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"Diplomaten im Trainingsanzug waren Botschafter des Unrechtsstaates"

Sehr geehrter Herr Zöllig,
sehr geehrter Herr Kaufmann,
sehr geehrter Herr Lehner,

ich freue mich, dass Sie heute alle da sind, denn es ist für mich eine Gelegenheit mich zu bedanken. Nicht nur für die Einladung, sondern für das, was Sie geleistet haben. Liebe Frau Speckhahn, als meine Mitarbeiterin beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen sehen wir uns ja öfters. Und das, was Sie hier in diesem Verein leisten, das hat meine größte Hochachtung.

20 Jahre Deutsche Doping-Opfer-Hilfe – das ist etwas, was nicht hoch genug zu schätzen ist. Denn was da geleistet worden ist, das kann man heute mit diesen Worten „Gedenken, feiern, nach vorne schauen“, die Sie auf die Einladung geschrieben haben, durchaus gut zusammenfassen. Eigentlich dürfte man bei dem Thema nicht feiern, aber man kann sich auch mal selber feiern, wozu man eigentlich alles fähig ist. Gerade nachdem man das erlebt hat, was man auch im Film gerade gesehen hat. Mich beeindruckt das immer wieder; und gerade als jemand, der für die Stasi-Akten verantwortlich ist, sehe ich da immer natürlich einen klaren Bezug.

Aber als Erstes muss ich Ihnen sagen: Ich bin Mitwisser. Ich bin Mitwisser, wie so viele in dieser DDR, die irgendwo was mitgekriegt haben, was geahnt haben, aber es haben eigentlich laufen lassen. Mein bester Kumpel war Leistungssportler, er war Hochspringer, Weltspitze, er hat sie mir gezeigt - die Tabletten - und sagte: „Was soll ich denn machen, ich will Spitze sein, wie komme ich raus aus dem System?“ Und er ist drin geblieben und hat es immer wieder auch geleugnet nach außen hin. Ich hab´s mit gewusst.

Und meine Schwester hat die Pillen hergestellt, hier beim VEB Jenapharm. Sie hat heute noch eine tiefe Stimme, weil sie in dieser Abteilung Hormone bearbeitet hat. Sie wusste, was sie herstellt und sie hat´s getan. Und ich, ich habe weder gegen meinen Kumpel noch gegen meine Schwester aufbegehrt. Und das ist etwas, was mich bis heute auch bedrückt.

Sie als Verein haben ein Umdenken in Deutschland auf den Weg gebracht. Klar, da haben auch Journalisten geholfen, da haben auch viele geholfen in der Politik. Ich möchte hier ausdrücklich Monika Lazar von den Grünen begrüßen, die viel geleistet hat, dass das Thema publik geworden ist. Sie haben ein Umdenken herbeigeführt, gerade in der Richtung Selbstschuld, von wegen die wollten ja schneller rennen, die wollten ja höher springen. Was sie geleistet haben, ist das System offenkundig zu machen und daran muss ich immer denken, wenn ich in diese Magazine gehe, wo die Stasi-Akten liegen. Das sind ja 111 Kilometer, das ist ein Monument eines Überwachungsstaates. Und wenn man das dann sieht und sich vorstellt, hinter jeder Akte ist ein menschliches Schicksal, das sind Schicksale, so wie wir sie jetzt auch hier im Film gesehen haben, dann berührt mich das immer wieder. Auf der anderen Seite sage ich, das ist die Chance, dass wir diese Akten nutzen.

