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Akten im Stasi-Unterlagen-Archiv

Die Stasi zum SED-SPD-Papier "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit"

Während einer Phase verschärfter Spannungen zwischen Ost und West begannen SPD und SED einen historisch bedeutsamen Dialog. Von 1984 bis 1989 führten beide Parteien intensive Gespräche, die 1987 in eine Gemeinsame Erklärung mündeten.

Während einer Phase verschärfter Spannungen zwischen Ost und West begannen SPD und SED einen historisch bedeutsamen Dialog. Von 1984 bis 1989 führten beide Parteien intensive Gespräche, die 1987 in eine Gemeinsame Erklärung mündeten. Geführt wurden die Gespräche von der Grundwertekommission der SPD (Vorsitzender Erhard Eppler) und seitens der SED von der Akademie für Gesellschaftswissenschaften (Rektor Otto Reinhold). In den Gesprächen wurden gesellschaftstheoretische, weltanschauliche und politische Grundfragen diskutiert. Im Jahr 1986 wurden dazu erstmals auch ausgewählte Journalisten eingeladen. In jenem Jahr fiel die Entscheidung zu einem Gemeinsamen Papier, mit dem der Dialog einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollte.

Am 27. August 1987 wurde das SED-SPD-Papier "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" zeitgleich auf Pressekonferenzen in Ost-Berlin und Bonn vorgestellt.

Darüber hinaus wurde das Papier im zentralen Presseorgan der DDR, "Neues Deutschland" (im folgenden ND), veröffentlicht und am 1. September in einer Live-Sendung des DDR-Fernsehens diskutiert. Diese mediale Präsenz verlieh ihm den Charakter eines offiziellen Dokuments, das in Ost und West sowohl Zustimmung als auch Ablehnung hervorrief.

Davon zeugten beispielsweise die von der Stasi registrierten Meinungsäußerungen westdeutscher SPD- und CDU-Politiker.

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In einem weiteren Dokument die Staatssicherheit über die unterschiedlichen Meinungen der verschiedenen Politiker, wer den größeren Nutzen aus diesem Papier ziehe, SPD oder SED. Während der rechte Parteiflügel der SPD das Papier kritisch sehe, befürworte es der linke Flügel.

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Gemeinsam war beiden Seiten das Bestreben, einen Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa zu leisten. Sonst aber verfolgten sie unterschiedliche Absichten. Die SED sah die Chance, bei Aufrechterhaltung der gegebenen Machtverhältnisse international an Ansehen und Einfluss zu gewinnen. Das gemeinsame Papier sollte zugleich ein gutes Klima im Vorfeld des Honecker-Besuchs in Bonn schaffen. Die damals in der Opposition agierende SPD erhielt die Möglichkeit, außenpolitisch aktiv zu bleiben. Bereits 1986 wurde zudem in einer Erklärung der SPD-Grundwertekommission die Tendenz deutlich, mit dem Dokument Einfluss auf reformorientierte bzw. oppositionelle Kräfte in der DDR zu nehmen und deren Aktionsraum zu erweitern.

Beide Seiten mussten sich heftiger Kritik stellen. In der Bundesrepublik warfen konservative Kreise der SPD die Aufwertung und politische Anerkennung der SED sowie eine historisch-moralische Gleichstellung beider Systeme vor. SED-Hardliner hingegen sahen in dem Papier die Legalisierung sozialdemokratischen Gedankenguts. Begrifflichkeiten wie "grundsätzliche Friedensfähigkeit der anderen Seite, Abbau von Feindbildern, freie Information und offene Diskussion innerhalb jedes Systems, wobei gegenseitige Kritik nicht als Einmischung in innere Angelegenheiten gelten dürfe", verunsicherten die Kommunisten, weil sie ihrer bisherigen Ideologie diametral widersprochen haben.

Die Stasi registrierte in ihren Berichten eine grundsätzliche Zustimmung verschiedenster Bevölkerungskreise zu dem Papier.

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Wenige Wochen nach Erscheinen des SED-SPD-Papiers erfolgte ein Rückzug auf alte Positionen des internationalen Klassenkampfes und des Schwarz-Weiß-Denkens. In einer Rede des SED-Chefideologen Kurt Hager (Titel "Friedensicherung und ideologischer Streit"), die am 28. Oktober im ND abgedruckt war, wurden zentrale Thesen des Papiers von ihm uminterpretiert bzw. abgelehnt, so wenn er feststellte: "Unser Feindbild ist klar. […] Wir hören nicht auf, die aggressiven Kräfte des Imperialismus als Feinde, als Gegner des friedlichen Lebens der Menschheit zu bekämpfen." Und: "Es handelt sich darum, dass der Imperialismus friedensfähig gemacht werden muss, nicht, dass er von Natur aus friedfertig ist."

Die SPD-Seite sah in den Äußerungen Hagers einen Verstoß gegen das gemeinsame Papier (Erhard Eppler) und forderte eine "Klarstellung" aus Ost-Berlin. Zwei Wochen später gab Otto Reinhold, der auf SED-Seite federführend an dem Dokument mitgewirkt hatte, ein Interview im ND, in dem er die Kernaussagen Hagers bekräftigte, ohne sich allerdings dessen aggressiver Rhetorik zu bedienen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Reformpolitik Gorbatschows bereits bei vielen Menschen Hoffnungen geweckt. An den Hochschulen, bei Künstlern und Intellektuellen wurde das SED-SPD-Papier als Instrument für gesellschaftliche Veränderungen betrachtet. Die evangelische Kirche begrüßte das Papier ebenso wie große Teile der oppositionellen Bürgerbewegung. Andere allerdings sahen darin einen Beitrag zur Stabilisierung der SED-Herrschaft.

Von der Staatssicherheit wurden zunehmende Kontakte der SPD mit der evangelischen Kirche in der DDR und auch mit Vertretern der Bürgerrechtsbewegung registriert:

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Von Seiten der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung erwartete die Stasi gezielten Missbrauch des gemeinsamen Dokuments für weitere "staatsfeindliche" Handlungen: