwas anderes gemacht. Ich möchte an meinem späteren Beruf einmal Freude haben und etwas leisten können. Die Berufswahl ist so ein wichtiger Schritt. Der gesamte Verlauf des weiteren Lebens entscheidet sich doch damit. Aber ich kann diesen Schritt nicht allein tun. Was gibt mir auch das Recht dazu? Schließlich hat der Staat mich ausgebildet und da bin ich ihm gegenüber verpflichtet. Manchmal will mir das einfach nicht in den Kopf, aber um das alles zu verstehen fehlt mir wahrscheinlich das Nötige Klassenbewusstsein. Zur erweiterten Oberschule bin ich ja doch auch nur gekommen, weil ich in der Schule was verstanden habe. Vor allem aber, weil ich es verstanden habe, in gewissen Situationen gewissen Leuten nach dem Mund zu reden, beziehungsweise zu schweigen. Ich finde das selbst von mir charakterlos, aber was soll ich machen? Wir werden ja zur Lüge erzogen. Manchmal kann ich Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden. Die ganze Welt ist verlogen und die ganze Politik besteht nur im wetteifern von Lügen. Hat das Leben da überhaupt noch einen Sinn?"
Maximilian Schönherr: Heftig.
Susanne Schädlich: Ja, vor allem für so ein junges Mädchen, ja.
Maximilian Schönherr: Mhmh. Wie hat sie unterschrieben?
Susanne Schädlich: Ehrlich gesagt habe ich dieses Kürzel nicht ins Buch aufgenommen.
Maximilian Schönherr: Okay.
Susanne Schädlich: Aber man kann andere Kürzel nennen, die verwendet wurden.
Maximilian Schönherr: Mhmh, zum Beispiel?
Susanne Schädlich: Zum Beispiel "Faust". Zum Beispiel- -
Maximilian Schönherr: "Büchner".
Susanne Schädlich: "Büchner". Zum Beispiel "Klein Liesel aus Bautzen" – wenn wir schon mal in der Gegend sind. [Maximilian Schönherr brummt zustimmend] Oder "Prima Obst" oder "The Prince Peace Ulbricht, auch "Tintenfisch" gab's. Es gab unglaublich viele Kürzel.
Maximilian Schönherr: Was stand denn als Absender typischer Weise auf so einem Briefkuvert drauf? Keiner?
Susanne Schädlich: Entweder keiner, fingierte oder, wenn jemand nicht auf die Warnung des Sprechers der Sendung, nämlich Austin Harrison, gehört hatte, eben der eigene. Ja, vielleicht kann man das direkt vorausschicken: Die BBC oder in der Sendung wurden Adressen genannt, an die die Hörer Briefe schreiben konnten.
Maximilian Schönherr: Savignyplatz, zum Beispiel, ne? In der Gegend?
Susanne Schädlich: Na ja, das war das Büro der BBC, genau.
Maximilian Schönherr: Kantstraße?
Susanne Schädlich: Am Savignyplatz, in der Kantstraße in West-Berlin, dahin wurden die Briefe nicht geschickt, sondern an fingierte Adressen in West-Berlin. Die wurden in der Sendung genannt. Die wechselten zwei Mal wöchentlich, damit die Hörer wussten, wohin sie überhaupt schreiben sollten, wurden diese Adressen genannt in der Sendung.
Maximilian Schönherr: Und zwar ganz offen als die Adresse, wo man es hinschicken sollte.
Susanne Schädlich: Ganz offen, genau. Die Postämter in West-Berlin waren von diesen Adressen in Kenntnis gesetzt von der BBC oder durch das Berliner Büro der BBC am Savignyplatz und hat diese Briefe gesammelt. Die wurden dann gesammelt an das Büro am Savignyplatz getragen und von dort per Kurier nach London verfrachtet. Die Briefeschreiber sollten – auch das wurde des Öfteren in der Sendung gesagt – möglichst wenig Hinweise auf ihre Identität in ihren Briefen geben. Also sei es, dass sie schrieben, wo die arbeiten oder wo sie zur Schule gehen, ländliche Gegenden beschreiben oder so – bloß nur ja nichts, damit die Stasi in irgendeiner Weise auf sie aufmerksam werden konnte. Also diese Warnung gab es auf jeden Fall. Und wenn jemand dann trotzdem mit seiner eigenen Adresse hinten das Kuvert vermerkte, das wäre dämlich gewesen.
