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Internationale Besuchergruppe im Archiv im Februar 2020

Internationale Zusammenarbeit

Das Stasi-Unterlagen-Archiv hat weltweit erstmalig den Zugang zu den Akten einer Geheimpolizei zur Aufarbeitung einer Diktatur in einer Institution etabliert. Inzwischen wird der Zugang zu den Geheimpolizei-Akten einer Diktatur, wie er im Stasi-Unterlagen-Gesetz festgelegt ist, in vielen postdiktatorischen Gesellschaften der Welt als Vorbild gesehen.

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Während das Stasi-Unterlagen-Archiv anfangs noch relativ allein seine spezifische Aufgabe begann, hat sich seither international und vor allem in den anderen Ländern Osteuropas einiges getan. Seit Ende 2008 koordinieren die Geheimpolizei-Archive Osteuropas in einem Netzwerk ihre Arbeit und tauschen sich darüber aus. Aber auch eine Vielzahl an weiteren Archiven und Initiativen hat sich in Europa der Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen gewidmet.

Bei Fragen oder Anregungen zur internationalen Zusammenarbeit freuen wir uns auf Ihre Mail unter
Internationales.stasiunterlagenarchiv@bundesarchiv.de

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Bemühungen, die Militärdiktaturen, Bürgerkriege und Unrechtsregime Lateinamerikas, Asiens und Afrikas aufzuarbeiten, mit unterschiedlichen Methoden wie Tribunalen, Wahrheitskommissionen oder Prozessen. Dazu zählen die UN-Tribunale zu Ruanda und Ex-Jugoslawien, die Bemühungen, das Ende der Apartheid in Südafrika aufzuarbeiten oder die Prozesse gegen die Junta in Argentinien  sowie eine große Reihe an Erinnerungs-Initiativen wie das Menschenrechts-Museum in Taiwan, das an die Militär-Diktatur dort erinnert. Immer wieder wird in diesen Kontexten Bezug auf das deutsche Modell des Zugangs zu Geheimpolizei-Akten zur Aufarbeitung von Unrecht genommen. Vertreter dieser Initiativen suchen nach Inspiration und Austausch durch Besuche im Stasi-Unterlagen-Archiv oder durch Einladung des Archivs auf Konferenzen und Tagungen.

Europäisches Netzwerk

Das Europäische Netzwerk der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden

Im Dezember 2008 gründete sich in Berlin, unter Vorsitz der damaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler, erstmals ein Netzwerk der Geheimpolizei-Archive Osteuropas. Das "Europäische Netzwerk der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden" umfasste bei Gründung sieben Mitglieder: Bulgarien, Deutschland, Polen, Rumänien, Slowakei, die Tschechische Republik und Ungarn.

Erstmals schlossen sich damit Vertreter der Geheimpolizei-Archive Osteuropas zu einem Netzwerk zusammen. Sie wollten ihrem gemeinsamen Anliegen, die Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen durch Zugang zu den jeweiligen Geheimpolizei-Akten, durch Vernetzung eine stärkere Stimme geben.

Eine Übersicht über die Entstehungsgeschichte und die Aufgaben und Wirkungen der Archive bietet der Netzwerk-Reader, der in deutscher und englischer Sprache erschienen ist.

Im Oktober 2015 präsentierten die Mitglieder des Netzwerks im Rahmen ihres alljährlichen Treffens die gemeinsame Ausstellung "By Any Means. Communist Secret Police and People's Everyday Life". Die Ausstellung gibt Einblick in die Ideologie und Praxis der kommunistischen Geheimpolizeien in Ostmitteleuropa. Und sie vermittelt, wie sich die geheimpolizeiliche Kontrolle und Repression auf das Leben der Bevölkerung auswirkten. Zu der englischsprachigen Schau liegt ein deutschsprachiges Begleitheft vor.

Die sieben Gründungsmitglieder

Pressekonferenz zur Gründung des Europäischen Netzwerks

In Deutschland wurde die Öffnung der Stasi-Akten als direkte Folge und Forderung der Friedlichen Revolution mit der Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 Realität. Der Sonderbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nahm seine Arbeit auf. Mit der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes am 29. Dezember 1991 war die Institution des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen – das heutige Stasi-Unterlagen-Archiv – etabliert. Die anderen osteuropäischen Staaten brauchten einen längeren Anlauf.

