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Die Stasi, die Kiez-Kicker und ihr Stadion

In direkter Nachbarschaft zur ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg liegt bis heute das Hans-Zoschke-Stadion, die Heimat des Sportvereins SV Lichtenberg 47. Die enge Bebauung des Stasi-Areal Mitte der 70er und der trotzdem steigende Platzbedarf des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sorgten dafür, dass die Stasi ihre Lichtenberger Zentrale auf das Gelände des angrenzenden Stadions ausdehnen wollte. Doch eine Übernahme war nicht ohne Weiteres möglich.

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Zahlreiche Gebäude zwischen der Lichtenberger Normannenstraße und der Frankfurter Allee fielen dem Expansionsdrang des MfS zum Opfer. Als beispielsweise im Jahr 1979 mit dem Bau des Versorgungstrakts in Haus 18 begonnen wurde, riss man drei Wohnhäuser des Architekten Bruno Taut und eine Kirche ab. In derselben Zeit plante die Stasi eine Erweiterung ihres Areals auf dem Gelände des Hans-Zoschke-Stadions, wo die Fußballer von Lichtenberg 47 ihre Heimspiele austrugen.

Die Kiez-Kicker von der Normannenstraße

Der am 26. April 1947 als SC Lichtenberg 47 gegründete Sportverein hatte seine Heimat an der Normannenstraße, am Rande der Stasi-Zentrale. Neben dem Fußball übten die Mitglieder der Gründungszeit auch Handball, Hockey, Kegeln, Tennis und Schach aus. Der Verein wurde nach der Spaltung des Berliner Fußball-Ligabetriebs zur Saison 1950/51 in die DDR-Oberliga eingegliedert, der damals höchsten Spielklasse der noch jungen DDR. Doch nach nur sechs Siegen in 34 Spielen stieg der 1950 in SG Lichtenberg 47 umbenannte Club bereits nach der ersten Saison als Tabellenvorletzter ab. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich der Verein zu einer "Fahrstuhlmannschaft", die bis zum Mauerfall zwischen der Zweit- und Drittklassigkeit hin- und herpendelte.

Namensentwicklung des SV Lichtenberg 47
Zeitspanne Name
1947-1950 Sport Club Lichtenberg 47
1950-1969 SG Lichtenberg 47
1969-1979 BSG EAB Lichtenberg 47
1979-1990 BSG EAB 47 Berlin
seit 1990 SV Lichtenberg 47

Im DDR-Sportsystem waren die meisten Sportmannschaften aus sportpolitischen und wirtschaftlichen Gründen einem bestimmten Gewerkschaftsbereich zugeordnet, wie etwa Empor Rostock (später Hansa Rostock) der IG Handel oder Dynamo Dresden den inneren Sicherheitsorganen der DDR. Lichtenberg 47 aber war zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als Privatverein gegründet worden. Aus finanziellen Gründen entschied man sich 1969 jedoch ebenfalls zu einer Angliederung an einen Trägerbetrieb. Nach der Fusion mit dem Sportclub BSG Elpro zur BSG EAB Lichtenberg 47 sorgte der in Lichtenberg ansässige VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin (EAB) für den Fortbestand des Vereins. Erst im Juli 1990 erhielt er seinen heutigen Namen: SV Lichtenberg 47.

Mannschaftsfoto des damaligen BSG-EAB-Lichtenberg 47 im Hans-Zoschke-Stadion. Im Vordergrund ist die Mannschaft zu erkennen, im Hintergrund eine der Stadiontribünen.

Die Stasi zeigte großes Interesse daran, was im Hans-Zoschke-Stadion vor sich ging und beobachtete das Gelände genau. Wachleute des Wachregiments "Feliks E. Dzierżyński" und des Referates Sicherung, das dem Büro der Leitung (BdL) angehörte, hatten die Spielstätte der Lichtenberger Fußballer im Blick. Exemplarisch dafür stehen die Notizen über Vorkommnisse am Stadion, die ein Stasi-Mitarbeiter im Jahre 1987 über eine Überwachungskamera gemacht hatte. Auch augenscheinlich banale Gegebenheiten wie ein "verendender Hund" neben der Zuschauertribüne oder eine nicht ordnungsgemäß gehisste Flagge fanden in den Berichten Erwähnung.

