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MfS-Lexikon

Hauptabteilung XXII ("Terrorabwehr"/HA XXII)

Synonym: HA XXII

Die Abteilung XXII sollte die terroristische Szene in Westeuropa und im Nahen Osten lückenlos aufklären, d. h. die Mitglieder extremistischer Gruppen identifizieren, ihre Absichten erkunden, etwaige Kontakte in die DDR aufdecken und die vermutete Steuerung der Gruppen durch westliche Geheimdienste stören. Um zu verhindern, dass die Terroristen sich womöglich gegen das SED-Regime wendeten, wurden Durchreise bzw. Aufenthalt in der DDR geduldet, die RAF und die "Carlos"-Gruppe zeitweilig sogar protegiert.

Das schwarzweiße Lichtbild zeigt im Halbprofil vier uniformierte Männer mit Gehörschutz beim Übungsschießen mit automatischen Waffen. Im mittleren Bildgrund steht eine Zielscheibe. Der Übungsplatz ist vor einem Kiefernwald gelegen.

Die Abt. XXII richtete ihre Aufmerksamkeit vor allem auf linksterroristische Organisationen, jedoch auch auf linksextreme Gruppen in der Bundesrepublik mit DDR-kritischer Ausrichtung (etwa "trotzkistischer" oder "maoistischer" Spielart), die autonome Szene in Westberlin sowie militante Gruppierungen im palästinensischen bzw. arabischen Lager (wie die Abu-Nidal-Gruppe). Sobald sich die Arbeit solcher Zellen gegen die DDR zu richten schienen, leitete die Abt. XXII umfangreiche Zersetzungsmaßnahmen ein (so zum Beispiel gegenüber der KPD/ML).

Die Diensteinheit befasste sich auch mit neonazistischen und rechtsextremen Gruppen in der Bundesrepublik (wie der "Wehrsportgruppe Hoffmann") sowie allen Einrichtungen, die dezidiert antikommunistische Positionen vertraten (wie etwa die Arbeitsgemeinschaft 13. August - Haus am Checkpoint Charlie). Im Umfeld solcher Organisationen hatte die Abt. XXII 161 inoffizielle Mitarbeiter (IM) platziert, davon 35 aus dem Westen (wie etwa den RAF-Anwalt Klaus Croissant oder den Ex-Terroristen Till Meyer).

Die Bildung der Abt. XXII im Jahre 1975 war eine Reaktion auf die Entstehung des arabisch/palästinensischen und bundesdeutschen Terrorismus. Die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter dieser Diensteinheit wuchs bis 1980 auf fast 140 Personen an, doch sogar mit 248 Mitarbeitern im Jahre 1988 war die Abteilung innerhalb des Mielke-Apparates vergleichsweise klein dimensioniert. Aufgrund der Brisanz ihrer Tätigkeit war sie besonders um Abschottung und Konspiration bemüht und suchte häufig Rückendeckung von oben.

Zunächst wurde die Abt. XXII von Harry Dahl geleitet; ihm folgte 1985 Horst Franz. Um etwaige Drohanrufe oder potenzielle Gewaltakte auch in der DDR sowie mögliche Rückverbindungen westlicher Terroristen nach Ostdeutschland aufzudecken, existierten in den Bezirksverwaltungen sogenannte Arbeitsgruppe XXII mit insgesamt 69 Mitarbeitern.

Aus weltanschaulichen Gründen hat die Staatssicherheit zudem damalige Befreiungsbewegungen der Dritten Welt (wie den Afrikanischen Nationalkongress/ANC) sowie etliche "junge Nationalstaaten" protegiert. Als Verbündete im Kampf gegen den "Imperialismus" wurden zwischen 1970 und 1989 insgesamt 1.895 Mitglieder dieser Organisationen militärisch oder geheimpolizeilich ausgebildet. Hierfür zuständig war die Arbeitsgruppe des Ministers / Sonderfragen, die auch Aufgaben der bewaffneten Flugsicherungsbegleitung wahrnahm und ggf. Gewalttäter überwältigen sollte.

Im Jahre 1987 wurde diese Diensteinheit in Abt. XXIII umbenannt und verschmolz 1989 mit der Abt. XXII zur HA XXII mit zuletzt 878 Mitarbeitern.

Tobias Wunschik