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Grenzübergangsstelle Meiningen mit Abfertigungstrakten

Grenzübergangsstellen für den Bezirk Suhl

Am 21. Juni 1973 öffneten die Grenzübergangsstellen (GÜST) Meiningen/Eußenhausen und Eisfeld/Rottenbach in Südthüringen, was Reisen zwischen der Bundesrepublik und der DDR ermöglichte. Der Bezirk Suhl hatte den längsten Grenzverlauf zur Bundesrepublik und umfasste die Kreise Bad Salzungen, Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Neuhaus, die an Bayern und Hessen grenzten. Zwei Jahrzehnte der vollständigen Abriegelung der Grenzregion fanden damit ein Ende.

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Schrittweise Abgrenzung nach 1945

Nach Kriegsende 1945 war das Reisen zwischen den vier Besatzungszonen nur noch mit Passierschein möglich. Die Demarkationslinie zwischen der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und den westlichen Zonen wurde nach und nach zur unüberwindlichen Staatsgrenze ausgebaut. Südthüringen als Teil der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) grenzte im gesamten Verlauf an die Amerikanische Besatzungszone. Die Grenze zerschnitt die Landschaft und die historisch gewachsenen Beziehungen der Bewohner Südthüringens, Frankens und Hessens.

Die Zonengrenze wurde 1946 mit Zustimmung des Alliierten Kontrollrates gesperrt, mit Festlegung von Grenzübergangsstellen, um den Flüchtlingsstrom aus der SBZ zu stoppen. Zum Übertritt führte man den "Interzonenpass" ein. Stacheldrahthindernisse und Straßensperren wurden entlang der Demarkationslinie errichtet, die Bahnlinien in den Westen wurden bis 1951 stillgelegt. Nichtsdestotrotz war es immer noch eine Zeit der Grenzgänger, Schmuggler und Massenflucht aus der SBZ.

Während der Berlin-Blockade im Jahr 1948 wurde eine Aufenthaltsgenehmigung für die sowjetische Besatzungszone erforderlich. 1949 wurden die Bundesrepublik Deutschland und die DDR gegründet.

Herausgabe eines Interzonenpasses auf einem Volkspolizeirevier in Gera im Juni 1953

Abriegelung der Grenze und weitere Einschränkung des Reiseverkehrs

Im Jahr 1952 wurde die Grenze zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen nahezu unüberwindlich. Die DDR sperrte die Grenze mit strengen Maßnahmen, um die Fluchtbewegung einzudämmen. Unter Federführung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurden Sperrzonen und Kontrollstreifen direkt an der Demarkationslinie eingerichtet und die dem MfS unterstehende Grenzpolizei verstärkt. Acht von zwölf Straßengrenzübergängen wurden geschlossen. Südthüringen war nun vollständig abgeschnitten.

Durch eine Polizeiverordnung wurde am 27. Mai 1952 eine Passierscheinpflicht eingeführt und die Bewohnerinnen und Bewohner im Sperrgebiet mussten sich registrieren lassen. Im Mai und Juni 1952 begann das MfS schließlich im Rahmen der sogenannten Aktion "Ungeziefer" mit der Enteignung und Zwangsumsiedlung tausender "unliebsamer" Bewohnerinnen und Bewohner.

Ab dem 21. November 1953 entfiel der Interzonenpass, aber für eine Einreise in die DDR benötigten Bundesbürgerinnen und -bürger weiterhin eine Aufenthaltsgenehmigung und Einladung der Besuchten. DDR-Bürgerinnen und -Bürger konnten mit einem Passierschein an Kontrollpassierpunkten in die Bundesrepublik reisen.

Die Grenzmaßnahmen wurden mit dem Bau der Berliner Mauer und der Verstärkung der innerdeutschen Grenze 1961 drastisch verschärft. Die Grenze wurde zur Todeszone ausgebaut, Reisen in die Bundesrepublik waren für den Normalbürger nicht mehr möglich. Erst ab dem 9. September 1964 beschloss der Ministerrat der DDR, dass Rentner einmal im Jahr mit Besuchserlaubnis für höchstens vier Wochen Verwandte in der Bundesrepublik besuchen durften. Die nächstgelegenen Grenzübergangsstellen für Südthüringen waren Probstzella/Ludwigsstadt und Wartha/Bebra für die Bahn sowie Rudolphstein/Hirschberg (vor 1966 Juchhöh/Töpen) und Wartha/Herleshausen für den Straßenverkehr.