Notizen über Vorkommnisse am Hans-Zoschke-Stadion in den Monaten August bis Dezember 1987, notiert von Angehörigen des Referates Sicherung

Das Hans-Zoschke-Stadion

Ihre ersten Spiele hatten die Fußballer noch auf einem einfachen Schotterplatz an der Normannenstraße ausgetragen. Anlässlich der Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1951 in Ost-Berlin stattfinden sollten, begann man ab 1949 an dieser Stelle ein neues Stadion zu errichten. Die offizielle Eröffnung des neuen "Stadions an der Normannenstraße" erfolgte am 14. September 1952. Beim Eröffnungsspiel zwischen dem SV DVP Dresden und der BSG Einheit Pankow wurde der bis heute gültige Zuschauerrekord aufgestellt: 18.000 Zuschauerinnen und Zuschauer wohnten dem Endspiel des FDGB-Pokals bei.

Noch im selben Jahr erhielt die Spielstätte den Namen "Hans-Zoschke-Stadion". Es war das zweitgrößte Fußball-Stadion in Ost-Berlin. Namensgeber war der antifaschistische Widerstandskämpfer und 1944 von den Nationalsozialisten hingerichtete Hans Zoschke, der in Lichtenberg aufgewachsen war und hier Fußball gespielt hatte. Seit den 70er Jahren erinnert eine Gedenktafel am Stadion an ihn.

Das Stadion selbst war im Besitz des DDR-Staates, der es auch für eigene Sportveranstaltungen, wie zum Beispiel Schüler-Spartakiaden, nutzte. Die Lichtenberger Fußballer waren berechtigt, das Stadion als Spiel- und Trainingsstätte zu nutzen.

Erste Übernahmeversuche

Bereits seit Mitte der 70er Jahre zeigte das MfS großes Interesse daran, das Gelände des Hans-Zoschke-Stadions im Zuge baulicher Erweiterungen der Stasi-Zentrale zu übernehmen. In Folge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik ab Anfang der 70er erhöhte die Stasi ihre "Einsatzbereitschaft". Daher stieg die Mitarbeiterzahl des MfS stark an, so dass immer mehr Bürofläche notwendig wurde. Mittlerweile war der Hauptsitz des MfS zu einem riesigen Areal von knapp fünf Hektar angewachsen. Seit 1979 kam nördlich des Fußball-Stadions, an der Gotlindestraße gelegen, ein neu errichteter Gebäudekomplex hinzu (Häuser 40 bis 49). Dieses Teilobjekt Gotlindestraße hatte keine direkte Verbindung zum Hauptareal. Getrennt waren die beiden Objekte nur durch das Hans-Zoschke-Stadion.

Die Verwaltung Rückwärtige Dienste (VRD) leitete die Übernahme des Hans-Zoschke-Stadions ein. Die VRD war für die materiell-technische Sicherstellung der Arbeit der MfS-Diensteinheiten zuständig, wozu auch die Verwaltung und Organisation der Bauobjekte der Stasi gehörte.

Doch die Erweiterungspläne des MfS kolliderten mit der kommunalpolitischen und stadtplanerischen Entwicklung des Lichtenberger Kiezes: Aus Sicht des Magistrats, der obersten Vewaltungseinheit Ost-Berlin, und des Stadtbezirks zerstörte die wachsende Stasi-Zentrale das Stadtbild. Zudem sorgte die MfS-Übernahme unterschiedlicher Gebäude, in denen sich beispielsweise Ladengeschäfte befanden, für eine Verschlechterung der Versorgungssituation im Kiez. Daher standen sich die Stasiplaner den kommunalen Stadtplanern gegenüber. Als das MfS Anfang der 70er Jahre die neuapostolische Kirche an der Normannenstraße verlagern wollte, wies der damalige Ost-Berliner Oberbürgermeister Herbert Fechner nur darauf hin, dass auch die Stasi den Dienstweg einzuhalten habe. Das MfS musste Bauvorhaben also erst mit dem Magistrat und dem Stadtbezirk abklären. So auch im Fall des Hans-Zoschke-Stadions.