Maximilian Schönherr: Dieser Brief war also einer, der durchging, der nicht in die Fänge des Ministeriums für Staatssicherheit geriet. Ich habe in Ihrem Buch gelesen, dass selbst modern anmutende Tests stattfanden. Also zum Beispiel Blutgruppe beim Schließen des Kuverts, also eine Speichelprobe quasi, und da kriegt man dann raus, es war Blutgruppe B meinetwegen und es [betont: könnte] dann der oder die gewesen sein.Ich habe jetzt ein Beispiel aus Ihrem Buch von einem Schüler, der sehr emsig auch noch als 17-jähriger schreibt und der dann wirklich verhaftet wurde. Über ein sehr interessantes Verfahren, weil die Stasi – das schreiben Sie sehr deutlich, auch mit vielen Originalzitaten aus den Briefen und aus den Akten – weil man dann auf die Idee kam, es war diese Oberschule.
Susanne Schädlich: Ja.
Maximilian Schönherr: Und dann ließ man einfach die mal so eine Hausaufgabe schreiben und machte dann, gut getarnt quasi, mit diesem Hause einfach mal eine Hausaufgabe. Und damit machte man einen Handschriftenvergleich. Und im Handschriftenvergleich war die DDR spitze, denn es gab ein Institut in Potsdam, Juristische Fakultät, richtig einen Lehrgang, der sich damit beschäftigt hat.Das habe ich jetzt wiederum vor längerer Zeit mal recherchiert und da habe ich mich immer gewundert, warum die Handschriftenerkennung so wichtig ist. Aber hier ist die wichtig. Also Beispiel Buchstabe A: "Der Grundstrich und die Abschlusschleife sind durch einen rechtswendigen Aufstrich miteinander verbunden." – also, das ist wirklich… [beide lachen leicht] bizarr. Das steht in Ihrem Buch.Ja. Wie kamen die Briefe von der Deckadresse in West-Berlin nach England. Sie haben gesagt per Kurier? Und wohin kamen sie dann in England, wurden die mit dem Laster gefahren oder war das jetzt die geheime Post oder war das im Westen eh dann offen?
Susanne Schädlich: Na ja, also die wurden von den Postämtern – das weiß ich jetzt nicht genau, das war nicht zu ermitteln, ja, ob da jemand von dem Savignybüro an die Poststelle gegangen ist in West-Berlin oder das Postamt, wo diese Briefe gesammelt wurden oder ob das Postamt, das jeweilige, dann eben diese Briefe gesammelt zum Savignyplatz getragen hat. Also jemand vom Postamt, ein Vertrauter. [Maximilian Schönherr brummt zustimmend] Eins aber ist nachweisbar: Die haben diese Briefe dann vom Savignyplatz mit einem englischen Mitarbeiter des BBC oder wahrscheinlich auch von der Armee oder irgendwelchen Alliierten, der britischen Alliierten, mit den Briefen nach London geflogen und die gingen dann direkt zum Sender.
Maximilian Schönherr: In London? Im Bush House?
Susanne Schädlich: In London, genau.
Maximilian Schönherr: Oder am Oxford- -
Susanne Schädlich: Ins Bush House. Nee, nee, ins Bush House.
Maximilian Schönherr: Ins Bush House, okay.
Susanne Schädlich: Und dort wurden die dann in der Redaktion von Harrison und seinen Mitarbeitern gelesen, ausgewertet. Es wurden ja auch nicht alle Briefe verwendet, ne, die haben dann schon nochmal ausgesucht: was eignet sich, was eignet sich nicht. Und dann haben die sie halt verwendet.
Maximilian Schönherr: Haben Sie den Eindruck gehabt, dass ausreichend Briefe ankamen über die vielen Jahre?
Susanne Schädlich: Na ja, also ich hatte den Eindruck, dass am Anfang – also auch '49, da hieß die Sendung ja auch noch gar nicht "Briefe ohne Unterschrift". Das war damals noch der so genannte "Funkbriefkasten " und die Briten wollten an dieser Art und Weise des Sendens festhalten, weil sie sehr schnell gemerkt haben, dass unglaublich viele Briefe aus der noch damaligen bestehenden sowjetischen besetzten Zone, kurz SBZ, kamen. Und das auch von dort schon Leute schrieben, sie wollen lieber ihren Namen nicht verwenden, ne, und dass sie das Gefühl hatten - diese Art und Weise des Sendens ging ja auf '38 zurück, also dieser deutsche Dienst wurde ja '38 eingerichtet während er Nazizeit. Und da kamen dann Exilanten zu Wort und es wurde gegen die Nazis viel geredet und Leute die in Deutschland BBC hörten – das war ja auch verboten damals unter der Naziherrschaft BBC zu hören – und diese Kultur der Aufklärung wollten die Briten halt auch nach dem Krieg weiter betreiben, als sie merkten, aus der SBZ kommen unheimlich viele Briefe. In der ersten Zeit der SBZ und dann auch der ersten Zeit der DDR kamen sehr, sehr viele Briefe. Vor allen Dingen zu bestimmten historischen Ereignissen, sprich 1956 als der ungarische Aufstand stattfand. 1953 der Aufstand in der DDR- -
Maximilian Schönherr: 17. Juni.
