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"Aufklärung für die Gesellschaft"

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Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind heute hier Gast der Bundespressekonferenz, um Ihnen unseren Tätigkeitsbericht für die Jahre 2013 und 2014 zu erläutern.

Bevor wir zu einer kurzen Übersicht zum Tätigkeitsbericht kommen, lassen Sie mich kurz einige Beobachtungen zu den letzten zwei Jahren voranstellen:

Wir haben in dieser Zeit die Beschäftigung mit der Vergangenheit auf eine überraschende Art als etwas sehr aktuelles erlebt. Das Thema Eingriff des Staates in die Privatsphäre von Bürgern hat zu einem frischen Interesse an der Auseinandersetzung mit den Stasi-Akten geführt. Dabei sind vor allem auch viele jüngere Menschen neugierig geworden.

Was war denn die Stasi genau? Was heißt es, wenn ein Staat ungehindert Daten sammelt? Was ist der Unterschied zwischen Stasi und NSA? Auch wenn Vergleiche nicht ohne Probleme sind: Die Erkenntnisse zum Wirken der Stasi sind Orientierungspunkte für heutige Diskussionen zur Überwachung und Datensammlung. Und eine neue Generation sucht nach Antworten, auch im Stasi-Unterlagen-Archiv. Das zeigen die Debatten um Google, Facebook oder die NSA.

Der einzigartige Akt, in dem vor 25 Jahren mutige Bürgerinnen und Bürger die Dienststellen der Stasi besetzten und dafür sorgten, dass die Akten einer Geheimpolizei gesichert und der Gesellschaft zugänglich gemacht worden sind - er hat eine enorme internationale Symbolik entfaltet.

Das Stasi-Unterlagen-Archiv hat in den letzten zwei Jahren Besucher aus über 40 Nationen begrüßt - vom südkoreanischen Außenminister über lateinamerikanische Menschenrechtler bis hin zum NSA-Whistleblower Tom Drake.

Sie alle nehmen zwei Dinge von ihrem Besuch am historischen Ort des Stasi-Archives mit:

Die Beschäftigung mit den Dokumenten der Geheimpolizei ist eine stete Quelle der Aufklärung über die Mechanismen der Diktatur, die unsere Sinne für die heutigen Zeiten schärfen kann. Und der Zugang zu den Akten hat für die Opfer der Repression eine enorm hohe Bedeutung, nicht zuletzt weil die strafrechtliche Aufarbeitung des Unrechts nur sehr eingeschränkt geschehen konnte.

Heute legen wir den 12. Tätigkeitsbericht vor. Für mich ist es besonders wichtig, dass wir uns als Dienstleister für die Gesellschaft verstehen. Das heißt, dass wir danach streben, unsere Angebote effizienter, zeitgemäßer und bürgernah zu gestalten.

Nichts von dem, was im Tätigkeitsbericht an Zahlen und Fakten steht, würde funktionieren, wenn wir nicht auf die Kompetenz unserer Mitarbeiter bauen könnten. Viele von ihnen leisten diese Arbeit schon seit mehr als 20 Jahren. Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im Umgang mit den Stasi-Unterlagen sind die Grundlage für die Aufgabenerfüllung heute und auch in Zukunft.

Ich will Ihnen in 5 Punkten einige der wesentlichen Teile des Berichtes vorstellen.

1) Persönliche Akteneinsicht – Aufklärung des eigenen Schicksals

Die Zahlen zu Anträgen zur persönlichen Akteneinsicht sind:

  • 2013: 64.246 Anträge
  • 2014: 67.783 Anträge

Im Schnitt sind es also gut 5000 Anträge in jedem Monat der letzten zwei Jahre.

Warum sind es immer noch relativ viele Menschen, die in ihre Akten schauen wollen?

Nicht wenige sagen, dass sie den Abstand zum Geschehen brauchen, um sich der Vergangenheit zu stellen. Viele kommen jetzt in ein Alter, in dem sie die Zeit haben, ihr Leben zu reflektieren. Etliche werden dabei auch von ihren Kindern und Enkeln befragt. Die Stasi-Unterlagen können helfen, den Dialog zwischen den Generationen über die Vergangenheit zu fördern.

2) Einsicht von Forschung und Medien – Aufklärung für die Gesellschaft

Gut 2.700 Anträge sind in den beiden vergangenen Jahren aus diesem Bereich eingegangen. Bei einzelnen Anträgen sind dabei bis zu mehreren 10.000 Seiten zu recherchieren gewesen.
IM Besondern möchte ich dabei hinweisen auf:

  • Aktennutzung durch die Gedenkstätten: Erfurt, Cottbus, Hohenschönhausen
  • 25 Jahre Friedliche Revolution / Mauerfall,
    beispielsweise: im Doku-Spielfilm "Zug in die Freiheit" in der ARD
  • Beim kontroversen Thema "Pharmatests in der DDR" tragen wir bei zur wissenschaftlich fundierten Aufklärung
  • Stellvertretend für viele Buchprojekt: "Vater, Mutter, Stasi" (Marquardt/Hollstein)
    Ein besonders schwieriges Kapitel, das das menschenverachtende Denken der Stasi nochmal verdeutlicht. Es zeigt vor allem:
    IM ist nicht gleich IM. Eine differenzierte Betrachtung der Umstände für die Mitarbeit bei der Stasi ist nötig. Es geht um Aufklärung und nicht Abrechnung. Es geht aber auch darum, Fragen nach der Verantwortung für das Handeln zu stellen.

3) Zugang zu den Akten und zum Archiv

Digitalisierung ist in Bezug auf das Archiv das zentrale Schlagwort.

