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Wo die Stasi Urlaub machte

Im Auftrag und mit Wissen der SED überwachte und unterdrückte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die eigene Bevölkerung. Innerhalb des Geheimpolizeiapparates sorgte ein eigenes Ferienwesen dafür, dass sich hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig vom Dienst erholen konnten. So zogen die in der DDR beliebten Urlaubsziele  vornehmlich die Ostseeinseln Rügen und Usedom, die Sächsische Schweiz, das Erzgebirge, der Harz und der Thüringer Wald, auch das MfS an.

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Von Bungalow bis Zeltplatz

Die Angehörigen des MfS unterlagen restriktiven Befehlen und Vorschriften, die weit in das Privatleben reichten und das Familienleben prägten. So blieb man nicht nur in der Freizeit, sondern auch in den Ferien meist unter sich. Eine vom 17. Februar 1954 überlieferte Richtlinie des Staatssekretariats für Staatssicherheit (SfS) "für den Aufenthalt in den Ferienheimen des SfS" verdeutlicht, dass dem eigenen Ferienwesen bereits in der Frühphase der Geheimpolizei eine große Bedeutung beigemessen wurde.

Das MfS-eigene Ferienwesen unterstand der Abteilung Versorgungsdienste der Verwaltung Rückwärtige Dienste (VRD). Der Diensteinheit oblag es, die zentralen Ferienheime zu unterhalten und die Ferienplatzvergabe zu koordinieren. Außerdem hatte sie die Aufgabe, die für das Ferienwesen verantwortlichen Mitarbeiter aus den nachgeordneten Bereichen, wie beispielsweise in den Hauptabteilungen und Bezirksverwaltungen, anzuleiten. Die Abteilung Finanzen des MfS übte die Finanzaufsicht aus: Die Buchhalter der Stasi kontrollierten streng sämtliche Einnahmen und Ausgaben, führten Inventuren und Revisionen durch und untersuchten Diebstähle sowie Rechnungs- und Warenmanipulationen.

Aus den Stasi-Unterlagen ist ersichtlich, dass das MfS im Jahr 1989 über zentrale Ferienobjekte verfügte.

 
Name Ort Bezirk
Liegenschaften "Arbeitsgruppe Baabe" Baabe/Rügen Rostock
Rosa Luxemburg Graal-Müritz Rostock
Erwin Fischer Prerow Rostock
Artur Becker Kuhlmühle Potsdam
Ernst Thälmann Schierke Magdeburg
Habichtstein Alexisbad Halle
Kapellmühle Günserode Halle
Magnus Poser Friedrichroda Erfurt
Am Rennsteig Masserberg Suhl
Katzenstein Zella/Rhön Suhl
Zeughaus Ottendorf Dresden
Am Lugstein Zinnwald Dresden
Am Lift Bärenburg Dresden
Dr. Richard Sorge Oberwiesenthal Karl-Marx-Stadt

 

Fotogalerie in der Stasi-Mediathek

Hinzu kam, dass die Hauptabteilungen, die selbständigen Abteilungen, die Bezirksverwaltungen, die Hauptverwaltung A, das Wachregiment, die Sportvereinigung "Dynamo", der Medizinische Dienst und der MfS-eigene Baubetrieb "Spezialhochbau Berlin" eigene Feriendomizile in Form von Blockhäusern, Bungalows, Erholungsheimen, Finnhütten, Gästehäusern, Kureinrichtungen, Wohnwagen oder Zeltplätzen unterhielten. Für die Kinder der Stasi-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter existierten zahlreiche Ferienlager, beispielsweise in Klausheide am Möllensee in Brandenburg oder in Leupoldishain in Sachsen.

Die Ferienobjekte standen den hauptamtlich für die Stasi tätigen Männern und Frauen sowie deren Familien zur Verfügung. Ferner kamen auch Inoffizielle Mitarbeiter (IM), Offiziere im besonderen Einsatz (OibE), in der DDR stationierte Vertreter der sozialistischen Bruderdienste - allen voran des sowjetischen KGB - MfS-Rentner und "verdiente Kundschafter" in den Genuss der Urlaubsplätze. Zusätzlich standen ausgewählte Ferienplätze für Schulungen, Weiterbildungen und für "operative Zwecke" zur Verfügung. Dazu gehörten beispielsweise Beobachtungsmaßnahmen oder Treffen von Führungsoffizieren mit IM oder OibE.

Stärkung der Kampfkraft des MfS

Wie aus einem Dokument der Hauptabteilung "Verwaltung und Wirtschaft", einer Vorgänger-Diensteinheit der VRD, aus dem Jahr 1972 hervorgeht, zählte das MfS 1968 16.600 Betten in allen Ferienheimen; vier Jahre später waren es bereits 23.677. Der höchste Bedarf, so eine Schlussfolgerung der Ferienplaner, konzentriere sich vor allem auf die Sommermonate Juli und August. Bis zum Ende des MfS gelang es, durch Ausbau beziehungsweise Neubau einzelner Objekte und durch ein effektiveres Vergabemanagement stetig die Urlaubskapazitäten innerhalb der Geheimpolizei zu erweitern.

Im Dezember 1988 fand eine Arbeitsberatung der Ferienheim-Leiter statt, bei der die Verantwortlichen den hohen Stellenwert der Ferienheime betonten. So werde mit dem Erholungseffekt "der Vervollkommnung der Dienst- und Lebensbedingungen der Angehörigen des MfS als eine Schwerpunktaufgabe der Rückwärtigen Dienste […] entsprochen" und letztlich die "Kampfkraft des MfS" gesteigert. Das Ferienwesen galt als "sozialpolitischer Auftrag" und "tschekistische Kampfaufgabe". Laut Sitzungsprotokoll kamen außerdem verschiedene Themen zur Sprache: die Erweiterung des Bettenplatzangebotes, die Verpflegungsversorgung oder Probleme bei der Einhaltung der Hygienevorschriften in der Gastronomie.