Susanne Schädlich: Genau, 17. Juni oder 1961 nachdem die Mauer gebaut war oder auch davor schon, als es die ersten Anzeichen gab, dass hier irgendwas ganz Komisches stattfindet. Auch Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre noch, als die Politik sich langsam änderte unter Brandt.
Maximilian Schönherr: Ostverträge, mhmh.
Susanne Schädlich: Genau. Je ausgetüftelter die Überwachung der Post durch die Stasi wurde, desto weniger Post kam. Das nahm dann auch ab zum Ende der Sendung. A) weil die Postüberwachung besser war und B) nach der offiziellen Anerkennung der DDR. Die Leute haben halt auch gedacht: Was sollen wir hier weiterschreiben, das bringt ja eh nichts. Das war dann für sie quasi der Status Quo n Stein gemeißelt und die Hoffnung auf die Wiedervereinigung für viele der Hörer in der DDR perdue.
Maximilian Schönherr: Warum waren Sie in Reading?
Susanne Schädlich: Das ist das "Written Archive", das Archiv der BBC mit den schriftlichen Unterlagen und dort lagern diese Briefe.
Maximilian Schönherr: Das heißt, die kamen ursprünglich nach London ins Bush House.
Susanne Schädlich: Genau.
Maximilian Schönherr: Also ins Zentrum von London und dann, als die abgefeiert waren quasi, gingen sie in dieses Archiv in Reading.
Susanne Schädlich: Also ich nehme mal an, dass die erst später in das Archiv nach Reading gewandert waren. Die Sendung wurde '74/'75 eingestellt, es gab eine Nachfolgesendung unter einem anderen Namen mit einem anderen Format und ohne Austin Harrison, solange es Zuschriften gab, in welcher Form auch immer, sind die nicht alle sofort nach Reading gewandert. Also der deutsche Dienst wurde 1990 abgewickelt. Oder war es etwas später? Das weiß ich jetzt nicht, mit Jahreszahlen bin ich jetzt nicht so gut.
Maximilian Schönherr: Ja, müsste passen so ungefähr. Mhmh.
Susanne Schädlich: Ja, irgendwie. Müsste passen. Gegebenenfalls sind die erst dann dort alle hingewandert. Auf jeden Fall sind sie dort alle archiviert. Ab wann kann ich nicht sagen.
Maximilian Schönherr: Können Sie gerade mal auf Ihr Smartphone gucken, ob es brav aufnimmt?
Susanne Schädlich: Ja. Nimmt wunderbar auf.
Maximilian Schönherr: Können Sie es quantifizieren, wie viel Zeit Sie in diesem BBC-Archiv in Reading verbracht haben? Und wie viel Zeit Sie im Archiv der Stasi verbracht haben?
Susanne Schädlich: Oh! Nee, kann ich nicht.
Maximilian Schönherr: Denn Ihr Buch ist eine Mischung aus beidem. Und zwar so ungefähr 1:1.
Susanne Schädlich: Genau. Ich war zwei Mal in Reading, jeweils eine halbe Woche, und hab dann, an diesen Tagen in Reading, jeden Tag an dem ich dort war auch in diesem Archiv verbracht. Da die Zeit nur knapp bemessen war und es ein unglaubliches Konvolut an Ordnern mit diesen Briefen gibt habe ich dann dort erst mal mehr oder weniger diese Briefe überfolgen und so gescannt mit den Augen.
Maximilian Schönherr: Ja.
Susanne Schädlich: Ich durfte Fotos machen und alles, was mir interessant erschien, habe ich abfotografiert. Gelesen habe ich die dann erst als ich in Berlin war. Die Vor-Ort-Recherche, das Scannen der Briefe und dann das Abfotografieren plus dann die Lektüre in Berlin, zusammengerechnet habe ich sehr viel Zeit damit verbracht [lacht]Und was die Recherche in der BStU angeht: also ich habe, sagen wir mal, insgesamt dieses ganze Thema angefangen zu recherchieren Ende 2014 und das Buch ist 2017 erschienen. Ich habe die ganze Zeit immer wieder recherchiert. Am Anfang natürlich mehr als dann zum Ende des Schreibens hin, aber es kam natürlich auch immer wieder was Neues auf.
Maximilian Schönherr: Sind Sie dann auch in das Archiv gegangen?
Susanne Schädlich: In die BStU bin ich gegangen. Natürlich.
Maximilian Schönherr: Okay?!