Polen: IPN (1998/2000)

Das "Institut für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk" (Instytut Pamieci Narodowej, IPN) wurden auf Basis eines Gesetzes des polnischen Parlaments im Dezember 1998 eingerichtet. Es nahm Mitte 2000 seine Arbeit auf. Von den vier großen Abteilungen unterscheidet sich vor allem die "Hauptkommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das polnische Volk" von einer rein archivbezogenen Tätigkeit. Die Kommission ist Teil des IPN und gleichzeitig ein Sonderbereich des Büros des Generalstaatsanwaltes der Republik Polen. Es untersucht die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung Polens und die kommunistische Diktatur in Bezug auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Rumänien: CNSAS (2000)

Der Nationale Rat zur Aufarbeitung der Securitate-Akten (Consiliul National pentru Studierea Arhivelor SecuritatiiCNSAS) wurde im Jahr 2000 nach einer ausgedehnten und hitzigen Debatte gegründet. Es entstand als Folge des „Gesetzes über den Zugang zur persönlichen Akte und die Entlarvung der Securitate als politische Polizei“, das im Dezember 1999 vom rumänischen Parlament verabschiedet wurde.

Ungarn: ABTL (1997/2003)

In Folge der Verfassungswidrigkeit des ungarischen Lustrationsgesetzes wurde 1997 das Überprüfungsgesetz geändert und dabei das "Historische Amt" gegründet. Es sollte als Archiv den Bürgern Zugang zu den über sie gesammelten und verwahrten Daten der Organisationen der Staatssicherheit ermöglichen. Die Arbeit dieses Amtes wurde 2003 in Zweifel gezogen, als die Offenlegung der Stasi-Vergangenheit des damaligen Premierministers einen Skandal verursachte. 2003 gründete das Parlament daraufhin, auf Grundlage eines neuen Gesetzes, das "Historische Archiv der Staatssicherheitsdienste Ungarns" (ABTL).

Slowakei: UPN (2003)

Das slowakische "Institut für Nationales Gedenken" (Ustav Pamäti NarodaUPN) nahm 2003 seine Arbeit auf. Es ging aus der im Jahre 2000 im Justizministerium eingerichteten „Abteilung zur Dokumentation der Verbrechen des Kommunismus“ hervor. Der Nationalrat der Slowakischen Republik verabschiedete im Jahr 2002 das Gesetz Nr. 553/2002, mit dem dann das Institut gegen das Veto des damaligen Präsidenten gegründet wurde.

Bulgarien: COMDOS (2006)

Am 19. Dezember 2006 verabschiedete das bulgarische Parlament ein "Gesetz zur Offenlegung der Dokumente und Bekanntmachung der Zughörigkeit bulgarischer Bürger zur Staatssicherheit und zum Nachrichtendienst der Bulgarischen Volksarmee". Nach langen Jahren diverser Versuche, die Akten zu öffnen oder auch zu vernichten war damit der Startschuss für die "Kommission zur Offenlegung der Dokumente und Bekanntmachung der Zughörigkeit bulgarischer Bürger zur Staatssicherheit und zum Nachrichtendienst der Bulgarischen Volksarmee" (COMDOS) gelegt. Sie nahm im April 2007 ihre Arbeit auf.

Tschechische Republik: USTR (2007)

Am 1. August 2007 trat in der Tschechischen Republik das Gesetz Nr. 181/2007 über das "Institut zur Erforschung totalitärer Regime, das Archiv der Sicherheitsdienste und die Änderung einiger Gesetze" in Kraft. Damit waren die gesetzlichen Voraussetzungen für einen umfangreichen Aktenzugang auch hier geschaffen. Das Institut zur Erforschung totalitärer Regime und das Archiv der Sicherheitsdienste (USTR) nahmen im Februar 2008 ihre Arbeit auf.

Albanien: AIDSSH (2015)

Mit dem Beschluss des albanischen Parlaments zur Öffnung der Akten der kommunistischen Geheimpolizei für alle Bürger am 30. April 2015 begann auch in Albanien die Aufarbeitung der Sigurimi (Kurzform für das "Direktorat für Staatssicherheit" - Drejtoria e Sigurimit të Shtetit). Das albanische Gesetz wurde in Anlehnung an das Stasi-Unterlagen-Gesetz entwickelt. Seither widmet sich die eingerichtete "Behörde über die Informationen der ehemaligen Staatssicherheitsdokumente" (Autoriteti për Informimin mbi Dokumentet e Ish-Sigurimit të Shtetit - AIDSSH) der noch wenig aufgearbeiteten Zeit der kommunistischen Repression unter Enver Hoxha und seinem Nachfolger. Die AIDSSH war seit 2018 Gast-Mitglied im Netzwerk und ist seit Anfang 2021 Voll-Mitglied.

Sechs Gast-Mitglieder

Seit 2013 hat das Netzwerk weiteren Ländern einen Gaststatus bei den jährlichen Konferenzen eingeräumt. Seither nehmen Vertreter der drei baltischen Staaten sowie zweier Institutionen aus Slowenien und seit neuestem der Ukraine an den Konferenzen teil:

Plattform der Europäischen Erinnerung und des Gewissens

Am 14. Oktober 2011 war der damalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn einer der Erstunterzeichner eines weiteren, neu gegründeten europäischen Aufarbeitungsprojektes. Die "Platform for European Memory and Conscience" mit Sitz in Prag vereinte zu dem Zeitpunkt der Gründung 20 Institutionen aus 13 Ländern. Mitte 2020 waren es 62 öffentliche und private Institutionen aus 20 Ländern.