Blick von der GÜST Meiningen auf die Grenze in Richtung Rhön

Entspannung in Sicht

Im Rahmen der veränderten Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt wurden eine Reihe von Verträgen zwischen der DDR, der Bundesrepublik und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs geschlossen, die auch zu einer Verbesserung des Reiseverkehrs führten. Das Berliner Vier-Mächte-Abkommen vom 3. September und das Transitabkommen vom 17. Dezember 1971 regelten unter anderem den Reiseverkehr mit West-Berlin. Der Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972 legte grundlegende Regelungen für den Verkehr auf Straßen, Schienen und Wasserwegen fest. Am 17. Oktober 1972 folgten auf DDR-Seite die Anordnung über Regelungen im Reiseverkehr von DDR-Bürgern und die "Anordnung über Einreisen von Bürgern der BRD in die DDR", letztere wurde am 14. Juni 1973 geändert und ergänzt.

Diese Vereinbarungen ermöglichten es Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik, mehrmals im Jahr für bis zu insgesamt 30 Tage zu besuchsweisen oder touristischen Zwecken in die DDR einzureisen. Nötig war ein zu beantragender Berechtigungsschein zum Empfang von Einreisevisa. Anträge auf Einreise mussten die einladenden Verwandten oder Bekannten in der DDR stellen. Touristische Tagesaufenthalte wurden für Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik aus dem maximal 50 Kilometer breiten Grenzgebiet in das 50 Kilometer breite Grenzgebiet der DDR gestattet, das Sperrgebiet war davon ausgenommen.

DDR-Bürgerinnen und -bürger konnten genehmigungspflichtig, unabhängig von ihrem Alter, Verwandte in der Bundesrepublik besuchen. Der Grenzübertritt hatte über Grenzübergangsstellen zu erfolgen.

Diese Maßnahmen resultierten in einer erhöhten Reisetätigkeit von Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik in den Bezirk Suhl. Der Reiseverkehr stieg um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, insbesondere die Einreise mit dem Auto nahm stark zu. Dies bedeutete für viele Menschen ein freudiges Wiedersehen mit Verwandten und Bekannten, aber für das MfS eine große Herausforderung.

Der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik und der DDR führte dann letztendlich zur Eröffnung von vier neuen Grenzübergangsstellen: Salzwedel/Uelzen, Worbis/Duderstadt, Eisfeld/Coburg und Meiningen/Bad Neustadt, letztere beiden im Bezirk Suhl gelegen.

Reiseverkehr an der GÜST Meiningen

Bau der Grenzübergangsstellen Eisfeld und Meiningen

Von Baubeschluss bis zur GÜST-Eröffnung verging nur ein halbes Jahr. Die Umsetzung erfolgte in rasantem Tempo unter der Leitung des Ministeriums für Verkehrswesen, Hauptverwaltung Straßenwesen. Das Bau- und Montagekombinat Ost IPRO Berlin war der Hauptprojektant, unterstützt vom Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens Berlin. Das Straßen- und Tiefbaukombinat Suhl und das Bau- und Montagekombinat Erfurt waren die Hauptauftragnehmer für den Bau der GÜST. Als Nachauftragnehmer für Elektroarbeiten, Wasser/Abwasser, Innenausbau, Nachrichtentechnik etc. wurden verschiedene weitere lokale Volkseigene Betriebe (VEB) und Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) und die Deutsche Post herangezogen. Soldaten der Nationalen Volksarmee wurden für spezifische Aufgaben wie Waldrodung und Minenräumung eingesetzt. Die Bauarbeiter erhielten Berechtigungskarten für die drei Sicherheitszonen der Baustellen, die NVA-Einheiten und Panzerspähwagen sicherten.

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Beide Grenzübergangsstellen in Eisfeld und Meiningen wurden nach gleichem Schema ausgeführt. In Richtung DDR folgte auf die Staatsgrenze der beleuchtete und von den Grenztruppen kontrollierte „Grenzstreckenabschnitt“ mittig mit einer Kfz-Sperranlage Typ "Tanna" versehen. Ihm schloss sich das „Kontrollterritorium“ an. Anschließend kam der „Raum der Sicherstellung“ mit Dienstkomplex, welchem nach ca. 200 Metern der Servicekomplex (Servicepunkt) folgte. Das Kontrollterritorium war ein in acht Fahrspuren aufgeweiteter, beleuchteter Straßenabschnitt beginnend jeweils mit schlagbaumgesicherten Vorkontrollposten für Ein- und Ausreise, gefolgt von den Abfertigungstrakten der Passkontrolleinheit (PKE) und des Grenzzollamts (GZA). Gesichert wurde es durch einen Turm des Diensthabenden Offiziers der Grenztruppen.