Masserberg und die "Schwarzwaldklinik"

Der Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Suhl, Generalmajor Gerhard Lange, und der Leiter der VRD, Generalmajor Günter Müller, eröffneten Anfang September 1986 das idyllisch im Thüringer Wald gelegene Ferienheim "Am Rennsteig" in Masserberg. Noch kurz vorher wurde, so zitierte ein IM eine Bürgerin aus Masserberg, "alles mit einer Kehrmaschine auf Vordermann gebracht; in Masserberg könne keine fahren, da der Sprit fehlt." In den Stasi-Unterlagen steht, dass die Planungen für das Ferienheim in Masserberg bereits Ende der 70er Jahre begannen, da die Vorgängereinrichtung des MfS, das Ferienheim "Waldfrieden", bereits in die Jahre gekommen war. Das Baugeschehen erzeugte Misstrauen und rief Kritik unter den Einwohnerinnen und Einwohnern des beschaulichen Masserbergs hervor. Denn sonst knappe Baustoffe standen plötzlich zu Verfügung und auf einmal waren Dinge möglich, die im zivilen Alltag undenkbar gewesen wären, wie beispielsweise der rasche Bau von Garagen für die Belegschaft des Stasi-Ferienheims. Ein IM gab für seinen Führungsoffizier die Grundstimmung in dem Ort wieder. Der Tenor lautete: "Sie machen, was sie wollen und nehmen sich, was sie wollen. Nur wegen des Neubaus des Ferienheims des MfS wäre im Ort einiges durcheinander gebracht worden. Es wurden Straßen aufgerissen, dann hätte man sie zugeschüttet und fertig. […] So dass dieses Heim in allem hervorsticht, was den Einwohnern und auch den Urlaubern auffällt."

Fotogalerie in der Stasi-Mediathek

Bald schon erhielt das fertiggestellte Ferienheim von der Bevölkerung den Spitznamen "Schwarzwaldklinik" in Anlehnung an die ZDF-Kultserie der 80er Jahre, die auch in der DDR viele Zuschauerinnen und Zuschauer vor die Fernseher lockte. Kurz vor der Eröffnung im Sommer 1986 berichtete ein IM der Hauptabteilung Personenschutz des MfS, der sich als FDGB-Urlauber in Masserberg aufhielt: "Das kurz vor der Fertigstellung stehende Erholungsobjekt wird von den Einwohnern als 'Schwarzwaldklinik' bezeichnet. Es würde mit allem Komfort und sehr großzügig ausgestattet. In diesem Heim würden nur Stasi-Leute und Ausländer (Delegationen) untergebracht. […] Man würde sich dort hermetisch abkapseln. […] Seit Jahren warten die Einwohner von Masserberg auf eine Kinderkrippe, dies hängt jedoch eng mit der Rekonstruktion der Konsumeinkaufsstätte zusammen, denn auch hier geht es nicht zügig voran. Im Gegensatz dazu sind alle Kapazitäten auf das MfS-Heim konzentriert."

Laut Stellenplan der MfS-Bezirksverwaltung Suhl waren in der "Schwarzwaldklinik" in Masserberg 63 Männer und Frauen beschäftigt. Alle waren Angehörige des MfS. Als Leiter des Ferienheims fungierte ein Major, ein Dienstgrad, der innerhalb der Geheimpolizei einem Referatsleiterposten gleichkam. Ferner arbeiteten dort mit Dienstgraden ausgestattete Köche, Kellner, Empfangssekretärinnen, Kraftfahrer, ein Heizhausleiter, ein Elektriker sowie ein Bademeister für das Schwimmbad.

"Katerfrühstück am Katzenstein"

Im Winter 1989/90 betraten Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerbewegung, der Staatsanwaltschaften und der Volkspolizei in der gesamten DDR die Objekte des einstigen MfS. Sie besichtigten und versiegelten Bezirksverwaltungen, Kreisdienststellen, Funkaufklärungsstützpunkte und Konspirative Objekte. Somit wurde die bereits angelaufene Vernichtung von Akten gestoppt. Zu dieser Zeit fiel auch der Schleier des Unbekannten von den Feriendomizilen der Geheimpolizei. In Masserberg demonstrierten Anfang Dezember 1989 Bürgerinnen und Bürger vor dem MfS-Ferienheim. Um Druck aus der Situation zu nehmen, sah sich der Leiter gezwungen, die im Objekt integrierte Gaststätte für die Öffentlichkeit zu öffnen. Auch das Schwimmbad sollte nun Kindern aus der Region zur Verfügung stehen.

Mit "Katerfrühstück am Katzenstein" überschrieb die Zeitung "Freies Wort" am 5. Januar 1990 einen Artikel, der das MfS-Ferienheim "Katzenstein" in Zella/Rhön betraf. Auch dort gab es im Dezember 1989 Proteste von Bürgerinnen und Bürgern, die in dem auf 600 Metern gelegenen Bau brisante Akten und gehortete Luxusartikel vermuteten. Ein Redakteur von "Freies Wort" ging den Gerüchten nach, fand vor Ort aber keinerlei Hinweise. Der "Katzenstein" gehörte nun wieder der Öffentlichkeit. Mit dem Ende des MfS gelangten sämtliche Ferienobjekte in staatliche Hand und wurden privatisiert. Das eine oder andere Domizil lädt noch heute Urlauber zum Entspannen ein.