Über zwei Millionen Menschen haben schon in diese Akten geschaut und viele auch, die damals Sport getrieben haben. Viele haben bei der Akteneinsicht ein Stück ihrer Selbstbestimmung zurück erobert. Es ist ja ein Stück gestohlenes Leben gewesen, was auch in den Akten dokumentiert ist. Und gerade in den Akten da sind Punkte, wo man dann plötzlich auch erschrocken ist. Wo man dann halt mitkriegt, schwarz auf weiß, es waren keine Vitamintabletten, sondern es war Anabolika. Und jetzt fängt´s natürlich an im Kopf zu rattern, jetzt kann man plötzlich einordnen, was man an Folgeschäden hat. Jetzt kriegt man plötzlich den Zusammenhang hin mit zwischen dem, was man an körperlichen Leiden hat und dem, was damals geschehen ist. Und es sind ja nicht nur Folgeschäden für einen selbst, sondern Schäden auch für die Kinder. Manche haben auch Fehlgeburten gehabt. Mit wem darüber sprechen, wem sich anvertrauen, wo man doch so missbraucht worden ist, auch im Vertrauen zu den Trainern und Funktionären. Auch deswegen war es wichtig, dass dieser Verein sich gegründet hat. Endlich jemand, mit dem man sprechen konnte, mit dem man sich austauschen konnte, einander beistehen. Das ist etwas, was hier in 20 Jahren wirklich geleistet worden ist.

Ja, in den Akten sehen wir, es war Missbrauch. Es war Missbrauch von jungen Menschen, die einfach Lust am Sport treiben hatten. Es war Missbrauch durch verantwortliche Funktionäre, durch Ärzte, durch Krankenschwestern, viele haben mitgemacht und das ganze hatte System. Die Stasi, die war nicht die, die es unbedingt betrieben hat. Sie hat es mit betrieben. Aber sie hatte eine Aufgabe, es geheim zu halten. Sie hatte die Aufgabe, dass das System funktioniert, es abzusichern. Es war ein Staatsplan. Doping von Staatswegen. Das muss man immer wieder betonen, auch gerade wenn wir die Diskussionen um einen Unrechtsstaat führen. Ja, das war ein Unrechtsstaat, weil das Individuum der Willkür des Staates ausgesetzt war. Die Diplomaten im Trainingsanzug waren Botschafter des Unrechtsstaates.

Und wie arbeiten wir das Ganze auf? Das Strafrecht, wir haben es gesehen im Film, das konnte das nur bedingt leisten. Die paar Verurteilungen damit kann man nicht Gerechtigkeit schaffen. Deswegen ist es umso wichtiger, die Opfer zu würdigen. Ja, auch mit Geld. Und es war wichtig, und auch da wieder hat der Doping-Opfer-Hilfe-Verein ein Zeichen gesetzt, ein Gesetz zu schaffen. Ein Gesetz auf den Weg zu bringen, es einzufordern und dann Partner zu finden im Parlament, die es durchsetzen. Das war etwas, das auch konkrete Hilfe war. Es ist gut, dass man das auch geleistet hat und es verdient auch Anerkennung, dass hier Politik geholfen hat. Aber dabei kann man nicht stehen bleiben, denn 2019 endet die Antragsfrist. Ein Verfallsdatum. Eine Frist. Nein, das ist nicht akzeptabel. Das Leben mit dem Leid geht weiter, auch wenn die Frist vorbei ist.

Und deswegen kann ich nur sagen, diese Frist sollte gestrichen werden, denn unsere Aufgabe ist es weiterzuhelfen solange bis auch den letzten, die davon gezeichnet sind, geholfen ist. Und deswegen ist es gut, dass die Stasi-Akten offen bleiben. Das die Stasi-Akten auch in Zukunft als Teil des Gedächtnisses der Nation, als Teil des Bundesarchivs allen Menschen zur Verfügung stehen, denn es geht um mehr als nur darum, die einzelne Hilfe zu leisten, sondern auch darum aufzuklären über das ganze System. Aufzuklären für die nächste Generation. Und als ich heute die Pressemitteilung las, die Aufgaben der Doping-Opfer-Hilfe laufen langsam aus, da habe ich nur gedacht, wie kann man sowas schreiben. Gerade für die nächsten Generationen ist es wichtig, dass die begreifen, wie dieses System funktioniert hat. Gerade auch für unsere Gegenwart und die Zukunft der nächsten Generation ist es wichtig, dass wir unsere Sinne schärfen, damit wir verhindern, dass Sportler im Interesse einer Ideologie, im Interesse eines Staates missbraucht werden. Und dafür brauchen wir die Doping-Opfer-Hilfe. Alles Gute für die nächsten Jahre.