Der Dienstkomplex bestand aus zwei Dienstgebäuden für Stab und Personal, eines der PKE, das andere für GZA/Grenztruppen mit Garagen. Im Servicepunkt befand sich das Deutsche Rote Kreuz, ein Intershop-Geschäft sowie die Deutsche Post. Die gesamte Anlage bis zur Staatsgrenze flankierte ein zwei Meter hoher Maschendrahtzaun an Betonzaunsäulen mit aufgesetztem Signalteil (Typ Berlin), hinter welchem Straßen für Militärfahrzeuge gelegen waren. Die Grenzanlagen an den Seiten der GÜST wurden weiter verstärkt und in der Nähe befand sich ein Beobachtungsturm der Grenztruppen. Zur Sicherung der Zufahrtsstraßen zur GÜST war ein Kontrollposten der Volkspolizei am Anfang des Sperrgebietes eingerichtet. Aufgrund der Kürze der Bauzeit wurden als Baulichkeiten transportable Raumzellen verschiedener Typen und Fertigteilgebäude aufgestellt

Der Bau der GÜST Eisfeld dauerte vom 11./12. Dezember 1972 bis zum 18. Mai 1973. Insbesondere die Rodungs- und Straßenbauarbeiten waren wegen der Witterungsbedingungen sehr aufwendig. Die Errichtung der GÜST Meiningen vollzog sich in etwa im gleichen Zeitraum ähnlich schnell. 1982 erhielten beide Einrichtungen ein Kontrollterritorium mit Dach und der Grenzturm wurde aufgestockt. An Wochenenden und Feiertagen Ende 1972 und Anfang 1973 versammelten sich auf Bundesrepublik-Seite an beiden GÜST zusammen insgesamt bis zu 10.000 Schaulustige. Es wurde erwartet, dass nach der Eröffnung der GÜST „eine echte Völkerwanderung“ in den Bezirk Suhl kommen würde (BArch, MfS BV Suhl, AKG, Nr. 17, Bd. 3, Bl. 97 und 150).

Auf der bayerischen Seite verzögerten sich die Planungen und Arbeiten für den Aufbau der Grenzübergangsstellen. Es wurden vorerst nur die nötigsten Erdarbeiten durchgeführt, nachrichtentechnische Anlagen und provisorische Bauten errichtet. Die neu errichtete Grenzübergangsstelle Eußenhausen war am 21. Dezember 1974 bezugsfertig.

Vorbereitungen der Staatssicherheit

Das MfS war in höchster Alarmbereitschaft: Die Befehle 21/73 und 22/73 des Ministers für Staatssicherheit mündeten in den Befehl 2/73 des Leiters der Bezirksverwaltung Suhl, Richter, an alle Diensteinheiten. Darin wurden alle "politisch-operativen Maßnahmen" zur Sicherung der Einreisen und Tagesaufenthalte von Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik unter der Aktion „Bereitschaft“ gebündelt. Inoffizielle Mitarbeiter sollten gezielt Informationen abschöpfen, und eine enge Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsorganen (vor allem zur Sicherung der Hauptverkehrswege) wurde angestrebt. Die GÜST und Kreisdienststellen hatten regelmäßige Berichte über den Reiseverkehr und die Situation im grenznahen Raum zu liefern. Die Passkontrolleinheit (PKE) begann mit der Überwachung an den GÜST, während neue Informanten und Mitarbeiter an den Grenzübergangsstellen, Intershops, Kfz-Werkstätten und Intertankstellen gewonnen werden sollten. Sicherheitskonzepte wurden für sensible Bereiche erstellt. Die Hauptabteilung VI des MfS in Berlin prognostizierte ein erhebliches Verkehrsaufkommen nach der Eröffnung, mit Spitzenwerten von bis zu 720 PKW und 26 Bussen pro Tag.

Die Eröffnung der Grenzübergangsstellen und Entwicklung des Reiseverkehrs

Die Hauptakteure an den Grenzübergangsstellen waren das MfS, das Grenzzollamt, die Grenztruppen und die Volkspolizeikreisämter. Weiterhin arbeiteten dort auch zivile Personen, z. B. im Intershop. Das MfS, Abt. VI stellte das Personal der Passkontrolleinheit in Uniformen der Grenztruppen, die Identitätskontrollen, Fahndungsmaßnahmen und Fahrzeugkontrollen bei Verdacht auf Menschenschmuggel durchführten. Passkontrolleinheit und Grenzzollamt unterstanden jeweils einem Leiter, die Grenztruppen einem Kommandanten, alle in enger Zusammenarbeit.