Susanne Schädlich: Da habe ich die Akten zu Harrison gefunden. Die liefen unter dem Decknamen "Werfer". Da habe ich natürlich die Akten eingesehen, natürlich immer mit Erlaubnis der Betroffenen, die gefasst wurden von der Staatssicherheit, vor allen Dingen Karl-Heinz Borchardt. Und alle möglichen anderen Querakten, die zu dem Forschungsthema passten und natürlich habe ich auch unglaublich viele Akten durchforstet, in denen möglicherweise abgefangene Briefe hätten sein können. Das sind Akten, da muss man unter Schlagwort gucken – das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären, das würde zu diffizil werden.
Maximilian Schönherr: Ja, ja.
Susanne Schädlich: Also ja, mit anderen Worten: Ich habe viel Zeit dort verbracht.
Maximilian Schönherr: In Archiven verbracht, in den beiden Archiven verbracht.
Susanne Schädlich: In beiden, ja.
Maximilian Schönherr: Gab es noch ein drittes?
Susanne Schädlich: Nee.
Maximilian Schönherr: Die Staatsbibliothek oder dergleichen? Ist eigentlich nicht nötig.
Susanne Schädlich: Nee, es war vorwiegend BStU und Readingen.
Maximilian Schönherr: Und haben die beiden Archive sich ergänzt? Das sieht man in dem Buch, aber waren in den Stasi-Akten quasi Belege dafür, dass diese Briefe wirklich ein Problem waren? Zum Beispiel. Also hatte das eine das andere bestätigt? Oder gab es Widersprüche?
Susanne Schädlich: Also natürlich wurde mir klar, dass die Briefe ein Problem für die DDR waren oder für den langen Arm der Stasi, beziehungsweise für die ausführende Macht des SED-Regimes, was ja die Staatssicherheit war. Die haben diese Sendung als "Feindsendung" betrachtet, haben den Begriff tatsächlich aus der Nazizeit übernommen, was mich damals unglaublich schockiert hat! Und die Sendung als sogenannte "Hetzsendung" betrachtet und alle diese Briefeschreiber, die dort hinschrieben, als vermeintliche Feinde des bestehenden Systems. Das heißt die galt es zu verfolgen, weil sie ja Kritik äußerten, ihre freie Meinung äußerten, weil sie an den sozialistischen Grundfesten rüttelten.
Maximilian Schönherr: Ich meinte mit meiner Frage eher – also, in der Wissenschaft, wenn wir jetzt wissenschaftlich recherchieren im Stasi-Unterlagen-Archiv, dann kommt ja oft die Frage auf: Können wir diesen Akten trauen? Oft kann man diesen Akten trauen, weil nun mal die IMs zum Beispiel sehr präzise Buch darüber geführt haben, wann jemand wo aufgetaucht ist.
Susanne Schädlich: Ja.
Maximilian Schönherr: Manchmal aber stimmen diese Dinge natürlich aber aus irgendwelchen Gründen nicht. Und das war meine Frage. Also, jetzt mal ins Blaue hineingedacht: Gab es mal eine Stasi-Akte, die Sie gelesen haben, die sich auf einen Brief bezog und den Brief zitiert hat, der aber nicht wirklich so geschrieben war. Beispiel.
Susanne Schädlich: Also es gab durchaus Briefe, wo klar war, dass das wahrscheinlich jemand vom MfS geschrieben hat. Die hörten ja auch mit! [Maximilian Schönherr brummt zustimmend] Also die waren ja komplett informiert über diese Sendungen. Es gibt ja auch noch vereinzelt Aufnahmen davon. Sie wusste über die Deckadressen in West-Berlin Bescheid. Also eigentlich haben die Briten relativ transparent gearbeitet, ja.
Maximilian Schönherr: Mhmh. Sie sagen, das MfS hat mitgehört, hat diese Sendung also immer wieder eingeschaltet. Die kam wöchentlich, soweit ich das weiß, oder?
Susanne Schädlich: Die Sendung, die lief wöchentlich, immer freitags. Die wurde auch gestört, vor allen Dingen am Anfang. Am Anfang, nachdem die entstanden war. Später in den 70er Jahren dann weniger, irgendwann mussten die diese Störsender dann auch abbauen. Jedenfalls gab es da unheimlich viel Störfaktoren und es kam natürlich auch drauf an, wo man in der DDR wohnte, ja, ob man diesen Sender empfing. Viele haben das nur zufällig erreicht, plötzlich, haben am Radio gedreht und dann: Ah! Oh! "Briefe ohne Unterschrift", interessante Sendung.Und es gab dann auch Anfragen, aber das kann ich auch detailtechnisch nicht erklären, für irgendwelche Karten, die DDR-Bürger erfragten bei der BBC, um den Empfang verstärken zu können und so.
Maximilian Schönherr: Mhmh, Frequenztipps und so weiter, wahrscheinlich auch.
Susanne Schädlich: Ja, ja. Genau.