Im letzten Jahr ist es uns gelungen, den Recherchezugang zum Archiv deutlich zu verbessern. In einer Kooperation mit dem Bundesarchiv sind seit September 2014 BStU-Findmittel online über die ARGUS Plattform einzusehen. 141 Findmittel des Stasi-Unterlagen-Archivs sind dort zu recherchieren, mit etlichen Digitalisaten von Unterlagen

Als Schaufenster ins Archiv haben wir auf einer eigenen Seite die Stasi-Mediathek im Berichtszeitraum entwickelt und sie Anfang dieses Jahres online gestellt. In den ersten beiden Monaten verzeichneten wir 59.376 Besucher auf der Website.

Die Quellensammlung MfS und Grenze gibt mit rund 8.000 Seiten Digitalisaten, Bildern und Dokumenten einen umfassender Einblick in das Grenzregime der DDR auf unserer Homepage.

Und mit dem Twitterprojekt "Heute vor 25 Jahren" haben wir die Akten werden in neue Kontexte in einem social media Umfeld präsentiert, um das Publikum zu erreichen, das sich dort austauscht. Das Kooperationsprojekt "Heute vor 25 Jahren" – die Friedliche Revolution auf Twitter hatte zum Schluss 14.500 Follower und über seine dreimonatige Laufzeit 17 Millionen Online-Kontakten

4) Forschung und Bildung beim BStU

Aus der Vielzahl an Projekten und Publikationen seien hier nur drei exemplarisch genannt:

Erstmalig haben wir die Abhörprotokolle einer Geheimpolizei vorgestellt und wissenschaftlich analysiert: Unter dem Titel "Fasse dich kurz!" gibt unsere Studie einen intensiven Einblick in die Arbeit der Geheimpolizei bei der Bearbeitung der Opposition in den 80er Jahren.

Dem Bundestag haben wir 2013 ein Gutachten vorgelegt, mit dem Titel "Der Deutsche Bundestag 1949 bis 1989 in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit" und damit die Methoden der Stasi bei der Informationssammlung im Bundestag systematisch dargestellt.

Und mit der Studie "Knastware für den Klassenfeind" haben wir die Häftlingsarbeit in DDR-Gefängnissen auch für Westfirmen thematisiert.

Eines wird dabei deutlich:
Aufarbeitung ist eine gesamtdeutsche Angelegenheit. In ganz vielfältiger Form hat sich die Stasi auch in West-Deutschland gewirkt, dort gespitzelt und Mitarbeiter gewonnen, die dadurch das Unrechtssystem gestützt haben. Gerade im Jahr 25 der deutschen Einheit gilt es, diese Geschichte als eine gemeinsame zu begreifen.

Das gemeinsame Interesse an dieser Vergangenheit haben wir z.B. bei unserer Wanderausstellung "Feind ist, wer anders denkt", die in den westlichen Bundesländern tourt, gemerkt. Wir haben im vergangenen Sommer ein Experiment gewagt und sind auf eine Urlaubsinsel gegangen, nach Borkum. 6.000 Besucher sind gekommen und haben sich vor allem auch mit den Informationen des Wirkens der Stasi selbst auf Borkum beschäftigt.

Schließlich haben wir im Berichtszeitraum die neue Ausstellung "Staatssicherheit in der SED-Diktatur" gemeinsam mit dem Bürgerverein ASTAK e.V. am historischen Ort im Haus 1, dem früheren Dienstsitz von Erich Mielke, entwickelt. Anfang dieses Jahres wurde sie eröffnet. Damit ist eine Vorgabe der Gedenkstättenkonzeption des Bundes erfüllt, die für das Stasi-Gelände in Berlin-Lichtenberg festgelegt ist.

Historische Orte haben eine starke Attraktivität für Besucher, gerade auch für junge Menschen – das stellen wir immer wieder fest, gerade auch am Ort des Archives in Berlin-Lichtenberg.

5) Kooperationen

Der Großteil unserer Arbeit findet in den zwölf Außenstellen statt. Dort sind wir in die Aufarbeitungslandschaft in den Ländern eingebettet. Mir ist es wichtig, dass wir dabei sinnvoll kooperieren. Daher habe ich zur Sondierung im Herbst 2013 Gespräche in den neuen Ländern geführt, um über Arbeitsteilung, Kooperationen und Zukunftsvorstellungen zu sprechen.

Zentral war für uns alle, dass die Strukturen zwischen Bund und Land gut abzustimmen sind, weil es tatsächlich mittlerweile eine Vielzahl an Institutionen und Initiativen gibt. Die Stasi-Akten, auch das haben mir die Länder übermittelt, sind Teil der Erinnerung an die Friedliche Revolution in ihren Regionen und es besteht großes Interesse daran, sie auch in der Region zu behalten.

Wir waren uns zudem einig darüber, dass der Schwerpunkt in der Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht zu sehr auf der Stasi liegen sollte, sondern die Herrschaftsmechanismen als Ganzes in den Blick zu nehmen sind.

Aufarbeitung hat mit den Menschen zu tun, die es erlebt haben, aber auch mit den nächsten Generationen. Es geht also darum, zukunftsfähige Strukturen zu schaffen.

Es ist wichtig, dass wir alle für Veränderungen offen sind, damit die Aufarbeitung der SED-Diktatur zeitgemäßer und in effizienten Strukturen erfolgen kann. Veränderung ist kein Schlussstrich.

Wir freuen uns daher über die Begleitung unserer Arbeit durch die Expertenkommission, die der Bundestag nun eingesetzt hat, um über die weitere Weichenstellung für das Archiv der Stasi-Unterlagen zu entscheiden.

Eines hat der Bundestag schon klar gemacht: Die Akten sollen offen bleiben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf Ihre Fragen.