Am 21. Juni 1973 wurden mit dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrags die GÜST Eisfeld/Rottenbach und Meiningen/Eußenhausen eröffnet. Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik konnten nun im Wechselverkehr mit Bussen und PKW ein- und ausreisen, während DDR-Bürgerinnen und -bürger in "dringenden familiären Angelegenheiten" Verwandte in der Bundesrepublik besuchen durften. Ab dem 5. Juli waren auch Tagesaufenthalte möglich, bei denen Einwohner der Grenzkreise in der Bundesrepublik die Grenzkreise der DDR besuchen durften.

Kurz vor 24.00 Uhr kam es auf Seite der Bundesrepublik an beiden GÜST zu Personenansammlungen. Das MfS berichtete.

„Am Gegenkontrollpunkt der GÜST Meiningen wurden ca. 250 Personen festgestellt, die 4 große Transparente mit sich führten. Auf einem Transparent war zu lesen: 'Trotz CSU-Geplärr, können wir in die DDR'. (...) Anschließend sangen diese Personen 'Wir wollen Freunde sein, wir kommen zusammen von der Oder bis zum Rhein. Mal nach Meiningen gehen, mal Meiningen sehn!'“

MfS-Bericht BArch, MfS, AKG, Bd. 5, Bl. 101

Die erste Einreise geschah an der GÜST Eisfeld um 4:35 Uhr durch einen Monteur auf der Reise nach Böhlen bei Leipzig. Die erste Ausreise fand wiederum dort um 8:50 Uhr durch einen Mann statt, der frühmorgens um 5:25 Uhr schon eingereist gewesen war und durch sein Verhalten als „Tester“ eingestuft wurde. Seit dem Vorabend waren auf Bundesrepublik-Seite immer wieder Presse und Filmteams vor Ort. Insgesamt blieb der Einreiseverkehr jedoch wider Erwarten ruhig. Bis zum nächsten Morgen am 22. Juni, 6:00 Uhr waren an der GÜST Meiningen vier PKW mit 13 Personen eingereist, an der GÜST Eisfeld acht PKW mit 17 Personen.

Am Nachmittag und Abend des Eröffnungstages wurden auf Bundesrepublik-Seite der GÜST Meiningen, am Kontrollpunkt Eußenhausen ca. 370 Zivilpersonen festgestellt, bei der GÜST Eisfeld am Kontrollpunkt Rottenbach ca. 500 Personen. Solche Personenaufläufe wiederholten sich in den nächsten Wochen beinahe täglich.

Menschenmenge bei der Eröffnung der GüST Meiningen

Ein Bericht des MfS über die erste Woche nach der Eröffnung verzeichnete insgesamt 47 PKW und 121 Personen (inklusive Busverkehr) an beiden GÜST. Die erwartete "Überschwemmung" des Bezirks Suhl mit Bundesbürgern blieb jedoch aus. Viele Menschen warteten erst einmal ab. Eine Zahlenanalyse der Folgezeit zeigt aber, dass der Wechselverkehr in der Ferienzeit im August dann Höchstwerte an Einreisen mit ca. 200 PKW pro Woche erreichte.

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Im halben Jahr nach der Eröffnung der beiden Grenzübergänge machten Tagesaufenthalte den weitaus größten Teil der Einreisen aus. Diese Besucher verblieben alle in den Grenzkreisen des Bezirkes Suhl, zum überwiegenden Teil für Treffen mit Verwandten und Bekannten. Zusammen mit den im Wechselverkehr Eingereisten dürfte spätestens im Herbst 1973 die Zahl der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik im Bezirk Suhl allgemein spürbar gewesen sein. Am höchsten frequentiert aber waren die Kreise Sonneberg, Hildburghausen und Meiningen, wo auch die meisten Probleme mit dem Besucherandrang festgestellt wurden. Den geringsten Besucherverkehr hatten die Kreise Bad Salzungen, Schmalkalden und Ilmenau. Bis zum 9. Dezember 1973 passierten insgesamt 52097 Personen und 10476 PKW die zwei neuen Grenzübergangsstellen in Richtung DDR.