Maximilian Schönherr: In der DDR hörte man DT 64, wenn man ein [betont: bisschen] kritisch unterwegs war, das war der DDR-Jugendsender quasi. Dann hörte man gerne den Saarländischen Rundfunk – ich weiß gar nicht genau, warum. Wahrscheinlich hat der über Langwelle gesendet oder Mittelwelle. Dann hörte man den RIAS natürlich.
Susanne Schädlich: Natürlich, ja.
Maximilian Schönherr: Und den SFB. Und dann hörte man eben auch die BBC. Ist der RIAS ein Thema gewesen, was Sie flankierend immer wieder bemerkt haben? Denn an den RIAS, da wimmelte es ja noch mehr an Briefen.
Susanne Schädlich: Der RIAS hatte natürlich auch ähnliche Sendung, aber wirklich nur ähnliche Sendungen. Das Radio-Rätsel oder da wurden viele Briefe geschrieben mit Musikwünschen oder was weiß ich. Es gibt eine schöne Aussage von jemandem zu Harrison vom RIAS, der gesagt hatte: "Wir kriegen mehr Briefe als ihr, aber ihr habt die bessere Sendung", damit war Briefe ohne Unterschrift gemeint. Natürlich galt RIAS auch als Feindsender. Der war aber einfacher zu empfangen.
Maximilian Schönherr: Hatten Sie das Thema schon, jetzt komme ich auf eine ganz andere Zeit nämlich Ihre eigene Biographie, hatten Sie das schon als sie in Jena und dann später in Berlin wohnten als Kind? Gab es da das Hören von BBC? War das ein Thema bei Ihren Eltern zum Beispiel?
Susanne Schädlich: Nee, also an das kann ich mich nicht erinnern. Ich bin mir sicher, dass mein Onkel Karlheinz Schädlich BBC gehört hat, aber bei meinen Eltern kann ich mich nicht erinnern, dass die BBC gehört hätten. Die haben auch kein Englisch gesprochen, insofern haben die das nicht gehört.
Maximilian Schönherr: Aber den deutschen Dienst?
Susanne Schädlich: Nee, die haben das nicht gehört. Die kannten auch ehrlich gesagt nachdem ich auf diese drei Worte gestoßen war in den Akten "Briefe ohne Unterschrift", habe ich auch rumgefragt innerhalb der älteren Verwandtschaft: "Kennt ihr die Sendung? Habt ihr BBC gehört?" "Nee das war eigentlich nicht üblich." Die haben eher westdeutsches Radio gehört.
Maximilian Schönherr: Woher wissen Sie, dass Ihr Onkel das gehört hat?
Susanne Schädlich: Mein Onkel der war Historiker, promovierter Historiker, sein Steckenpferd war der britische Geheimdienst. Er war unglaublich anglophil und sprach fließend Englisch und hatte tatsächlich während er seine Dissertation schrieb über Kim Philby, den berühmten Doppelagenten, Kontakt zu BBC Journalisten, das war Ende der 60er Jahre in Ost Berlin und das waren die Vorgänger von Harrison. Also nehme ich ganz stark an, dass er Hörer der BBC war nicht nur in den Sechzigern sondern später auch noch.
Maximilian Schönherr: Damit wird das eine richtig tragische Familiengeschichte, das müssen wir jetzt, glaube ich, kurz erklären. Ihr Onkel war IM "Schäfer" und hat Suizid begangen 2007 und hatte auch Ihren Vater bzw. seinen Bruder mächtig ausgespäht und das war ein familiäres Debakel natürlich.
Susanne Schädlich: Ja, das kann man so sagen.
Maximilian Schönherr: Wollen wir gerade noch über Ihr Schlüsseljahr 1977 sprechen? War das ein Schlüsseljahr so zurückblickend? Oder war Ihr Weg in die USA das Wichtigere?
Susanne Schädlich: Na ja gut, das kann man vielleicht nicht ganz voneinander trennen. Das eine war natürlich eine tiefgreifende Erschütterung die Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik. Entwurzelung, Neuanfang, Orientierungslosigkeit vor allen Dingen für die jüngere Generation spricht die Kinder der ausreisenden Erwachsenen.
Maximilian Schönherr: Sie waren 12?
Susanne Schädlich: Ja genau meine Schwester 4 und wir waren eigentlich mehr oder weniger auf uns allein gestellt dann, weil die Eltern ganz andere Sorgen hatten. Dann der Schritt nach Amerika war natürlich persönlich für mich sehr wichtig, weil ich beschlossen hatte, ich kann nicht immer mein Leben bestimmen lassen von äußeren Einflüssen oder Entscheidungen der Eltern. Ich muss jetzt einen eigenen Entschluss fassen und dieses ganze Ost-West-Geschehen persönlicher Art auch mal aus der Ferne betrachten und das war natürlich unglaublich wichtig, ja.