Das Stadion war der Stasi ein Dorn im Auge. Sie bezeichnete die Spielstätte der Lichtenberger Sportler im Jahre 1977 als "nicht länger vertretbaren Faktor", da sie ein öffentlicher Sportplatz mit regem Publikumsverkehr war und die "Schaffung eines in sich geschlossenen Dienstobjekts" verhinderte. Dies war aus Sicherheitsgründen für die Geheimpolizei problematisch. Mit einem Fußballstadion zwischen den beiden Stasi-Teilobjekten waren laut MfS die Objektsicherung sowie der Transport von dienstlichen Unterlagen erschwert. Zum anderen plante die Stasi, das Stadiongelände für die militärische Körperertüchtigung ihrer eigenen Mitarbeiter zu nutzen und am Ort eine Turn- und Schwimmhalle zu errichten.

Am 30. Juni 1982 fasste der Magistrat den Beschluss Nr. 275/82. Dieser legte fest, dass eine Inanspruchnahme von Sportobjekten im Stadtgebiet nur dann erfolgen konnte, wenn zum Zeitpunkt der Beanspruchung eine adäquate nutzungsfähige Ersatzanlage zur Verfügung stand. Rein formal war die Stasi an diese Verordnung gebunden. Sie konnte Lichtenberg 47 also nicht einfach aus dem Hans-Zoschke-Stadion verbannen. Stattdessen musste sie dem Fußballverein eine alternative Spielstätte anbieten.

Die Suche nach einem neuen Stadion für die Lichtenberger Fußballer stellte sich jedoch als komplexe Aufgabe heraus. Bereits im Jahre 1979 hatte die Stasi "echte Probleme" bei der Stadionübernahme erwartet. Es war nach einer ersten Prüfung nicht möglich gewesen, eine Sportanlage in anderen Stadtbezirken außerhalb von Lichtenberg zu finden, da es im Berlin der späten 70er und frühen 80er Jahre schlicht zu wenig Sportplätze gab. Stattdessen dachte man über einen Stadionneubau nach. Die Stasi schlug den Bau eines neuen Sportkomplexes an der Lichtenberger Herzbergstraße vor, der sich als neue Heimat für Lichtenberg 47 eignete. Das MfS plante, den Fußballverein finanziell am Neubau eines Stadions an der Herzbergstraße zu beteiligen.

In einem Forderungsprogramm von 1982 ließ Jürgen Naumann, Stadtrat für Jugendfragen, Körperkultur und Sport, den Anlagenbestand des Hans-Zoschke-Stadions sowie die notwendigen Voraussetzungen und Eigenschaften eines Stadionneubaus für die Lichtenberger Sportler zusammenfassen.

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In den Folgejahren kamen weitere Vorschläge zur Verlagerung des Hans-Zoschke-Stadions auf. Stadtrat Naumann schlug 1983 vor, das Stadion in den Bezirk Marzahn zu verlegen. Dort hatte der Trägerbetrieb des Vereins, der VEB Kombinat Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin (EAB), inzwischen seinen Sitz. Die Stasi selbst sah eine mögliche Ersatzsportanlage auch im Bezirk Weißensee oder im Lichtenberger Ortsteil Wartenberg, an einem Bauplatz, an dem das MfS ohnehin perspektivisch bauen wollte.

Im Zuge der Verlagerungspläne des Hans-Zoschke-Stadions arbeitete das MfS eng mit der SED-Bezirksleitung Berlin zusammen. In einer Absprache mit deren 2. Sekretär, Helmut Müller, forcierte die Stasi schließlich einen Stadionneubau am Rande des geplanten Volksparks "Malchower See" in Wartenberg-Süd. Zudem hatte das MfS die Unterstützung des damaligen Ost-Berliner Oberbürgermeisters Erhard Krack für das Bauprojekt gewonnen. Die Lichtenberger Fußballer wurden über die Verlagerungspläne jedoch im Dunkeln gelassen. Die Stasi führte die Vorbereitung der Verlegungsarbeiten als "Sportanlage für einen Sonderbedarfträger" durch und erbat von allen Beteiligten "größte Verschwiegenheit".