Die Gründung der Plattform geht auf einen Entschluss des Europäischen Parlaments vom 2. April 2009 zurück. Ziel der Plattform ist es demnach, die Zusammenarbeit von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen bei der Aufarbeitung von Nationalsozialismus, Kommunismus und anderer Ideologien zu erleichtern.

In dem Sinne erinnert die Plattform in ihrer Arbeit an die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts in Europa, gedenkt der Opfer und sucht Wege, die Lehren aus der Vergangenheit im großen europäischen Kontext zu diskutieren. In den Papieren der EU-Kommission zur Unterstützung der Plattform wird ihr Ziel beschrieben: kollektive Erinnerung zu sammeln, zu erforschen und zu diskutieren und damit das Bewusstsein gegen totalitäre Diktaturen zu schärfen.

Im Gegensatz zum Netzwerk, dessen Mitglieder spezifische Archive vertreten, die auf gesetzlicher Grundlage arbeiten, hat die Plattform einen breiteren und umfassenderen Anspruch. Auch ist ihr Ansatz, totalitäre Regime des 20. Jahrhunderts summarisch zu betrachten, nicht ohne öffentliche Kritik geblieben.

Roland Jahn bei der Unterzeichnung der Gründungsurkunde. Rechts im Bild die Premierminister Tschechiens, Ungarns und Polens

Europäische Initiativen und Archive

Auf europäischer Ebene gibt es etliche weitere Initiativen, die sich mit dem Erbe der kommunistischen Diktaturen oder anderen Gewaltherrschaften und Konflikten beschäftigen. Bei der folgenden Auswahl sind spezifisch Einrichtungen aufgelistet, die Erinnerungsarbeit auf Basis von Dokumenten und Zeitzeugenberichten betreiben, aber auch weitere Netzwerkeinrichtungen und auch Forschungsprojekte.

Initiativen und Archive

Netzwerke

Internationale Initiativen

Auch wenn der Gesetzesauftrag des Stasi-Unterlagen-Archivs nicht vorsieht, Aufarbeitungsbemühungen anderer Länder aktiv zu unterstützen, gibt es dennoch ein reges internationales Interesse an seiner Arbeit . Der Versuch, Unrecht u.a. durch den Zugang zu Geheimpolizei-Akten aufzuarbeiten, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, ist ein mittlerweile etabliertes Instrument der Schaffung von "Übergangsgerechtigkeit". Das deutsche Stasi-Unterlagen-Archiv ist die erste Einrichtung, die diesen Versuch unternommen hat. Es teilt daher gern seine Erfahrungen mit einer Vielzahl an Gästen aus aller Welt.

Durch diesen direkten Austausch und durch unregelmäßige Teilnahme an internationalen Konferenzen zum Thema verfolgt das Stasi-Unterlagen-Archiv auch lose die Bemühungen anderer Länder auf diesem Gebiet. Der Zugang zu Archiven – von Geheimpolizeien, anderen Sicherheitsorganen oder auch Zeitzeugendokumentationen – kann helfen, vergangenes Unrecht zu benennen und einen Umgang in der neuen Gesellschaft damit zu finden. Hier eine unvollständige Auswahl weiterer Institutionen, mit denen das Stasi-Unterlagen-Archiv Kontakt hatte und hat:

Netzwerk Archive und Vergangenheitsaufarbeitung

Seit 2019 ist das Stasi-Unterlagen-Archiv Teil einer Gruppe von beratenden Organisationen des Internationalen Netzwerks zu Menschenrechtsarchiven. Dieses Projekt wird von der deutschen Robert Bosch Stiftung finanziert und von einer Projektgruppe bei Swiss Peace in der Funktion des „Sekretariats“ koordiniert. Das Netzwerk will verschiedene Institutionen, Experten und Organisationen an der Schnittstelle von Archiven, Menschenrechten und Vergangenheitsaufarbeitung aus unterschiedlichen Kontexten auf der ganzen Welt zusammenbringen. Es fördert den Austausch und die Unterstützung untereinander, um die Kapazitäten und Expertise der Mitglieder zu stärken und damit die Professionalisierung des Feldes voranzutreiben. Weitere Informationen finden Sie auf der Entwurfswebsite von Swisspeace.

Ein Experten-Workshop zum Thema "Zugang zu Dokumenten aus dem Geheimdienst- und Sicherheitsbereich" ist ein erster Aufschlag, um den Wissenstransfer untereinander zu stärken. Er fand am 15. Juli 2020 online statt.

 

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