Maximilian Schönherr: Aber Sie sind trotzdem ausgerechnet in die Stadt zurück gekommen, wo Sie herkam?
Susanne Schädlich: Ja.
Maximilian Schönherr: Warum?
Susanne Schädlich: Das war die einzig mögliche Stadt in Deutschland für mich, nachdem ich zwölf Jahre in Amerika gelebt hatte, war mir alles andere in Deutschland viel zu klein und zu homogen.
Maximilian Schönherr: Aber warum sind Sie aus den USA zurückgekommen?
Susanne Schädlich: Das hatte persönliche Gründe. [lacht]
Maximilian Schönherr: Okay, das heißt Sie haben Distanz gefunden und sind dann mit dieser gewonnenen Distanz zurückgekehrt macht Berlin.
Susanne Schädlich: Genau ins vereinte Deutschland. Ein Grund war natürlich auch das da Familie war.
Maximilian Schönherr: Sie sind Schriftstellerin und Autorin, ihr Vater ist es auch, Hans Joachim Schädlich, und ich habe eine enge Freundin, die auch schreibt und veröffentlicht und sie ist die Tochter von einem sehr berühmten, inzwischen verstorbenen, auch Autor. Sie schreibt, das merkt sie, glaube ich, jetzt erst so langsam, ihr Leben lang gegen diesen Vater an, weil der einfach so dominant und so bekannt war. Können Sie das Gefühl nachvollziehen?
Susanne Schädlich: Nee wir sind Autonome. Wir betrachten uns als autonom und wir unterstützen uns auch gegenseitig. So kann man es eigentlich sagen. Also ich schreibe nicht gegen den Vater an. Man schreibt eher gegen die Rezipients an,[lacht] das kommt ja immer auf die Leser an oder auf die Kritiker oder die Rezipienten der Literatur. Wenn die das immer so betrachten: Tochter von, Sohn von, dann ist es natürlich unglaublich schwer. Dagegen kommt man nicht an. Also mein Vater und ich, wir haben damit eigentlich keine Schwierigkeiten. Keiner schreibt gegen den anderen an.
Maximilian Schönherr: Ihr Vater hat 1992 eine vielbeachtete Erzählung veröffentlicht "Die Sache mit B.". Da geht es um sein Bruder um den IM "Schäfer" und Sie haben 2009 "Immer wieder Dezember – der Westen, die Stasi, der Onkel und ich" geschrieben. Warum diese zeitliche Distanz? Also zwei völlig verschiedene Werke natürlich.
Susanne Schädlich: Na ja also ich habe A in Amerika gelebt '92 und hab mich auch davon erstmal Gott sei Dank distanzieren können von dieser Nachricht, dass der IM war. Also unser Vater hat den enttarnt, als er in die Akten sehen konnte.
Maximilian Schönherr: Im Stasi-Unterlagen-Archiv?
Susanne Schädlich: Genau, damals noch unter Gauck. Er war ja einer der ersten in so einer Gruppe von Leuten, die als erste diese Akten einsehen durften. Nachdem die Erlaubnis bestand sie einzusehen und ich habe mich der ganzen Sache erst viel später gewidmet nachdem 2006 Artikel zu Karlheinz Schädlich erschienen waren. Nachdem Journalisten herausgefunden hatten, dass der auch Grass ausspioniert hatte. Da gibt es eine eigene Akte. Und was mich damals angestachelt hat oder auch nochmal mich umgetrieben hatte war, dass es immer nur um die Namhaften geht, die bespitzelt wurden, also die namhaften Künstler und Schriftsteller oder Bürgerrechtler, aber nie um die die auch zum Teil ausreisen mussten aus der DDR, ausgebürgert wurden und so weiter und so fort, nie aber um die Angehörigen die mitgegangen sind sprich die Töchter, Söhne oder auch Frauen und auch da war es wieder ja der Hans Joachim Schädlich, der bespitzelt wurde und so weiter und dann dachte ich: "Moment mal, der hat uns aber auch was angetan dieser Onkel.", also unserer Mutter, meiner Schwester, das war der Impuls dieses Buch zu schreiben und mich dann dieser ganzen Sache nochmal zu nähern und der Text von unserem Vater der ist natürlich sehr persönlich und ich wollte eigentlich mich der Frage nähern, warum hat er das gemacht und was tut Verrat mit den betroffenen, sprich uns, und was macht es oder wie reagieren Leute, wenn sich jemand erschießt. Dann wurde nämlich das Täter-Opfer-Verhältnis umgedreht. Wir waren plötzlich schuld. [lacht] Also das hat ja mehrere Ebenen dieses Buch.
Maximilian Schönherr: Sind Sie für dieses Buch auch noch mal ins Archiv gegangen, also ins Stasi-Unterlagen-Archiv?