Die Bauarbeiten bleiben aus

Doch die Bauarbeiten für das neue Stadion am Malchower See kamen nicht ins Rollen. Die beauftragten VEB Wohnungsbaukombinat Berlin (WBK) und das Kombinat Tiefbau Berlin (TBK) weigerten sich, mit den Bauarbeiten des neuen Stadions anzufangen. Die VEB fürchteten schwere wirtschaftliche Probleme und führten als Gründe ihrer Inaktivität an, dass Planrückstände drohten und finanzielle Planungssicherheit fehlte. Nur das Kombinat Grünanlagenbau hatte seine Mitarbeit am Stadionbau zugesagt. Grund für den stagnierenden Baufortschritt in Malchow war auch die wirtschaftliche Gesamtsituation in der DDR. Der Schwerpunkt der "Wirtschafts- und Sozialpolitik" der SED Ende der 80er Jahre lag auf dem Wohnungsbau. Baukapazitäten außerhalb des staatlichen Wohnungsbauprogramms wurden nachrangig behandelt. Und so kamen die Bagger am Malchower See nicht zum Einsatz.

1988 schrieb Oberst Günter Müller der VRD einen Brief an Oberbürgermeister Krack und bat abermals um Unterstützung. Er betonte, dass sich die Stasi bereits seit "ca. 10 Jahren erfolglos aus sicherheitspolitischen Gründen" um das Hans-Zoschke-Stadion bemühte. Darüber hinaus beschwerte sich Müller auch über die Baukombinate, die Abmachungen und Schreiben ignorierten.

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Dennoch gingen zur gleichen Zeit die Planungen der VRD zur Neubebauung des Hans-Zoschke-Stadions unbeirrt weiter. 1987 konkretisierte die Stasi, dass sie auf dem Stadiongelände eine Sport- und Schwimmanlage mit einer Schießanlage im Kellergeschoss errichten wollte. Hier könnte nicht nur Freizeitsport für die MfS-Mitarbeiter und ihre Familien stattfinden, auch Sportler des SV Dynamo sollten die neue Schwimmhalle nutzen. Für den Bau plante man das Bauunternehmen VOKD Ostrava aus der Tschechoslowakei einzusetzen, welches in der Vergangenheit bereits Aufträge für das MfS durchgeführt hatte. Als Alternativbebauung verzeichnete das MfS auf einem Bauplan für den Gesamtkomplex der Stasi-Zentrale insgesamt sechs Bürogebäude und auf der Rasenfläche zwei Parkhäuser. Doch wegen anderer, prioritärer Bauprojekte und der knappen Baukapazitäten bestätigte Minister Erich Mielke die Bauvorhaben nicht.

Wie mit dem Rasenfeld des Hans-Zoschke-Stadions umzugehen war, stand ebenfalls im Zentrum der Überlegungen der Stasi, die das Für und Wider einer Umgestaltung des Sportplatzes abwog. Eine Erhaltung der Rasenfläche hätte eine sofortige Nutzung erlaubt und der Platz hätte später durch den Bau von Wurf- und Weitsprunganlagen noch erweitert werden können. Auch hätte man hier als Nutzer die Sportler des SG Hohenschönhausen, der SV Dynamo oder die MfS-Mitarbeiter der Hauptabteilung Kader und Schulung (KuS) für den Dienstsport zulassen können. Sportfeste konnten hier jedoch ohne Umbaumaßnahmen nicht stattfinden, da eine Laufbahn fehlte. Eine Umgestaltung der Rasenfläche im Hans-Zoschke-Stadion hingegen hätte zwar eine längerfristige und vielseitigere Nutzung möglich gemacht (z.B. für Sportfeste), wäre aber auch teurer gewesen und hätte die Nutzung der Anlage in die Zukunft verschoben. Doch auch diese Pläne wurden niemals realisiert.

Letztendlich wurde am Hans-Zoschke-Stadion niemals ein Bagger aktiv. In fast zwei Jahrzehnten war es der Stasi nicht gelungen, die Sportanlage zu übernehmen. Fehlende finanzielle Kapazitäten und die Priorisierung von Wohnungsneubauvorhaben in der DDR der späten 80er Jahre standen dem Vorhaben des MfS entgegen. Der Mauerfall und die Friedliche Revolution setzten den Übernahmeversuchen endgültig ein Ende. Die Fußballer von Lichtenberg 47 überlebten die Stasi und sind bis heute an der Normannenstraße zu Hause. Der Fall des Hans-Zoschke-Stadions zeigt: Manchmal hatte auch der Einfluss der Stasi seine Grenzen.