Beobachtungen der Stasi über Folgen des Besucherverkehrs

Für die Bezirksverwaltung Suhl des MfS bedeuteten die neuen Besucherinnen und Besucher Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite konnte man nun leichter an Informationen über den "Gegner" gelangen und potenzielle Spitzel rekrutieren. Auf der anderen Seite bedeutete der Aufenthalt einer großen Anzahl von Menschen aus der Bundesrepublik eine endlose Arbeit für die "innere Abwehr". Das MfS war besorgt über mögliche „politisch-ideologische Diversion“, politische Untergrundtätigkeit gegen die DDR oder Vorbereitungen von Republikfluchten. Diese Aktivitäten mussten überwacht werden, und im Falle eines Falles musste zum Schutze des Staats eingegriffen werden.

Berichte des MfS über den grenzüberschreitenden Verkehr von 1973 enthielten nicht nur Reisezahlen, sondern auch Informationen über Stimmungen und Meinungen von Bürgerinnen und Bürgern der DDR und Bundesrepublik sowie Auffälligkeiten im Zusammenhang mit dem Besucherverkehr. Diese häuften sich vor allem in den hoch frequentierten Kreisen Sonneberg und Hildburghausen. Schülerinnen und Schüler der Polytechnischen Oberschule Zeilfeld kauften verstärkt im Intershop in Hildburghausen ein, weil sie für Auskünfte und Einweisungen am Parkplatzrand Westgeld bekamen. Einige Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik beschwerten sich über den Mindestumtauschsatz, während andere überrascht über die Verhältnisse in der DDR waren und berichteten, dass in der Bundesrepublik viele Unwahrheiten über die DDR kursierten. Trotz Verbots erhielten bestimmte SED-Genossen und Funktionäre "Westbesuch" über Umwege. Es entstanden Liebesverhältnisse zwischen Ost und West, allein 21 im Kreis Hildburghausen. Im Raum Steinach kam es, aufgrund der zahlreichen Einreisen, zu Versorgungsproblemen mit Fleisch und Wurstwaren: Viele Familientreffen und -feiern fanden in gastronomischen Einrichtungen statt, die dadurch an ihre Belastungsgrenze kamen.

In Eisfeld bemerkte man an Wochenenden an den Bushaltestellen Personenansammlungen, wo große Begrüßungs- und Abschiedsszenen stattfanden. An der dortigen Minol-Tankstelle kam es zu Verkehrsstaus. Vereinsmitglieder gleicher Sparten versuchten Kontakte für Treffen und Austausch aufzubauen. In Sonneberg umlagerten Personengruppen parkende „Westwagen“, vor allem amerikanischer Bauart, und Jugendliche ließen sich davor fotografieren. In Verhaltensnöte gerieten DDR-Funktionäre, wenn Amtsträger aus westlichen Gemeinden zwecks Kennenlernens oder sogar Zusammenarbeit an sie herantraten, da viele unter Beobachtung des MfS standen und Angst hatten, etwas zu tun, was ihnen negativ ausgelegt werden konnte (BArch, MfS, BV Suhl, AKG, Nr. 17, Bd. 6, Bl. 76).

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Im Laufe des Jahres 1973 normalisierte sich die Situation allmählich. Für die Bevölkerung Südthüringens maßgebend, bedeuteten die neuen Reisemöglichkeiten für viele durch die innerdeutsche Grenze getrennte Familien endlich die Gelegenheit, zeitnah und öfter Treffen realisieren zu können. 19 Jahre später mit den Ereignissen vom Herbst 1989 kam das Ende der Grenze und der Grenzübergangsstellen. Heute erinnern bei Eisfeld noch der Grenzturm als Gedenkstätte mit Ausstellung und ein Skulpturenpark bei Henneberg/Eußenhausen an die damalige Zeit.

Quellenverzeichnis

  • Gerhard Schätzlein, Barbara Rösch, Reinhold Albert: Grenzerfahrungen Bayern-Thüringen 1945-1971, Hildburghausen 1999
  • Gunter Scheidl: "Vor 50 Jahren wurde der Grenzübergang Eußenhausen - Meiningen eröffnet" in Heimatjahrbuch Rhön-Grabfeld 2023, Mellrichstadt 2023
  • Reinhold Albert: "Chronik von Eußenhausen - Das Dorf an der Grenze", 2023.
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Quellensammlung Grenzübergangsstellen und grenzüberschreitender Verkehr

In der ehemaligen Dokumentenstelle des Büros der Leitung der Stasi sind zahlreiche Grundsatzdokumente des MfS, kooperierender Ministerien und staatlicher Institutionen der DDR überliefert. Die hauptsächlich aus diesem Bestand zusammengestellte Quellensammlung befasst sich mit einer wichtigen Voraussetzung für die dauerhafte Existenz des SED-Staates: mit der Sicherung der Grenzen der DDR zum sogenannten kapitalistischen Ausland.