Susanne Schädlich: Ja, natürlich. Er hatte sich 2007 erschossen öffentlich. Da hatte ich schon angefangen zu schreiben und nachdem er sich erschossen hatte, wollte ich unbedingt sofort alles einsehen, was auch nur irgend möglich ist, hab dann Zugang bekommen zu den Akten. Vorher hatte ich mich eher mit dem beschäftigt, die unser Vater schon hatte in Kopie. Und das kuriose ist ja auch, kann man vielleicht jetzt, da wir ja über "Briefe ohne Unterschrift" sprechen wollten, sagen, diese Quelle Karlheinz Schädlich auch zu "Briefe ohne Unterschrift" geführt. Also er war nicht nur Quelle für die IM, Sondern und das ist vielleicht das ironische an der ganzen Sache, auch für mich. [lacht]
Maximilian Schönherr: Wie wurde denn Ihr Umzug, nenne ich es mal, von Ost nach West 1977 finanziert? Wissen Sie das?
Susanne Schädlich: Wie der finanziert wurde?
Maximilian Schönherr: Ja.
Susanne Schädlich: Es wurde ein Ausreiseantrag gestellt. Hans Joachim Schädlich hat ja nach dem Biermann ausgebürgert worden war diese Petition gegen die Ausbürgerung unterschrieben, hat seine Unterschrift nicht zurückgezogen wie andere und daraufhin ist er und dann in Folge dessen auch die Familie, die nahe Familie, die Kernfamilie, in Schwierigkeiten geraten. Er verlor seine Arbeitsstelle oder auch Honorarverträge, konnte nicht mehr für die Familie aufkommen, unsere Mutter wurde unter Druck gesetzt und es blieb eigentlich nichts anderes übrig als einen Ausreiseantrag zu stellen, der zunächst abgelehnt, aber irgendwann dann auf Druck des Westen, da spielte damals Herr Gaus eine große Rolle, dem wurde stattgegeben und wir konnten ausreisen.
Maximilian Schönherr: Wenn Sie die "Briefe ohne Unterschrift" jetzt nochmal Revue passieren lassen. Die geben einen ganz tiefen Einblick in die Zeit des sogenannten Kalten Kriegs und die Vermischung zwischen Rundfunk und Geheimdiensten. Der Geheimdienst hatte sicher seine Finger irgendwo drin, aber nicht in der Form wie die DDR Ministerium für Staatssicherheit das vermutete oder konnten Sie da irgendwas klar ziehen, dass die BBC sicherlich nichts an MI6 geliefert hat oder gab es da irgendwelche Hinweise?
Susanne Schädlich: Ich habe keine gefunden. Die Vermutung liegt aber nahe, da die BBC vom Homeoffice finanziert wurde. Und dass Briefe auch vom Geheimdienst vom MI6 ausgewertet wurden, kann man vermuten, da ja des Öfteren auch in Briefen Beschreibung waren zum Beispiel von Truppenzusammenziehung um den Prager Frühling herum und so. Also wenn da solche Informationen geschrieben wurden und auch London erreichten wurde das sicherlich geheimdienstlich ausgewertet. Dass Harrison Geheimagent war, wage ich zu bezweifeln, das wurde ihm angedichtet von der Stasi, aber er war vornehmlich Journalist.
Maximilian Schönherr: Ein ganz prima Gespräch. Wollen Sie noch irgendwas wichtiges sagen?
Susanne Schädlich: Nee, eigentlich nicht, doch man kann natürlich noch hinzufügen, dass diese Ausstellung oder auch das Buch eigentlich aktueller nicht sein könnten, ja. Welche Wege muss man heute gehen um seine Meinung frei äußern zu können in Staaten die Unterdrückerstaaten sind.
Maximilian Schönherr: Achso was war Arno Hübner für ein Typ?
Susanne Schädlich: Mein Opa? Wie kommen Sie denn jetzt auf den? [lacht] Der war ein super Typ. [lacht]
Maximilian Schönherr: Das müssen wir jetzt nicht weiter erläutert, das wollte ich eigentlich nur so hören.
Susanne Schädlich: Ja, der war ein sehr, sehr, sehr guter Opa, ein Humanist, würde ich sagen.
Maximilian Schönherr: Okay.
Susanne Schädlich: Gegner des Nationalsozialismus.
Maximilian Schönherr: Und Professor für Staats- und Rechtstheorie in Jena.
Susanne Schädlich: Genau, der hat nie Einserkandidaten genommen immer die Zweier als seine Assistentin, weil er immer gesagt habt, die Zweier die haben auch noch ein anderes Interesse als nur zu streben [lacht], die waren ihm interessanter.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Sie hörten ein Gespräch mit der Autorin Susanne Schädlich über die Briefe von DDR Bürgerinnen und Bürgern an eine Radio Sendung der BBC in den 1950er bis in die 1970er Jahre. Ihr Buch trägt den Titel der Sendung "Briefe ohne Unterschrift. Wie eine BBC-Sendung die DDR herausforderte". Im Frühjahr und Sommer 2021 ist eine Ausstellung zu dem Thema im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main zu sehen. "Briefe ohne Unterschrift, DDR Geschichten auf BBC Radio"
Maximilian Schönherr: Unser Podcast endet immer mit einem akustischen Einblick in den riesigen Audiopool des Stasi-Unterlagen Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang mit dem aktuellen Podcast-Thema. Du kennst ihn schon?
Dagmar Hovestädt: Ja, diesmal habe ich vorher reingehört.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audioüberlieferung des MfS. Heute hören wir die Ausführungen von Oberst Karl Naumann als politischer Vertreter des Wachregiments Berlin zu einem nicht näher bekannten Vorkommnis im Studio Adlershof. Wichtig vor allem war immer die richtige politische Einordnung von Vorkommnissen im vielzitierten gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang unabhängig vom Umfang und Schaden. Stets besorgt um die Innen- und Außenwirkung des Wachregiments, nimmt er diese hier vor. Den Ton aus dem Jahr 1970 hören wir komplett. Er ist drei Minuten lang.
[Archivton]
[Oberst Karl Naumann:] Ausgehend von deiner Grundfrage, zu der du gesprochen hast. [unverständlich] Ich nehme unser Studio Adlershof vergangener Woche. Der schien nicht richtig gemeistert, nicht richtig gemeistert, obwohl ich ganz genau weiß, wenn die Genossen sorgfältig arbeiten und das haben sie uns über Jahre bewiesen [Störung] und falls sie sich schon dagegen leichtsinnig "bamms" geht das so, wie es -äh - einem Genossen im Studio Adlershof in der vergangenen Woche passiert ist. Nun dann ist der Schaden groß. Er brauch nicht groß zu sein, aber es ist immer drin, das eben so eine Sache große gesellschaftliche Auswirkungen hat, denn och nicht jeder Verkehrsunfall ist ja nicht so, das wa ein Scherbenhaufen wegräumen müssen, nicht oder dass man Menschen dabei zu Schaden gebracht hat. Oft sind das ja nur die sogenannten kleinen Dinge, aber damit beginnts. "Ach ist nichts passiert. Ich war ja gar nicht schuld." Und da ist das eben für viele abgetan, aber ideologisch ist da gar nüscht daran mit abgetan. Sondern wenn nicht weiter gedacht wurde, was hätte sein können bei dieser Frage, nun dann kommen da sone Geschichte raus: Für uns wird die Sache erscht interessant, wenn eener [unverständlich] hat, für uns wird die Sache erscht interessant, wenn einer tot gefahren ist, dann also möchten wa mit uns reden lassen über dieses Problem, aber sonst "Na Mensch macht doch nicht solchen Kleinigkeitskram.". Wie oft hören das, nich? Wie oft hören wir das? Auf eurem Gebiet und bei unserem Gebiet ist das genauso. Wir können eben nicht einfach sagen: "Na gut da haben die een auf der [unverständlich] nicht richtig eingestellt. Na Gott also was wird da nun passieren. Wir haben sowieso nicht alle gehört haben, die die es gehört haben, sind starr genug. Die sagen: "Na ja gut, da ist ein Fehler passiert." Nein, nein, das sagen wir nicht. Wir sagen, das ist eine ganz ernsthafte Sache, die wir prüfen müssen vom Gesichtspunkt aus. So geht das nicht mit diesem Machtmittel, was wir in dieser Beziehung euch in die Hände gegeben haben, das ist bei Kommunikation so, das ist im Nachrichtenwesen so, das ist also genauso in der Frage der Kfz-Technik, wo auch immer wollt, ist sie verbunden in dem Sinne, wo wir vorher gesagt haben: 'n Kampf [unverständlich] Gefechtsbereitschaft unseres Regiments, das ist ja nichts anderes, gar nichts anderes, als unserer Gesellschaftsordnung zum Sozialismus zu dienen. So sind die Dinge dar und diese Seiten zu erkennen von diesen Grundfragen aus, sich auseinanderzusetzen mit diesem Problem, das ist eben eene sehr entscheidende Frage, weil wir dadurch ja an die, an dem Verstanden und vor allem an die Herzen unserer Genossen herankommen. Bleiben wir bei der einen Seite, Helmut, nich, da sind wir uns ja einig, dann kann das so sein. Na ja gut schön theoretisch ist die ganze Sache schon richtig, ja. Gut dass Sie uns das erklärt haben, aber im übrigen aus dem Blicke aus dem Sinn. Aber dann sagen warum ist sie nicht sehr wirksam gewesen.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."